Die Koalitionschefs streiten mittlerweile völlig offen, ob ihnen Grün oder Blau zur Zweidrittelmehrheit für die Schuldenbremse verhelfen soll. Kanzler Werner Faymann hält fest, dass er "mit gutem Grund kein Gespräch mit der FPÖ zur Schuldenbremse führt". Ihre Forderung, kein Geld für den Euroschutzschirm zur Verfügung zu stellen, würde den Austritt aus der EU bedeuten: "Das würde unser Land in den Abgrund und zu Massenarbeitslosigkeit führen. Ich sage ganz deutlich: Das kann und darf keine Gesprächsgrundlage sein."

ÖVP will "breiten Konsens"

Die ÖVP stellt klar, dass ihr die SPÖ nicht ihre Gesprächspartner diktieren könne und sie einen "breiten Konsens" zur Schuldenbremse in Krisenzeiten erzielen wolle. Parteiobmann und Vizekanzler Michael Spindelegger betont, er wolle mit jeder Oppositionspartei reden. Das erste Treffen mit FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache sei jedenfalls "auch konstruktiv" gewesen - eben wie jene der Regierungsspitze mit BZÖ und Grünen. "Ich habe mit Klubobmann Strache gesprochen - ob Sie das lustig finden oder nicht!" (Mehr dazu hier. )

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STANDARD: Wie sicher sind Sie, dass der Euro die Schuldenkrise überleben wird und nicht auch noch die EU ins Verderben reißt?

Faymann: Im Unterschied zu Spekulanten wette ich nicht. Schon gar nicht darauf, dass etwas schlechter wird. Tatsächlich stehen wir vor einer extremen Belastungsprobe. Rechnet man auf, wie viel Refinanzierungsbedarf die großen Länder in den nächsten zwei Jahren haben werden, und setzt man dem gegenüber, was wir in unseren Schutzschirmen geparkt haben, kann man unschwer erkennen, dass das zu wenig ist, um in einem absoluten Ernstfall wirklich ein Auseinanderreißen der Eurozone zu verhindern. Wir haben zu wenig Löschwasser. Jetzt kann man es natürlich optimistisch angehen und sagen, so schlimm wird es nicht werden. Italien und Spanien können immer noch am freien Markt ihre Staatsanleihen platzieren, und mit geringen Hilfsmaßnahmen lässt sich das Schiff steuern. Aber versprechen kann das niemand.

STANDARD: Wie viel bräuchte man?

Faymann: Wir hätten gerne eine Ausnutzbarkeit des Schutzschirms - Stichwort Hebelmechanismus - von einer Billion, aber so weit sind wir noch nicht. Wenn ich zwei, drei Jahre überspringe und frage, was wäre nachhaltig und ausreichend, bin ich bei einer Feuermauer mit Eurobonds. Die andere Möglichkeit wäre, dass sich der Europäische Stabilitätsmechanismus ESM mit einer Bankenkonzession bei der Europäischen Zentralbank refinanzieren kann. Beide Modelle würden eine viel höhere Verpflichtung bedeuten und auch viel höheres Risiko. Dazu brauchen wir funktionierende Regelwerke wie eine Schuldenbremse. Im Moment muss man sagen, dass wir stark genug sind, um Gewitterwolken auszuhalten, aber nicht stark für ein richtiges Gewitter. Da fehlt es an Zusammenarbeit in der Union.

STANDARD: Welches Modell präferieren Sie?

Faymann: Mir gefällt der Vorschlag gut, dass sich der Schutzschirm mit einer Bankenkonzession refinanzieren kann. Aber dazu müssten die Regelwerke in Ordnung sein.

STANDARD: Noch sind die Regelwerke aber vage, da machen vielleicht nur 17 von 27 EU-Staaten mit.

Faymann: Nach unserem Plan legen wir im März einen Text vor, wie wir einander verpflichten. Diesem Vertrag werden nicht alle 27 zustimmen, ich schätze aber, es werden mehr als 20 mitmachen, vielleicht sogar alle außer Großbritannien.

STANDARD: Wo könnte es noch krachen, ehe das Regelwerk steht?

Faymann: Italien muss für seine Anleihen zu hohe Zinsen zahlen. Schwierigkeiten gibt es bei der Refinanzierung von Banken, das können manche Länder nicht mehr leisten, wenn ihre Banken staatliche Hilfe brauchen. Bei uns haben die Banken erklärt, sie schaffen das aus eigener Kraft, für Bereiche wie Volksbanken oder Hypo laufen Gespräche. Andere Länder können das gar nicht selbst in Angriff nehmen, da müsste der Schutzschirm aushelfen.

