Foto: Hackl

Der Unternehmer und Multimillionär Bashar Masri steht mit dem Projekt Rawabi am Höhepunkt seiner Karriere. In die Politik wolle er nicht.

Foto: Hackl

In einem Besucherzentrum können Interessierte schon jetzt Wohnungen reservieren, und dabei bis zum Fliesenboden vorab gestalten.

Foto: Hackl

"Rawabi soll keine tote Stadt werden. Sie wird leben", sagt Jack, während wir aus Ramallah kommend Richtung Norden fahren. Links von uns öffnet sich die karge Hügellandschaft des Westjordanlandes. Ein enger kurviger Weg führt durch das Dorf Atara, bis wir schlussendlich dort ankommen, wo wir hin wollten: in Rawabi, der palästinensischen Zukunft.

Hier wird zwischen den Städten Nablus und Ramallah eine palästinensische Stadt aus dem Nichts aufgebaut. In zwei Jahren könnten schon die Ersten einziehen. Insgesamt sollen es 40.000 Rawabiner werden. Neben Kulturzentren, Moscheen, einer Kirche und vielen Wohnungen wird die Stadt den Menschen auch ein paar tausend Jobs bieten, erklärt Jack, der als persönlicher Assistent des Bauunternehmers schon gar nicht mehr ohne das R-Wort leben kann. Sowie Rawabi, was Hügel bedeutet, gern als Symbol eines zukünftigen Palästinenserstaates hochstilisiert wird, sehen auch die jungen Mitarbeiter mehr als nur einen neuen Ort darin. Rawabi ist man, das tut man nicht. Und Ruft man Jack am Mobiltelefon an, ertönt statt dem üblichen Piepton der „Rawabi-Song", den der irakische Musiker Ilham al-Madfai eigens fürs Projekt geschrieben hat.

Jack ist nur eines von dutzenden jungen Talenten, die unter Leitung des Bauunternehmers und Multimillionärs Bashar Masri auch eine berufliche Karriere verwirklichen können. Wie die junge Shadia, die zusammen mit anderen Jungforschern der palästinensischen Universität Birzeit ein Computerprogramm entwickelt hat, das eine fünfdimensionale Simulation des gesamten Bauprozesses ermöglicht. „Fünf-D heißt inklusive Zeit und Kosten", erklärt sie stolz. Rawabi sei für sie vor allem ein Gegenstück zu Ramallah, wo es schon lange keinen Platz und keine Grünflächen mehr gäbe. „Und wenn ich heirate, will ich an einem Ort wie Rawabi leben." Der Ausblick ist atemberaubend. Die Abendsonne scheint. Am Horizont flimmern die Konturen der israelischen Küstenstädte Tel Aviv und Ashdod. Ein Ausblick, den die zukünftigen Bewohner wohl nur mit einem Seufzen werden genießen können. Denn ans israelische Meer dürfen die meisten nicht.

In Rawabi, wo vor einem Jahr nur in den Hügel geschnittene Sandterrassen zu sehen waren, stehen heute schon die ersten Rohbauten. Die Bestimmtheit, mit der hier Natur für den Menschen umgeformt wird, erinnert an die Architektur wuchtiger israelischer Siedlungen. Doch diesen Vergleich hat Bashar Masri gar nicht gern. „Das hier ist unser Heimatland. Siedler sind Neuankömmlinge, die unser Land stehlen", sagt er, während wir in seinem Containerbüro am Baustellengelände sitzen. „Sehen Sie die Siedlung dort drüben", er zeigt mit dem Finger aus dem Fenster, „ich bin mir sicher, dass sie eines Tages ein Vorort von Rawabi sein wird."

Keine Schraube aus Siedlungen

Obwohl Rawabi in der Zone A des Westjordanlandes steht, wo nach dem zweiten Oslo Abkommen (1995) die Palästinensische Autonomiebehörde sowohl polizeilich als auch in Sachen Landschaftsplanung zuständig ist, braucht Masri eine israelische Genehmigung für eine dringend nötige Zufahrtsstraße.

Mehr als 60 Prozent des Westjordanlandes stehen unter israelischer Kontrolle, so auch die Straße Nr. 465, von der die Zufahrt wegführen soll. In dieser Zone C dürfen Palästinenser nur mit Genehmigung des Planungskomitees der israelischen Zivilverwaltung für „Judea und Samaria" bauen. Judea und Samaria, israelisch für Westjordanland, ist also nur zu einem Drittel für palästinensische Projekte unabhängig zu bebauen. Und selbst dort ist es nicht immer leicht. „Durch das Problem mit der Zufahrtsstraße gerät unser Projekt um ein Jahr in Verzug, was wiederum 3000 bis 4000 Jobs auf Eis legt", klagt Masri, der zur Sicherheit eine riesige Menge an Baumaterialien vor Ort lagert. So kann auch trotz möglichen Problemen mit israelischen Partnern eine Zeit lang weiter gebaut werden.

Quasi Autonomie haben die Palästinenser nur in der kleineren „Hälfte" des Westjordanlandes. Und selbst dort ist der Bau einer palästinensischen Stadt schwierig. Für die 43.300 Wohneinheiten, die seit 1993 in israelischen Siedlungen gebaut wurden, gab es vermutlich keine Probleme mit Genehmigungen für Zufahrtsstraßen. Warum auch.

Immerhin kooperiert Rawabi mit israelischen Firmen, wenn auch nicht mit jenen aus Siedlungen. So hat Bashar Masri alle Vertragsnehmer seines Projekts angewiesen keine einzige Schraube zu verwenden, die aus einer israelischen Siedlung kommt. Zornig reagierte die israelische Rechte und holte das sogenannte Boykott-Gesetz aus der Schublade. Es wurde vom israelischen Parlament am 7. November mit 47 zu 38 Stimmen abgesegnet, und stellt somit den Boykott jeglicher israelischer Rechtsträger unter Strafe. Premierminister Netanyahu, der das Gesetz unterstützt hatte, blieb der Abstimmung fern.

400 Millionen Dollar könnten israelische Firmen an Rawabi verdienen, erklärte Masri. Jedoch sei man nicht von ihnen abhängig. Es ist schon eine merkwürdige Logik: weil es einem palästinensischen Unternehmer einfällt, Produkte aus jenen Siedlungen zu boykottieren, die faktisch immer mehr Land im Westjordanland an Israel annektieren, müssen israelische Firmen jetzt vielleicht auf ihre 400 Millionen verzichten. Das Projekt verzögert sich. Und die einzigen, die sich daran erfreuen, sind die Unterstützer genau jenes politischen Lagers, dem das Gesetz überhaupt erst eingefallen ist.

Für Bashar Masri, der sich als unfreiwilliger Realist bezeichnet, besteht kein Zweifel daran, wer in Israel die Hosen an hat. „Die Siedler und ihre Unterstützer haben die Überhand. Sie sind die Profiteure, wir die Verlierer."