Wann ist ein Rock eigentlich ein Mini? Bereits wenn er eine Handbreit über dem Knie aufhört? Oder wenn er den Oberschenkel halb bedeckt? Oder gar erst, - so die aktuellen Neuinterpretationen des 60er-Jahre-Outfits, die auf den Pariser und Londoner Laufstegen zu sehen waren - wenn er sich auf Dimensionen beschränkt, die in Richtung Lendengurt gehen?
Eines ist zumindest sicher: Kurz ist relativ. Für passionierte Hosenträgerinnen stellt eine den halben Oberschenkel bedeckende Version bereits eine ordentliche Herausforderung im Alltagsleben dar. Kann man mit so einem Ding eigentlich sitzen, ohne dauernd kontrollieren zu müssen, ob nicht der Slip undezent hervorlugt? Wie streichelt man im Mini einen Hund richtig? Knie gestreckt und Po in die Höhe? Eher doch nicht. Also ab in die Hocke, wobei sich neuerlich ein Kontrollzwang in puncto Unterwäsche ergibt. Und kann man mit so einem Ding eigentlich auch Rad fahren oder auf ein Motorrad aufsteigen? Fragen, die wir mit unserem in Fotos festgehaltenen Praxistest zu beantworten versuchten. Die Erkenntnis daraus: Mini verlangt Training und eine Umstellung gewisser Bewegungsmuster, die Frau sich mit Hosen angewöhnt hat.

In den 60er-Jahren hatten es die Miniträgerinnen auf jeden Fall leichter. Während in der Ausgabe 2003 dieses Modeklassikers das nackte Bein ein Muss ist, kombinierten damals Mini-Jüngerinnen dicke Strumpfhosen dazu - so hatte es ihnen Mary Quant vorgemacht. Ob die Britin nun wirklich die Erfinderin des Ultrakurzrocks ist, als die sie gefeiert wird, bleibt strittig. Der französische Couturier André Courrèges beansprucht diesen Titel ebenfalls für sich. Er ließ bereits 1964 Models in knie- freien Röcken über die Pariser Haute-Couture-Laufstege wandeln. Mary Quant soll ihm dazu begeistert gratuliert haben - und für ihre nächste Kollektion die Säume heftig gekürzt haben.

Von etwa 1964 bis 1973 (unterbrochen nur durch eine kurze Midi-Phase 1970/71) erblühte der Minirock, seine heißeste Phase erlebte er auf jeden Fall mit Mary Quants Entwürfen. Es war die Zeit der ultrakurzen, mit Plastikblumen geschmückten Hängerkleidchen, die Zeit der superdünnen Twiggy und der Negierung weiblicher Rundungen und traditioneller Rollenmuster - eine Zeit der emanzipatorischen und sexuellen Revolution. Der Mini galt als das tragbare Zeichen der Rebellion gegen überholte Moralvorstellungen und als das Symbol der sexuellen Befreiung. Und herrlich provozieren konnte man damit noch dazu.


Und heute? In Zeiten des Revivalkults, der mittlerweile keine Modedekade mehr verschont, bleibt der - so darf angenommen werden - recht kurzlebigen Wiederkehr des Mini nicht viel mehr als ein nostalgischer Außenposten, ein wehmütiger Rückblick auf politischere, bewegtere Zeiten, in denen man mit einem Kleidungsstück noch revolutionär sein konnte.

Zudem hat sich der Interessenfokus, was nackte Haut angeht, heute eindeutig auf andere Körperregionen verlagert. Es geht primär nicht (mehr) um die Entkleidung des Beines, sondern um den Bauch und das Becken, die sich unter nach oben gerutschten Tops und nach unten verschobenen Hosen in ihrer ganzen Pracht zeigen. Der Nabel ist zurzeit der Nabel der Mode, wie uns unzählige Popsternchen vortanzen.

Bleibt also nur noch die Frage: Wer "darf" den Mini tragen? Wer das unbedingt wissen will, kann in Magazinen nachblättern: lang und schlank das Bein, zellulitisfrei sowieso, makellose Haut, schön gebräunt etc. Es gibt auch erfrischendere Ansätze, zum Beispiel jenen von Marie Ringler, Gemeinderätin und Kultursprecherin der Grünen. "Alle können den Mini tragen, am besten auch die Männer." Ihre These: Jeder, der sich darin gut fühlt, soll ihn tragen.

Ob der kurze Rock auch heute noch als Signal der sexuellen Revolution - die für Ringler ohnehin wohl eher auf Kosten der Frauen ging - durchgehen kann, sei eine subjektive Frage. "Es gibt sicher Frauen, die den Mini als Befreiung empfinden; wichtig ist nur, dass ich tue, was mir Spaß macht, und anziehe, womit ich mit gut fühle." Sie selbst habe das letzte Mal vor rund fünf Jahren einen Mini getragen, "ein sensationelles Ding aus lindgrünem Frotteestoff", allerdings nur einmal, "weil ich mich doch nicht so gut damit fühlte".


Auch die Schriftstellerin und Feministin Eva Rossmann hat mit dem Mini kein grundlegendes Problem, im Gegenteil. Er passe, so meint sie, vielen Frauen, auch jenen, "die schon ein bisschen überwuzelt sind, so wie ich". Die zum Mini dazugehörigen Accessoires seien Selbstbewusstsein und auch Selbsterkenntnis, aber in erster Linie gehe es darum, dass ein Kleidungsstück Spaß mache. "Man sollte sich das auf keinen Fall nehmen lassen." Rossmann zählt jedenfalls zu den Minirockbesitzerinnen und auch zeitweiligen Trägerinnen. "Obwohl, wirklich praktisch ist er nicht, man kann damit nicht so gut sitzen, und im Winter ist er relativ kalt."

Und wenn dann - oh Schreck - ein Mann eine Frau ob ihres Minis als Lustobjekt betrachtet? "Natürlich ist es ein Signal, wenn man nacktes Bein zeigt, aber ich will mir eigentlich nicht den Kopf darüber zerbrechen, wie mich irgendein Dodel vielleicht sehen könnte." (DER STANDARD/rondo/Margit Wiener/06/06/03)