Drei Minuten Gewalt: Zwei Zivilbeamte ohrfeigen eine 37-jährige Frau, die bei einer Kontrolle keinen Ausweis dabeihatte.

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Der Gouverneur hat sich entschuldigt, die Familienministerin nannte den Vorfall "inakzeptabel", und die Justiz hat eine Kehrtwende gemacht und den Staatsanwalt ausgetauscht. Zwei türkischen Polizisten in Izmir wird nun der Prozess gemacht, weil sie mit hemmungsloser Gewalt auf der Polizeiwache eine Frau prügelten. Vorher war es genau andersherum: Die 37-jährige Fevziye Cengiz sollte für sechseinhalb Jahre ins Gefängnis, weil sie angeblich die zwei Polizisten beleidigt und gekratzt hatte.

Knapp drei Minuten dauert der Videoausschnitt einer Sicherheitskamera, der die türkische Öffentlichkeit empört. Gewalttaten von Ehemännern und Vätern gegen Frauen gehören zum Alltag im Land. Polizisten, die eine Frau schlagen, hat man so noch nicht gesehen.

Zwei Beamte in Zivil stoßen die Frau in das Büro hinein, versetzen ihr Ohrfeigen, reißen ihren Kopf an den Haaren nach hinten, zwingen sie auf den Boden. Einer der Polizisten kniet auf der Festgenommenen und prügelt weiter auf sie ein. Fevziye Cengiz ist wehrlos. Die beiden Beamten - Hakan Yörük und Beyit Sezgin - haben ihr zuvor die Hände mit Handschellen auf den Rücken gebunden. Ein Beamter in Uniform schaut zu und hebt ein Funkgerät auf, das bei der Prügelei auf den Boden gefallen war. Das "Vergehen" der Frau: Bei einer Personenkontrolle keinen Ausweis zur Hand gehabt.

Späte Suspendierung

Der Vorfall liegt bereits fünf Monate zurück. Vergangenen Freitag veröffentlichte eine türkische Tageszeitung die Prügelbilder von der Polizeiwache Karabaglar im Süden der Vier-Millionen-Stadt Izmir. Erst dann wurden die zwei Beamten vom Dienst suspendiert. Diese Woche wurden der Videoausschnitt veröffentlicht - und ein Bild, das Fevziye Cengiz von ihrem Gesicht machte. Auch gegen den Polizeiarzt, der die Striemen auf dem Gesicht ignorierte, wird nun ermittelt. Cengiz war an einem Juli-Abend bei einer Personenkontrolle in einem Vergnügungslokal festgenommen worden. Sie soll dort mit ihrem Mann Murat und ihrem Kind gewesen sein. Als ihr Ehemann nach draußen ging, um den Personalausweis zu holen, nahmen die Beamten die Frau einfach mit zur Wache. Sie sei eine Prostituierte, hieß es im Nachhinein bei der Polizei in Izmir, was nach Auffassung der Beamten offenbar die Schläge rechtfertigte.

Familienministerin Fatma Sahin hat den Vorfall in Izmir benutzt, um auf entschiedenere Unterstützung des Staats für die Frauen zu drängen. Sahin kündigte diese Woche die Einführung eines Notrufsystems an. Frauen, die bereits durch gewalttätige Männer in ihrem Verwandtenkreis gefährdet sind, sollen einen Sender erhalten, mit dem sie im Notfall eine Polizeistelle alarmieren können.

Kein wirkliches Problem

Die Ministerin hatte früher bereits die Einführung von elektronischen Fußfesseln zur Überwachung von Gewalttätern angekündigt. Das Gesetz lässt allerdings weiter auf sich warten. Und ein Problem ist dabei nach Ansicht von Anwälten und Bürgerrechtlern mit Izmir nur deutlicher geworden: Türkischen Polizeibeamten könnten die Frauen nicht trauen. Sie sähen oft genug kein wirkliches Problem darin, dass Ehemänner ihre Frauen schlagen.

Tödliche Gewalt gegen Frauen ist an der Tagesordnung. Alle 36 Stunden wird im Land eine Frau umgebracht: Am Dienstag dieser Woche stieß in Trabzon ein Ehemann seine Frau im Streit nieder, am Mittwoch erschoss eine Mann seine Ex-Freundin vor dem Gerichtsgebäude in Zonguldak. (Markus Bernath aus Istanbul, DER STANDARD, Printausgabe, 16.12.2011)