Martha Teichmann emigrierte 1909 von Dresden nach New York. Ihr Nachlass ist heute in Wien beheimatet.

Foto: SFN

Friederike "Fritzi" Löwy war eine bekannte Schwimmerin. Als Mitglied des jüdischen Sportvereins SC Hakoah Wien stellte sie 1927 den Europarekord über 200 Meter Kraulen auf und gewann bei den Europameisterschaften die Silbermedaille. 1939 flüchtete sie vor den Nationalsozialisten; sie ging zuerst nach Italien, dann in die Schweiz und nach Australien, um später doch wieder nach Wien zurückzukehren.

Einige dieser Erfahrungen spiegeln sich in ihren Fotoalben, erzählt Li Gerhalter. Die Historikerin betreut am Institut für Geschichte der Universität Wien die Sammlung Frauennachlässe. Der Fall der Fotoalben von Fritzi Löwy sei untypisch und typisch zugleich für die Arbeit der Sammlung, so Gerhalter.

Typisch, weil anhand der Fotos ein Stück Zeitgeschichte erzählt werden kann, die von Fritzi Löwy sogar selbst vervollständigt wurde. So findet sich etwa bei der Fotografie ihrer Schwester der nachträgliche Vermerk "In Mauthausen umgebracht". Untypisch, weil die Alben nicht direkt an das Archiv herangetragen wurden, sondern zufällig auf einem Flohmarkt gefunden wurden. Und nicht zuletzt, weil es sich hier um Erinnerungen einer berühmten Frau handelt. "Die meisten Erinnerungsstücke in unserer Sammlung stammen von Frauen, die in keiner prominenten Öffentlichkeit standen", erklärt Li Gerhalter. Das sei so gewollt, schließlich möchte das Archiv Einblicke in die Lebensverhältnisse von Frauen aller sozialen Schichten bieten.

Diese Motivation stand auch ganz am Anfang des Projekts. 1989 bereitete eine Gruppe von Historikerinnen eine Ausstellung zum Thema "70 Jahre Frauenwahlrecht" vor und - wie so oft bei Frauenforschungsprojekten - war es schwierig, Dokumente zum Leben der ersten Wählerinnen zu finden. Edith Saurer, Doyenne der österreichischen Frauen- und Geschlechtergeschichte, hatte deshalb die Idee zu einer Sammlung, die über das Leben von Frauen, aber auch über ihre Schreib- und Erinnerungspraktiken erzählen sollte. Ein Aufruf im Magazin der Wiener Linien, das in allen Straßenbahnen und U-Bahnen aufliegt, führte schließlich zum Kontakt mit der Familie von Mathilde Hanzel-Hübner. Der umfangreiche Nachlass der bürgerlichen Frauenrechtlerin bildete einen ersten Grundstock für das Archiv.

Dass bis heute schriftliche Nachlässe von Frauen ohne inhaltliche Einschränkung gesammelt werden, macht die Sammlung Frauennachlässe an der Uni Wien auch einzigartig im deutschsprachigen Raum. Aber ungeachtet der positiven Evaluierung ihrer Aktivitäten durch internationale Gutachten sei die Zukunft der Sammlung momentan ungesichert, erzählt die wissenschaftliche Leiterin, die Historikerin Christa Hämmerle. Der allgemeine Geldmangel an den Universitäten bedrohe auch hier die Arbeit - die nur sehr schwer über Drittmittel zu finanzieren sei.

Briefe und Haushaltsbücher

Rund 800 Boxen bzw. 250 Nach- und Vorlässe umfasst die Sammlung heute. Vorlässe deshalb, weil manche Frauen schon zu Lebzeiten persönliche Dokumente in die Sammlung einbringen möchten. Der Umfang der Bestände, die an das Archiv übergeben werden, ist ganz unterschiedlich: Von einem einzigen Brief bis hin zu einem Nachlass, der Memorabilia von sechs Generationen umfasst und bis in das Jahr 1730 zurückreicht, geht die Bandbreite.

Die Motivation, warum Menschen auf die Sammlung Frauennachlässe zukommen, sei von Fall zu Fall verschieden, schildert Li Gerhalter. Manche möchten an eine Person erinnern, die ihnen wichtig war - egal, ob Mutter, Schwester oder Tante. Manchmal sei einfach zu wenig Platz vorhanden, um die über Jahrzehnte geführten Haushaltsbücher der Mutter aufzubewahren, in denen sie jahrzehntelang penibel ihre Einnahmen und Ausgaben aufgeschrieben hat. Andere wollen, dass bestimmte Ereignisse nicht in Vergessenheit geraten, ob Krieg, Verfolgung oder auch die Schulzeit. Und einige möchten Teil des kollektiven Gedächtnisses werden.

Eine Frau habe einmal zu ihr gesagt: "Damit werde ich unsterblich", erzählt Gerhalter: "Das war zwar als Scherz gemeint, aber ein bisschen Ernst steckte auch darin." Neben Fotoalben bekommt die Sammlung vor allem Tagebücher, Poesiealben und Korrespondenzen - "oft Liebesbriefe, wunderbar verziert mit Schleife oder in einer schönen Schachtel", aber auch alltägliche Aufzeichnungen.

Wissenschaftliches Interesse

Zwei zentrale Gründe gibt es für den Betrieb des Archivs: Zum einen soll es einen institutionalisierten Ort geben, wohin Frauen ihre Selbstzeugnisse und Alltagsdokumente geben können. Und zum zweiten ist eine solche Sammlung eine wertvolle Grundlage für wissenschaftliche Arbeiten. Allein die Zahlen belegen das große Interesse an den Beständen des Archivs: Derzeit werden zwölf Dissertationen geschrieben, die auf Dokumenten der Sammlung aufbauen. Ein vom Forschungsförderungsfonds FWF gefördertes Projekt analysiert Liebeskorrespondenzen von 1870 bis 1970, auch für eine Habilitation zum Schwerpunkt Fordismus wird auf die Archivbestände zugegriffen.

Daneben wird die Sammlung in der universitären Lehre intensiv genutzt. Neben einer eigenen Ausstellung gibt es immer wieder Kooperationen mit Museen, die Einblicke in das Leben und die Schreibpraxis von Frauen geben wollen. Zum Schwerpunkt Migration wurden etwa Kontakte bis in die USA geknüpft.

Wie sehr die sprunghafte Entwicklung der "Erinnerungsmedien" in den letzten beiden Jahrzehnten die Archivarbeit verändern wird, können Li Gerhalter und Christa Hämmerle noch nicht abschätzen. Auch wenn sich sogar E-Mails aus dem Jahr 1990, also aus der "Steinzeit" der digitalen Kommunikation, im Bestand befinden, könne man heute nicht sagen, ob und in welcher Form etwa SMS einmal aufgehoben werden. Sofern die Finanzierung der Sammlung Frauennachlässe schnell geklärt wird, kann man jedoch damit rechnen, dass auch die Alltagskommunikation heutiger Frauen zukünftigen Forschergenerationen zur Verfügung steht. (Elke Ziegler/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 21.12.2011)