"Auch Tiere müssen trauern", "staatlich verordnetes Heulen", "Massenweinkrampf". So oder so ähnlich nehmen sich die Schlagzeilen in der Berichterstattung über die Trauerfeierlichkeiten in Nordkorea aus, quer durch die Medienlandschaft. Unverständnis, Befremdung bis hin zu Häme schwingen in der freien Presse mit, wenn von hysterisch heulenden Massen in Pjöngjang berichtet wird. Verkürzt gesagt, der Westen zeigt mit dem (medialen) Finger auf die kollektiv exerzierte Trauer in Nordkorea und lacht sich schief.

Dabei ist eine solche, aus westlicher Sicht megalomanisch und kolossal angelegte Inszenierung der Staatstrauer wenig überraschend; ganz im Gegenteil, vor dem gegebenen ideologischen und gesellschaftlichen Hintergrund in Nordkorea ist das, was seit dem offiziell verkündeten Tod von Kim Jong-Il an öffentlicher Inszenierung passiert, geradezu konsequent, nachvollziehbar und folgerichtig.

In einem System, in dem seit Jahrzehnten ein kruder, stalinistisch geprägter Personenkult herrscht, ist der Tod des Führers ein reales Drama für die stark ideologisierte und militarisierte Gesellschaft, und wohl auch für das (mehr oder weniger) indoktrinierte Individuum. Eine Diktatur stützt sich nie ausschließlich auf Terror und Schrecken, sondern zu einem großen Teil auch auf Verehrung, Vertrauen und Rückhalt breiter Bevölkerungsschichten, die im Diktator oder in der diktatorisch agierenden Führungselite einen Stabilitätsgaranten und einen Beschützer vor den äußeren Feinden sehen.

Der Diktator, der Vater der Nation, ist in der gesellschaftlichen Wahrnehmung also nie ein absolut gefürchteter, strafender Vater - er hat auch seine sorgenden und beschützenden Facetten. Daher ist es ein wenig heuchlerisch, wenn westliche Medien, scheinbar naiv und betroffen, die Frage in den Raum stellen: "Warum weinen die Leute um einen Mann, der sein Volk in Lager sperrt und verhungern lässt?" Damit wird indirekt der notleidenden nordkoreanischen Bevölkerung unterstellt, sie sei über die Verbrechen ihrer Führungselite genauso informiert wie wir (zu informiert sein glauben), sie habe eine Wahl gehabt und getroffen und würde nun hemmungslos ihrem Stockholm-Syndrom frönen.

Was von all dem wirklich der Realität entspricht, kann nur gemutmaßt werden, Faktum ist aber, dass die nordkoreanische Bevölkerung derzeit in der ganzen Welt medial "vorgeführt" wird, wie eine Freak-Show. Zum Teil ist das offizielle Nordkorea selbst daran schuld, denn offensichtlich trägt man die Trauer gerne zur Schau; zum Teil kommt aber auch ein anderer Faktor zum Tragen: Ein Staat wie Nordkorea gibt mitunter eine willkommene Projektionsfläche für den Rest der Welt ab, vor deren Hintergrund man sich besonders "normal" und "erfolgreich" vorkommt.

Eins vorweg: Wir alle, ob Medienkonsumenten oder Medienmacher, wissen so gut wie nichts über Nordkorea. Unser Wissen speist sich aus den wenigen, staatlich kontrollierten Bildern und Presseaussendungen, von deren Authentizität und Aussagekraft wir keine gesicherten Informationen haben. Was wir aus den wenigen Puzzlesteinen schlussfolgern können, ist, dass Nordkorea definitiv ein Staat in der Sackgasse ist, dessen Regime auf internationaler Ebene gewissermaßen autistisch und selbst-isolierend agiert. Die trauernde Bevölkerung von Nordkorea verdient vielleicht nicht unser Mitleid, auch nicht unser Mitgefühl, vielleicht nicht einmal unsere Anteilnahme, wohl aber unseren Respekt. Ob die Trauer nun eine echte, oder eine staatlich verordnete ist (die Grenzen sind fließend), sie findet statt, womöglich auch als Ventil für andere aufgestaute Emotionen. (Mascha Dabić, 27. Dezember 2011, daStandard.at)