Der grüne Landtagsabgeordnete Gebi Mair mag seine Heimat Tirol. Er sei fassungslos, wie schamlos in der Politik agiert werde. Deshalb will er weiter in dieser bleiben.

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Standard: Nach massiver Kritik zieht Landesrat Christian Switak (VP) derzeit aus einer sehr billigen Dachwohnung aus, die einem Seilbahnbesitzer gehört. Die Korrup-tionsstaatsanwaltschaft ermittelt ebenfalls. Was ist los in Tirol?

Mair: Tirol ist mit einem derzeit nicht gesegnet: mit Hausverstand in der Politik. In der VP wurden Leute nach oben geschwemmt, die den Hausverstand verloren haben. Diese meinen, dass Politik hauptsächlich darin besteht zu nehmen. Dann passiert, dass der Seilbahnlandesrat im Seilbahn-Penthouse wohnt. Das ist ein Mangel an Hausverstand. Gepaart mit einem Mangel an Anstand, was geht und was nicht geht. Und das zieht sich durch. Das ist eine verrottete politische Moral.

Standard: Wieso fliegt gerade jetzt so vieles auf?

Mair: In der VP sind derzeit unterschiedliche Gruppen neidisch aufeinander. Dass die anderen noch mehr nehmen könnten als sie selbst. Deshalb kommen die Informationen auf. Sie finden, ihnen selbst stünde das ja zu, aber die anderen bedienen sich unverschämt frech. Das hat damit angefangen, dass in der VP Leute finden, die Bauern bekommen den Hals nicht voll. Dieser Rechtsbruch in der Frage der Agrargemeinschaften, wo seit 29 Jahren ein gültiges VfGH-Urteil zugunsten der Gemeinden und gegen die mächtigen Bauern nicht umgesetzt wird. (Anm.: Einkünfte aus Schotter-gruben oder Liften gehören den Gemeinden.) Das ist nur vergleichbar mit dem Ortstafelkonflikt in Kärnten, wo seit 50 Jahren bestehendes Recht nicht gilt. Irgendwann muss man sich fragen, was das für ein Staat ist, wo das Recht nichts gilt.

Standard: Also wird innerhalb der Tiroler Volkspartei gestritten ...

Mair: VP-Chef und Landeschef Günther Platter hat wohl eine Zeitlang darauf geschaut, dass jeder ein bisschen vom Kuchen bekommt. Er dürfte aber vergessen haben, dass dieses System, das unter seinen Vorgängern fein austariert war, nicht auf Dauer so funktioniert. Dass man eben nicht jedem alles versprechen darf. Politik braucht man seiner Meinung dazu nicht. Er hat wohl die Vorstellung, was man an der Spitze macht, hat etwas von einer Nichtregierungsorganisation. Seine Hauptaufgabe besteht aus Straßeneröffnungen, Kindergarteneinweihungen und dem Verleihen von Auszeichnungen.

Standard: In den Diskussionen, wem das Geld aus den Agrargemeinschaften zusteht, geht es um die Urklientel der VP, die Bauern. Wie folgenschwer ist die Gründung der Agrar-West als Gegengewicht zum Bauernbund?

Mair: Entweder werden sich Aufklärung, Demokratie und Rechtsstaat durchsetzen, und die Gemeinden kommen zu ihrem Eigentum, oder es wird die VP zerreißen. Wegen jener - wie der Agrar-West -, die aufs Recht pfeifen. Innerhalb der Volkspartei sehen Menschen ihre Interessen verraten statt vertreten. Deshalb kommen zu der Eifersucht zwischen den Nehmern ganz oben auch Umsturzversuche von unten.

Standard: 2013 sind Landtagswahlen. Wie werden die Grünen die Krise der VP nützen?

Mair: Es gibt derzeit eine enorme Lücke. Wir wollen auch unzufriedene und konstruktive VPler ansprechen. Letzte Woche hat mich ein VP-Ortsparteiobmann angerufen. Er hat uns Geld gespendet. Dafür, dass wir aufzeigen, was in der VP passiert. Wenn VP-Funktionäre anfangen, für eine Konkurrenzpartei Geld zu spenden, dann heißt das etwas über den Zustand dieser Partei. Die Politik der Regierung hat sich in einem Maß verselbstständigt, wo die Leute keine Lust mehr haben, sich das anzuschauen. Das nennt man wohl auf den ersten Blick Politikverdrossenheit. Dahinter steckt die Sehnsucht der Leute nach Politik mit Anstand. Diese Sehnsucht nach Anstand in der Politik werden wir Grüne nutzen.

Standard: Eine Woche nach dem Bekanntwerden der Wohnungs-affäre sprach auch Landeshauptmann Platter von schiefer Optik. Woher kam diese Erkenntnis?

Mair: Massiver Druck von Medien, Opposition und Bevölkerung. Die VP hat derzeit wohl die Kontrolle über die Tiroler Medienlandschaft verloren. Die VP hat jahrelang gemeint, es brauche nur einen Anruf aus der Parteizentrale und ein paar Inserate, die mit Steuergeldern in den Medien geschaltet werden, und dann ist Ruhe.

Standard: Woher kommen Infos übe die unanständigen Zustände innerhalb der VP? Aus der Partei?

Mair: Die Geschichten kommen von empörten VPlern, die mich und andere mit Informationen versorgen. Gezeigt wird ein Netzwerk, das jede Schamgrenze verloren hat. Es geht um eine Wohnung, Trachtenjanker und -ranzen, Jagdausflüge, teure Autos, Spenden. Es ist ein Kreislauf. Steuergeld fließt in die Wirtschaft, und die bedankt sich artig bei der VP.

Standard: Sie sind relativ jung. Wollten Sie in diese Politik gehen?

Mair: Meine naive Vorstellung von Politik war: Da treffen sich Leute, und es werden die besten Ideen ausgetauscht. Angesichts der Schamlosigkeit, mit der die VP agiert, bin ich fassungslos. Aber dieses schöne Tirol lasse ich mir von der VP nicht kaputtmachen. (Verena Langegger, DER STANDARD, Printausgabe, 9.12.2011)