DER STANDARD-
Schwerpunktausgabe Patchwork

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Traditionell und gleichgeschlechtlich, überdreht und konventionell: Familie 2011 zwischen Bipa ... und Putz für XXXLutz.

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... und Putz für XXXLutz.

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Rudelführerin Haider-Merlicek, hier mit Kätzchen beim Putz-Dreh in Südafrika

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Wien - Treue. Nicht der erste Gedanke zur Kommunikationsbranche. Der Ringelreihen der Etats füllt Branchenblätter im Dutzend.

Treue und Familie. Nicht die erste Assoziation mit Werbern. Lange Arbeitsnächte, längere Partys. Noch überdrehtere Ideen, extravagantere Drehs, noch schönere Menschen, bei der nächsten Agentur.

Rosa Haider-Merlicek ist Patchwork in Person. Kreativdirektorin bei Demner, Merlicek & Bergmann, Österreichs größter Werbeagentur. Und doch sieht sie ständig ganz klassische Familiengefüge um sich. Und Kunden, die ihr viele, viele Jahre die Treue halten.

Einer davon ist mit einer Familie gewachsen, vom Lutz zum XXXLutz. Dabei hatte es gar nicht so harmonisch begonnen.

Familie Putz verstörte das p. t. Werbepublikum erst. Linda und die Großmutter hatten die Hosen an. Familienvater Max trug Schürze. "Wir wollten die Rollen umdrehen", erinnert sich Erfinderin Haider-Merlicek. Aber: "Die Leute haben das unsympathisch gefunden. Vielleicht doch ein ungewöhnlicheres Muster." Der Kunde blieb treu, ließ die Agentur an den Sympathieschrauben drehen. Putzes wohnen zwar noch immer im Einrichtungshaus und unternehmen schrille Ausflüge in die Welt von Rocky Horror oder Alice im Wunderland, leben Erotik im Tango mit der Möblage aus. Aber im Gefüge sind sie eine ziemlich normale Familie. Nur Großmütter wechseln im richtigen Leben halt eher selten fliegend.

"Wir können die Menschen in ihren Wohnzimmern, in denen wir zu Gast sind, nicht befremden", sagt Haider-Merlicek. Romane, Hollywood und TV-Serien schafften erst das Bewusstsein für schwule Paare mit adoptierten Kindern, in Wohngemeinschaft mit Schwester oder bester Freundin. Jahre habe es bei Grey's Anatomy gedauert, bis Callie Torres ihre lesbische Beziehung offenbaren konnte. "Werbung hat nicht die Zeit, nicht die Chance, ein Bewusstsein dafür zu etablieren." Werbung als Avantgarde? "Niemals", sagt Haider-Merlicek: "Die Werbung ist ein Spiegel der Gesellschaft." Jedenfalls für so breite Zielgruppen wie bei XXXLutz.

Die Gesellschaft hat offenbar einiges weitergebracht, seit das Matriarchat der Familie Putz sie verstörte. Längst spielen die Möbelhauskollegen von Ikea (Agentur DDB) gewitzt mit einem heterosexuellen Seitensprung in einer, Überraschung, schwulen Beziehung. Für die Wiener Städtische erzählt Young & Rubicam von der Alleinerziehenden und ihrem Nachbarn. D, M & B lässt in der Weihnachtskampagne für Bipa ein wohl lesbisches Paar mit Kindern Bescherung feiern.

Familie geht auch ohne Vatermutterkind, "das haben wir in WGs gelernt. Jedes Zusammenleben unter einem Dach beginnt ganz von selbst, diese Gefäße, diese Rollen aufzufüllen. Irgendwer übernimmt die Mutterrolle, irgendwer den Vater und einer oder eine das schlimme Kind. Schon hast du eine Familie, so schnell kannst du gar nicht schauen."

Familie, wohin man schaut. Beim Dreh für den Werbefilm zahlt als Vater "der Produzent die Rechnungen und erinnert alle an die Pässe, Regisseur und Kameramann machen die Nacht zum Tag und holen sich im Morgengrauen die Schimpf ab". Ob Mariusz Jan Demner gern hört, dass er für Haider-Merlicek der Agenturvater ist? Und sie? Mutter? "Gott sei Dank nein." Als "Alphatier" im "Rudel" von Kollegen, manche ähnlich jung wie ihr erster Sohn, lässt sie vom Familienbild: "Auf der Jagd" wären sie, nach Kunden, nach der besten Idee, nach Kreativpreisen.

Jagen im Rudel

Und wie lebt das Rudel? Jüngere oft lange allein vor lauter Arbeit. "Die wunderhübschesten Frauen gehen hier ein und aus, viele ohne Partner." Aber eben fängt ein junger Texter Anfang 30 in ihrem Team an, mit Frau und vier Kindern. "Es gibt ganz normale Familien, oder?", fragt Haider-Merlicek da rüber zum Agentur-Empfang: "Natürlich, gibt's auch."

Haider hat mit Patchwork einige Erfahrung: Sie hatte eine Mutter, zwei Väter. Ihren ersten Sohn zog sie allein auf, weil sich dessen Vater, aus der Branche, nicht als solcher sehen wollte. Dann Liebe und Zwillinge mit dem 19 Jahre älteren Franz Merlicek, aus der Agentur, Familie, ja, aber bitte keine Fulltime-Mutter mit dem Staubsauger in der Hand, finden beide.

Mit ihrem "Hirtenhund-Gen, ich gemeinde alle ein" entsteht da ihre Großfamilie. Gerade zu Weihnachten: frühere Lebensgefährtin ihres Mannes, drei Söhne, deren früheres Au-pair-Mädchen aus der Mongolei. Ein Pianist aus Japan, der auch "zur Familie gehört". Und wenn "in der Nachbarschaft wer alleine ist, würde ich den oder die auch mitnehmen, und wir sind eine Familie." So schnell kannst gar nicht schauen. (Harald Fidler, DER STANDARD; Printausgabe, 17./18.12.2011)