Auf Shakespeares Spuren: Rodrigo Porras-Garulo als Claudio in Richard Wagners Jugendwerk "Das Liebesverbot".

Foto: Meininger Theater

Das kleine Südthüringer Meiningen hatte einst seinen berühmten Theaterherzog Georg II. (1826-1914). Jahrzehntelang regierte der vormittags seinen Mini-Staat und nachmittags sein Theater. Auf vielen Gastspiel-Reisen machte seine Schauspieltruppe mit seinen revolutionären Inszenierungen im letzten Drittel des vorvorigen Jahrhunderts von Thüringen aus in ganz Europa Furore. Auch in Wien. Wenn es hieß die: "Die Meininger kommen!", waren die Häuser ausverkauft. In Zeiten der deutschen Teilung lag das Haus zwar ganz "am Rande", doch hat sich die alte Theaterliebe der Meininger über alle Wendungen der Zeit erhalten.

Heute kommen viele der 8.000 Abonnenten (bei 20.000 Einwohnern!) aus Franken, Hessen oder von noch weiter her. Welche Sonderstellung Meiningen im deutschsprachigen Raum immer noch hat, sieht man auch daran, dass Klaus Maria Brandauer zu den tatkräftigen Unterstützern des Theatermuseums gehört, in dem man die alten Originalkulissen aus Georgs Zeiten liebevoll zur Schau stellt. Nach der Wende inszenierten hier denn auch Größen von August Everding bis Loriot. Und Christine Mielitz, Alfred Hrdlicka und Kiril Petrenko landeten vor zehn Jahren einen Nibelungen-Ring an vier aufeinanderfolgenden Tagen und ließen damit im Grunde das ganze gute alte Stadttheatersystem leuchten.

Jetzt konnte man den klassizistischen Theaterbau, den der Herzog vor 100 Jahren nach einem Brand wiedererrichtet hatte, nach 17 Monaten wieder in Besitz nehmen. Für über 23 Millionen Euro wunderbar herausgeputzt, mit verbesserter Technik, vergrößertem Graben und sogar nach hinten versetzter Rückwand. Und Intendant Ansgar Haag hat wieder ein touristenfreundliches Paket aus Schauspiel und Oper geschnürt. Was mit Wilhelm Tell (als Schiller/Rossini- Doppel) schon einmal funktionierte, wiederholt er jetzt mit Maß für Maß - als Schauspiel Shakespeares und als Oper Richard Wagners. Der hatte sich nämlich für seine Jugendsünde Das Liebesverbot ein Libretto aus der Vorlage zusammengereimt.

Bei Wagner will der puritanische Statthalter Friedrich ausgerechnet in Palermo den Karneval verbieten. Dabei hat er sich selbst nicht im Griff. Als nämlich die Novizin Isabella für ihren zum Tode verurteilten Bruder Claudio, um Gnade bitten will, brennen beim obersten Sittenwächter glatt die Sicherungen durch. Diese findige Maid schafft es aber, ihn mit einer mozartgeschulten Verwechslungsintrige bloß zu stellen. Das wird auf der Drehbühne mit halbrunder südlicher Arena-Fassade (Helge Ullmann) und reichlich genutzten Hubpodien als handfestes Wechselspiel von Massenchor und Protagonisten bis auf die 1920er-Jahre herangezoomt.

Willige Handlanger

Was man vor allem an den Kostümen von Renate Schmitzer und der bösen Pointe ablesen kann, die Regisseur Haag seiner gut funktionierenden Inszenierung verpasst. Da kommt nämlich nicht nur eine braununiformierte Kapelle in Marschformation dem Happyend in die Quere, sondern die willigen Handlanger des alten Regimes meucheln sich blutig an die Macht.

Die Oper aber funktioniert auch musikalisch blendend. Die Meininger Hofkapelle bewältigte unter Philippe Bach allen Jux des Jungkomponisten, der es durchaus auch im Singspiel oder in der Operette zu Lorbeeren hätte bringen können, wenn er nach dem Rienzi nicht der deutsche Leitkomponist des 19. Jahrhunderts geworden wäre. Natürlich wagnert es auch hier gewaltig. Wen stört da bei der Lust am Wechsel der Gangart schon, wenn er sich unterwegs auch mal im Allerwelts-Humtata verliert.

Hinter jedem Effekt wartet wieder ein überraschendes Klangschmankerl. Freilich nimmt Wagner schon bei diesem musikalischen Vorwort seines eigentlichen Lebenswerkes auf die Sänger keine Rücksicht, sondern wartet mit mörderischen Partien auf: in Meiningen eine Steilvorlage für alle, voran für Bettine Kampp als Isabella. Am 17. Dezember 2012 überträgt Deutschlandradio Kultur Das Liebesverbot. (Joachim Lange aus Meiningen  / DER STANDARD, Printausgabe, 16.12.2011)