DER STANDARD-Schwerpunktausgabe Patchwork

Foto:

Bild nicht mehr verfügbar.

Nicht nur der Schreibtisch - sondern auch zweckfreier Raum - wird als Entwicklungs- und Wachstumszone gesehen.

Foto: REUTERS/Eddie Keogh

Der dreiteilige Lebenslauf - eine Ausbildung, ein Job und dann (endlich) die Pension - ist vorbei. Davon ist Harry Gatterer, Geschäftsführer des Zukunftsinstituts in Wien, überzeugt. Die Arbeitswelt sei multipolar, auch wenn das denjenigen, die Systeme und Organisationen steuern wollen, wirklich Mühe macht und sie am liebsten möglichst große Teile der Belegschaft in traditionellen Strukturen "managen" würden, statt sich mit zunehmender Vielfalt herumzuschlagen. Mit nunmehr vier Generationen (Babyboomer - geboren zwischen 1945 und 1960, Generation X - geboren zwischen 1960 und 1980, Generation Y - geboren zwischen 1980 und 2000 und die Generation Z - geboren ab 1995) gibt es aber kein Zurück in die Welt, in der jeder froh war, wenn er einen Schreibtisch und einen PC zugewiesen hatte.

Gatterer: "Paradigmen brechen. Vor allem bei den Jungen. Die wollen nicht mehr den einen Lebensjob, sie finden am Patchwork im Arbeitsleben auch nichts Schlechtes, sie leiden nicht darunter." Dem entsprechen auch die Forschungserkenntnisse über die Wünsche und Bedürfnisse der Generation Y, der sogenannten Digital Na-tives: Sie wollen alles - und das sofort. Heilsversprechen von Arbeitgebern, wonach später gut entlohnt wird, wer jetzt ordentlich reinrackert, glauben sie nicht. Sie wollen sich einsetzen und mit ihrer Arbeit identifizieren, aber sie muss auch Spaß machen und sinnerfüllt sein - wenn das nicht mehr passt, dann ziehen sie weiter, bestückt mit der Lebenserfahrung der sogenannten Generation Praktikum. Diese Generation, sagen die Studien und Umfragen, will jetzt ordentlich leisten, ordentlich Geld, eine gute Position und ordentlich Freizeit. Also alles optimiert sofort.

Austausch auf Augenhöhe

Zudem kommunizieren die Mittzwanziger mit ihren Arbeitgebern auf Augenhöhe - devot vor der Türe des Chefs warten ist nicht ihre Sache: Waren sie doch schon im Kindergarten kleine Mitbestimmer, wurden als Qualitätskinder auf dem Rücksitz zu mannigfaltigen Ausbildungen gefahren, sind überwiegend gut und international ausgebildet. Und sie wissen: Die Demografie ist auf ihrer Seite - wenn sie ihre Arbeitskraft anbieten, dann werden sie als Preziosen gesehen - dem entsprechend eben ihr Selbstbewusstsein.

Vor allem in der neuen Generation - aber nicht nur dort - werde eine Balance zwischen Arbeit und Beruf, gern auch unter Opferung der schön getakteten Regelmäßigkeit - immer wichtiger. Verantwortung und halbe-halbe in der Familienbetreuung habe Inhalt, sei nicht nur noch Motto.

Vorbilder gebe es für diese Jungen kaum, sagt Gatterer. Aber: "Ohne Patchwork könnten sie sich ein Leben vermutlich gar nicht mehr vorstellen." Er verweist zudem darauf, dass mehr als die Hälfte der Unternehmen in Österreich Ein-Personen-Firmen sind, "die leben per definitionem im Patchwork, von Projekt zu Projekt, mit wechselnden Kooperationen und Teams" . Die Wirklichkeit sei weiter als die Rahmenbedingungen steuerlicher und arbeitsrechtlicher Natur.

Gatterer will sich aber nicht bloß auf die innerhalb des "War for Talents" in alternden Gesellschaften so viel beforschten Jungen konzentrieren. In Studien aus Deutschland hat er herausgefunden, dass über mehr als Prozent aller "Büroarbeiter" angeben, sie könnten gut ohne fixen Arbeitsplatz auskommen. "Patchwork" , ursprünglich negativ aus der soziologischen Familienbetrachtung konnotiert, habe auch da seinen schlechten Beigeschmack verloren.

Raum - nicht Schreibtisch

Folgerichtig arbeitet auch das Zukunftsinstitut an neuen Büros. Dort wird Raum zur Verfügung gestellt. Nicht der Schreibtisch, auch zweckfreier Raum, der als Entwicklungs- und Wachstumszone gesehen werde. Gatterer: "Zellen- oder Großraumbüros, in denen jeder seinen vermessenen Schreibtisch und Computer hat, sind sicher nicht die Zukunft." Das zunehmende Gefühl laute: "Der Arbeitsplatz bin ich selbst." Immerhin: Wir befänden uns in der Wissensökonomie, in der vom Wissen via Kreativität Neues entsteht. Dass da zwischen den Generationen extrem unterschiedliche Werte und Bedürfnisse aufeinanderprallen, sieht er auch: "Da gibt es sicher viele Bruchstellen im System." Tatsache bleibe aber - und die Komplexität werde sich weiter erhöhen: Die Vielfalt der Lebens- und Arbeitsmodelle werde weiter zunehmen.

Zugrunde lägen dem drei sogenannte Megatrends: Individualisierung, New Work und Connectivity. Erste bedeute, dass Menschen zunehmend auf sich selbst gestellt sind in der Lebensgestaltung, dass sich Verbindungen und Vertrauen neu definieren und nicht auf Althergebrachtem fußen. Beide würden ständig neu verhandelt und seien nicht lebenslang vorgeprägt, erklärt Gatterer. Das ängstige - ja, aber schaffe Freiheit. Dazu komme in der vernetzten Welt ein riesiger Möglichkeitsraum, in dem sich das Spektrum der Wahl- und Aktionsräume permanent erweitert. New Work bringe mit sich, dass Menschen auch den Anspruch entwickeln, aus ihrem Wissen und ihrer Kreativität Neues zu schaffen. (Karin Bauer, DER STANDARD, Printausgabe, 17./18.12.2011)