STANDARD: Für die Verankerung der Schuldenbremse in der österreichischen Verfassung brauchen Sie Unterstützung der Opposition. Wie optimistisch sind Sie, Grüne oder BZÖ noch ins Boot holen können?

Faymann: Gerade die Grünen haben immer wieder sehr konstruktiv mitgewirkt bei den Diskussionen. Zeit hätten wir bis Ende 2012 oder vielleicht bis 2013. Wir wollen aber schneller sein und zeigen, in welche Richtung wir Österreich führen. Daher würde ich es mir sehr wünschen, dass es uns am Anfang des Jahres gelingt, einen weiteren Partner zu finden, um die Schuldenbremse in der Verfassung zu verankern.

STANDARD: Sie hoffen also auf die Grünen?

Faymann: Ich habe das Gefühl, dass die Gespräche konstruktiv laufen. Man kann sich im Leben auch irren - aber ja. Ich habe da ein gutes Gefühl.

STANDARD: Warum verhandeln Sie nicht mit der FPÖ, und wie geht es Ihnen dabei, dass die ÖVP sehr wohl direkte Gespräche mit Strache führt?

Faymann: Ich führe mit gutem Grund kein Gespräch mit der FPÖ zur Schuldenbremse, denn sie stellt die Bedingung, dass kein Geld für den Euroschutzschirm zur Verfügung gestellt wird. Diese Forderung bedeutet nichts anderes als den Austritt aus der Europäischen Union und die Zerschlagung der gemeinsamen Währung - mit unabsehbaren Folgen für Österreich und Europa. Diese Forderung würde unser Land in den Abgrund und zu Massenarbeitslosigkeit führen. Ich sage das ganz deutlich: Das kann und darf keine Gesprächsgrundlage sein.

STANDARD: Was eine Vermögenzuwachssteuer betrifft, sind Sie mit den Grünen praktisch einer Meinung. Was müssen Sie tun, um die ÖVP davon zu überzeugen?

Faymann: Der Vizekanzler legt großen Wert darauf, dass wir zuerst über die Einsparungen befinden und dieses Thema besonders in den Vordergrund stellen. Mir ist es wichtig, dass insgesamt etwas passiert, einnahmen- und ausgabenseitig. Die Reihenfolge darf nicht heißen, dass man nach dem ersten Schritt stehenbleibt, nämlich nur ausgabenseitig zu sparen. Wir brauchen auch einnahmenseitige Maßnahmen. Ich habe das Gefühl, da ist jetzt Bewegung hineingekommen. Aber ich würde noch nicht so weit gehen, dass ich sage, das ist positiv erledigt. Da wird es noch heftige Diskussionen geben. Nämlich insbesondere um die Frage, ob man die Spekulationsfrist für Immobilienverkäufe mit zehn Jahren aufhebt und eine Vermögenssteigerung beim Grundstücksverkauf besteuert - ausgenommen Hauptwohnsitz.

STANDARD: Wie viel könnte diese Maßnahme bringen?

Faymann: Die Grünen haben einmal den Betrag von eineinhalb Milliarden genannt. Ich möchte jetzt keine Beträge nennen, weil ich zuerst verhandeln muss, aber mit einem symbolischen Beitrag von 50 Millionen ist es sicher nicht getan.

STANDARD: Wen wollen Sie damit treffen?

Faymann: Wenn jemand mehrere Grundstücke und Immobilien hat und damit Gewinne macht, soll er für diese zusätzlichen Erträge Steuer zahlen. Auch jeder Bäcker und Mechaniker zahlt Steuern. Es sollen sich aber nicht die Falschen betroffen fühlen. Deshalb der Ausdruck soziale Gerechtigkeit. Es geht um mehr soziale Gerechtigkeit. Reich und Arm entwickeln sich auch nach der Krise stärker auseinander. Und Österreich gehört zu den Ländern mit gerin- gen vermögensbezogenen Steuern. Das ist kein Naturgesetz, gegen das man nichts machen kann. Das ist eine gesellschaftspolitische Rahmenbedingung, und die kann man ändern.

STANDARD: Und Sie haben einen Koalitionspartner, und der sieht das anders.

Faymann: Da ist jetzt guter Wille und Durchsetzungsvermögen nötig. Man kann nicht einfach sagen: "Da kann man nichts tun."

STANDARD: Die ÖVP argumentiert gerne, dass man damit die Reichen vertreiben würde.

