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Massendemonstration in Moskau: Zehntausende demonstrierten gegen vermuteten Betrug bei der Wahl und das System Putin.

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Blogger Alexej Nawalny ist populär.

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Die etwa 70.000 Menschen, die zuletzt in Moskau auf die Straße gingen, sind keine Mehrheit in Russland, auch in der Zehn-Millionen-Metropole Moskau nicht. Doch es ist eine Menge angesichts des staatlichen TV-Monopols, der Ohnmacht der Russen gegenüber den Behörden und auch der Angst vor Repressionen, die zuletzt in zunehmender politischer Gleichgültigkeit der Bürger zu münden schien.

Die meisten der Demonstranten stammen aus dem Mittelstand, sie besitzen einen Uni-Abschluss, sind Geschäftsleute, Angestellte oder Facharbeiter, wie eine Umfrage des Lewada-Zentrums ergeben hat. Viele waren zuvor bewusst apolitisch, ehe sie nach der Dumawahl ihrem Unmut Luft machten. Daneben stehen aber auch radikale Linke und Rechte in den Reihen der Opposition.

Was sie eint, ist der Wille zur Veränderung, die Hoffnung auf ein "Russland ohne (Wladimir) Putin" - eine der Hauptlosungen auf den Demos. Doch die Vorstellungen über weitere Ziele des Protests gehen stark auseinander. So fordert die Opposition zwar geschlossen die Freilassung des radikalen Kommunistenführers Sergej Udalzow. Mit dessen Visionen einer anarcho-kommunistischen Revolution gehen allerdings die wenigsten konform.

Auch die Nationalisten verfolgen eigene Ziele: "Wir haben mit den Liberalen nichts gemein", sagt Witja, ein aus der nationalistischen Szene stammender junger Mann. Während die Rechten nicht nur Ausländern, sondern auch Kaukasiern aus dem eigenen Land den Zutritt nach Moskau verwehren wollen, sind ihnen die Forderungen der Liberalen nach fairen Wahlen und mehr Demokratie recht gleichgültig.

Rechte suchen Öffentlichkeit

Der Nationalist Wladimir Tor entschuldigte sich gar bei seinen Anhängern, nach dem kürzlich zur Opposition gewechselten Ex-Finanzminister Alexej Kudrin auf der Tribüne "sprechen zu müssen". Die Teilnahme der Rechten auf der Veranstaltung hat einen opportunistischen Grund: Sie suchen das Licht der Öffentlichkeit. Der Schulterschluss mit den Liberalen ist von kurzer Dauer.

Selbst bei den Führern der Liberalen herrscht keine Einigkeit: Milliardär Prochorow, der sich zunächst bei der vom Kreml initiierten Wiederbelebung der liberalen Partei "Rechte Sache" versuchte, scheiterte kläglich daran und wurde noch im Wahlkampf von seiner Partei vor die Tür gesetzt. Nun wagt er als Neu-Oppositioneller einen zweiten Anlauf und will sich unter dem Slogan: "Wer, wenn nicht ich" bei den Präsidentenwahlen Putin stellen. Nur ist er als Oligarch unbeliebt.

Zwischen anderen führenden Liberalen wie Boris Nemzow, Wladimir Jawlinski oder Wladimir Milow herrscht schon lange ein Jahrmarkt der Eitelkeiten, der einen Zusammenschluss liberaler Kräfte bisher verhindert hat.

Bleibt der bekannte Blogger Alexej Nawalny, der mit seinem Projekt RosPil als Kämpfer gegen die Korruption in Russland bereits Popularität erreicht hat. Die Gründung einer neuen Partei und eigene Präsidentschaftsambitionen hat er kundgetan. Ob Nawalny die Liberalen allerdings tatsächlich einen kann und soll, ist unklar. Immerhin ist er regelmäßiger Teilnehmer des nationalistischen "Russen-Marsches" und daher keineswegs unumstritten. (André Ballin aus Moskau, DER STANDARD-Printausgabe, 30.12.2011)