Die grenzenlose Freiheit der chinesischen Kinder hat mit der Einschulung ein Ende.

Foto: Yu Zhe

Die grenzenlose Freiheit der chinesischen Kinder hat mit der Einschulung ein Ende. Die strenge Erziehung setzt plötzlich und nicht selten mit großen Startschwierigkeiten ein. Wenn man eine chinesische Grundschule in der Pause besucht, hat man das Gefühl, es herrscht ein kleiner Krieg. Hunderte von verwöhnten Einzelkindern, die noch nie irgendetwas teilen oder irgendein Bedürfnis hintanstellen mussten, müssen plötzlich feststellen, dass sie nicht alleine sind. Regelmäßig kommt es auf dem Schulhof zu Raufereien. Sobald man aber das Klassenzimmer betritt, herrscht absolute Disziplin. Denn so verwöhnt und verzogen kleine Chinesen ansonsten sind, so gnadenlos ist das Bildungssystem und die Erwartungen der Familie, was die zukünftige Karriere angeht.

Gefängnis Schule

Die Erwartungen von chinesischen Eltern fassen sie selbst so zusammen: "wang zi cheng long" bzw. "wang nu cheng feng." Der im Zusammenhang mit Kindererziehung häufig erwähnte Satz beschreibt die Hoffnung, dass der Sohn ein Drache bzw. die Tochter ein Phoenix wird. Beide sollen - sei es durch schulische Erfolge, das Gebären von Kindern oder Schönheit - die Erfolge der Eltern bei weitem übertreffen. Es wird also nichts weniger als ein Wunder erwartet.

Um dieses Wunder zu erreichen, investieren die Eltern jegliche verfügbaren finanziellen und zeitlichen Ressourcen in ihre Kinder. So wie auch koreanische Kinder, sitzen sie häufig bis zum späten Nachmittag oder Abend in der Schule. Freizeit gibt es nicht. Sie erhalten unendlich viele Nachhilfestunden und Hausaufgaben. Der Lerndruck setzt sich fort, bis sie ihren Uniabschluss haben. Der übermäßige Druck auf die Kinder veranlasste die Regierung unlängst sogar dazu, Wochenendunterricht offiziell zu untersagen. Die Durchsetzung dieser Regelung ist aber mehr als lax und die meisten Eltern reagierten aufgebracht auf diese Beschneidung der Zukunftschancen ihrer Sprösslinge. Sie engagierten prompt Hauslehrer für die entsprechenden Tage. Nicht selten verschulden sich Familien haushoch, um den Nachwuchs die beste Schulbildung zu ermöglichen.

Nur auswendig ist gut gelernt

Das Schulsystem ist von Grund aufs Auswendiglernen ausgelegt. Kein Wunder, denn die eigene Sprache macht diese Praxis unumgänglich. Mindestens sechs Jahre lang wird in den Schulen praktisch nichts anderes als das Beherrschen der Schriftzeichen unterrichtet, und danach kann man nur von Grundalphabetisierung sprechen; eine Zeitung kann man dann noch nicht lesen. Auch in vielen anderen Fächern wird vor allem das Auswendiglernen von Texten und Formeln erwartet. Die neunjährige Schulpflicht ist in sechs Jahre Grund- und drei Jahre Mittelschule aufgeteilt. In der Grundschule wird neben Chinesisch auch Mathematik, Politik, Sport, Kunst, Musik und Sachkunde unterrichtet. In der Mittelschule kommt Chemie, Biologie, Physik, Englisch, Erdkunde und Geschichte hinzu.

Um studieren zu können muss nach zwölf Schuljahren eine Endprüfung abgehalten werden. Diese bestimmt darüber, auf welche Universität man sich einschreiben kann und ist somit entscheidend für das weitere Berufsleben. Natürlich wollen alle Eltern, dass das Kind in eine der Universitäten des ersten Rangs kommt: die Beida in Peking etwa oder die Fudan in Shanghai. Wer auf eine dieser Universitäten kommt, hat einen gutbezahlten Job praktisch schon in der Tasche.

Doch nicht jedem ist ein solches Glück beschieden, und die steigende Arbeitslosenrate unter Universitätsabsolventen lässt den Erfolgsdruck auch während des Studiums stetig wachsen. (An Yan, 7. Dezember 2011, daStandard.at)