Faymann: Dieses Argument kann ich nicht akzeptieren. Ich glaube nicht, dass die Reichen dann alles ins Ausland verfrachten würden. Viele Menschen, gerade auch wenn sie wohlhabend sind, wissen, dass sie von der sozial ausgewogenen Gesellschaft in Österreich profitieren. In anderen Ländern sind die sozialen Spannungen derart groß, dass reiche Menschen sich abschotten und für Security-Dienste zahlen müssen. Ich kenne eine Reihe von Menschen, die zu den Vermögenderen gehören, die sind darauf stolz, dass man in Österreich so leben kann, und die wären auch bereit, einen höheren Beitrag zu leisten. Und bei Immobilien ist es ja gar nicht so leicht mit dem Davonlaufen. Das sagt ja schon der Begriff Immobilie.

STANDARD: Sie haben sich mit der ÖVP auf einen Konsolidierungsbedarf von zwei Milliarden Euro geeinigt, es geht also um Einsparungen und zusätzliche Einnahmen. Für zusätzliche Einnahmen müssten Sie doch längst die Weichen gestellt haben. Neue Steuern lassen sich nicht von einem Tag auf den anderen in Kraft setzen.

Faymann: Es gibt eine Reihe von Möglichkeiten in unserem Steuersystem, um auch während des Jahres Maßnahmen setzen zu können. Aber Ihre Vermutung stimmt, dass viele Einnahmen- und auch Ausgabenveränderungen erst 2013 greifen werden.

STANDARD: Eine kurzfristige Maßnahme, die viel Geld bringen würde und laut Experten auch sozial sehr verträglich wäre, ist eine stärkere Besteuerung des 13. und 14. Monatsgehalts.

Faymann: Da denke ich nicht an eine Änderung.

STANDARD: Wer wird von diesem Konsolidierungspaket am meisten betroffen sein?

Faymann: Wir wollen uns bei den einnahmenbezogenen Maßnahmen nicht an die kleinen Einkommensbezieher wenden. Eine Vermögenssteuer wäre bei einem Vermögen von mehr als einer Million Euro wirksam.

STANDARD: Da kommt ein anderes Thema quer hinzu, die Frage der Studiengebühren. Es wird kolportiert, da könnte es einen Abtausch geben: Die SPÖ stimmt den Studiengebühren zu, die ÖVP akzeptiert dafür im Gegenzug Vermögenszuwachssteuern. Was ist da dran?

Faymann: Der Beschluss der SPÖ ist gegen Studiengebühren. Wenn wir jetzt einen Schritt machen in Richtung Finanzierung außerhalb der öffentlichen Hand für die Universitäten, dann werden derzeit verschiedene Modelle diskutiert. Wichtig ist, dass es keine finanziellen Hürden für Studierende gibt. In den USA gibt es beispielsweise die Tradition, dass ein Absolvent immer wieder für seine Universität spendet. Das wäre dann eine Art Solidarbeitrag, das könnten wir auch machen.

STANDARD: Sie könnten sich das verpflichtend vorstellen?

Faymann: Richtig, ein solches Modell wird diskutiert. Vermögende sollen mehr zum Wohl der Allgemeinheit beitragen als in der Vergangenheit. Wir haben eine Reihe von Modellen, die man im weitesten Sinne des Wortes als "solidarisches Verhalten" über das direkte Steuersystem hinaus bezeichnen könnte. Bei den Unis ist klar, dass der Zugang nicht erschwert werden darf. Jede Regelung, die jetzt diskutiert wird, wird zum Schluss daran gemessen werden, ob sie den Zugang zu den Unis für Kinder aus Haushalten, die keine Akademikerfamilien sind, erleichtert oder erschwert. Wenn der Zugang erschwert wird, ist es falsch. Wenn er erleichtert wird etwa durch Verbesserung von Stipendien und im Gegenzug Modelle greifen wie Solidarbeiträge von Wohlhabenden, dann ist das eine Richtung, die unsere Prinzipien beibehält. Und darauf wird es ankommen.

STANDARD: Ihr Internet-Auftritt in den Social-Media-Foren war ja nicht unbedingt ein Erfolg. Wird es da Änderungen geben?

Faymann: Im Vergleich zu einer lustigen Facebook-Seite wird die Seite des Bundeskanzlers immer eher langweilig sein. Als Bundeskanzler möchte ich ja nicht durch besonders gute Comedy auffallen, sondern durch sinnvolle Maßnahmen, die im Land gesetzt werden. Ich kann Ihnen nicht versprechen, dass wir lustig sein werden, auch nicht, dass wir die beste Facebook-Seite zustandebekommen. Ich kann Ihnen nur sagen, dass wir seriös damit umgehen.

STANDARD: Aber Sie werden diesen Kanal weiterhin bedienen?

Faymann: Ja, mit meinem Team, auf der seriösen Seite. Dabei hätte ich oft auch lustige Einfälle, aber ich bin der Bundeskanzler. (Michael Völker, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 17.12.2011)