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Weibliche Exzellenz wird in der Wissenschaft oft verdeckt, weil Frauen eher in wenig prestigeträchtigen Fächern arbeiten.

Foto: AP/Archiv

In der Wissenschaft existiert eine zementierte Hierarchie der Forschungsbereiche, die die Soziologie auf die unteren Plätze in Bezug auf die wissenschaftliche Anerkennung verweist. Mathematik dagegen genießt hohes Ansehen. Das erklärte der norwegische Informatiker Knut Liestøl in seinem Kommentar zu Hierarchie, Chancengleichheit und Gender im Rahmen der Konferenz "Science Year 2011" vergangene Woche. Daraus folgert er die strukturelle Unterbewertung von Frauen im akademischen Bereich.

Altes Modell, falsch verstanden

"Es gibt eine Hierarchie der Fächer, und die ist tiefsitzend", so Liestøl, "diese Prioritäten werden nicht von der Gesellschaft gesetzt, sondern korrespondieren mit männlichen Kriterien (innerhalb der Forschungsgemeinschaft, Anm.)." In seinem Vortrag ging der Informatiker auf deren Ursprünge ein: "Der französische Philosoph Auguste Comte entwickelte die Hierarchie der Wissenschaften um 1803. Er stellte Mathematik an die Spitze, gefolgt von Astrophysik, Physik, Chemie, Biologie und Soziologie. Diese Reihung sollte laut Comte den Fortschritt des Forschungsstands innerhalb der jeweiligen Fächer reflektieren, nicht aber Aussage über deren Relevanz treffen." Im Gegenteil: Für Comte war Soziologie die wichtigste Wissenschaft, so Liestøl.

Auswirkungen heute

In seinen Forschungen stellte sich der Informatiker die Frage, ob diese klassische Hierarchie auch heute noch relevant ist. Dafür analysierte er die norwegischen Fördervergaben an "Herausragende Junge ForscherInnen" im Jahr 2003 und stellte eine nahezu perfekte Korrelation mit Comtes Reihung fest. Die Fächer, die der Philosoph einst an die Spitze setzte, bekamen auch die größten finanziellen Zuwendungen: In den Fächern Mathematik, Astrophysik und Physik wurden die meisten ForscherInnen gefördert, gefolgt von Chemie. BiologInnen wurden nur sehr wenige unterstützt und SoziologInnen gar nicht.

Frauen ganz unten

"Wo kommen die Frauen in dieser Hierarchie vor?", fragte Liestøl. "Ich habe mir den Frauenanteil bei Festanstellungen an den norwegischen Unis abgesehen, und wieder ein 'perfektes' Ranking nach Comte festgestellt. Die wenigsten Frauen gibt es an der Spitze, und je näher die Basis der Hierarchie kommt, desto mehr werden sie." In der Mathematik finden sich laut dem Forscher 12 Prozent Frauen, in der Astrophysik/Physik 14 Prozent, in der Chemie 18 Prozent, in der Biologie 20 Prozent und in der Soziologie 41 Prozent.

"Prestigeträchtige Krankheiten"

Seine Ergebnisse führte Liestøl in seinem Vortrag an einem Beispiel aus der Medizin noch detaillierter aus: Dag Album vom Institut für Soziologie und Humangeografie an der Uni Olso untersuchte erstmals im Jahr 1991 "prestigeträchtige Krankheiten", und 2007 das zweite Mal. Dafür interviewte er FachärztInnen, HausärztInnen und Medizinstudierende vor dem Abschluss. "Album stellte fest, dass bestimmte Arbeitsbereiche in der Medizin immer als die wichtigsten genannt wurden. Ganz oben war die Chirurgie, ganz unten die Geriatrie", so Liestøl. Die "prestigeträchtigsten Krankheiten" waren demnach Herzinfarkt, Leukämie und Hirntumore, während Fibromyalgie (nicht heilbarer chronischer Faser-Muskel-Schmerz) und Angststörungen die mit dem niedrigsten Ansehen waren.

"Frauen sind da zu finden, wo die Gesellschaft sie braucht"

Besonders auffällig sei hierbei, dass alle drei Gruppen von Befragten sehr ähnliche Wertungen abgaben, so Liestøl: "Auch hier haben wir es mit einer tief verwurzelten Hierarchie zu tun." Weiters führte er eine Studie von Inge Henningsen (1999) von der Uni Kopenhagen an, in der sie das Ansehen der medizinischen Gebiete mit dem jeweiligen Frauenanteil abglich und damit andere Studien zum Thema bestätigte: Weniger als 20 Prozent der Medizinerinnen arbeiten demnach in den Prestige-Bereichen, dafür über 50 Prozent in den wenig angesehenen. "Frauen sind da zu finden, wo die Gesellschaft sie braucht und nicht, wo Prestige wartet", kommentierte Liestøl, der auch anmerkte, dass solche Ungleichheiten sich auch auf die Qualität der Forschung auswirken könnte. (red)