Knapp vor dem Durchbruch steht der EU-Konvent, der an einer Verfassung für Europa arbeitet. Die Grundsatzeinigung sieht einen permanenten EU-Ratspräsidenten sowie den stufenweisen Fall des Vetorechts der einzelnen Mitgliedsländer vor.

Im EU-Konvent, der bis zum 20. Juni den Staats- und Regierungschefs der EU bei ihrem Gipfeltreffen in Thessaloniki einen Text für eine Verfassung vorlegen soll, gibt es de facto eine Grundsatzeinigung. Die im Konvent vertretenen Gruppen, das sind die nationalen Parlamentarier, die Vertreter des Europäischen Parlaments, der Regierungen und der Kommission, signalisierten am Freitag ihre Zustimmung zu einem von Konventspräsident Valéry Giscard d'Estaing vorgestellten Kompromisspapier.

Zwar sind noch Detailfragen offen, aber für die großen Streitthemen wurden akzeptable Lösungen gefunden. Dies gilt vor allem für das in den vergangenen Tagen hochumstrittenen Fragen der institutionellen Ordnung der EU, also die Frage der Machtverteilung.

Falls der Vorschlag des Konventspräsidiums, der über das Pfingstwochenende schriftlich ausgearbeitet werden soll, durchgeht, werden die 105 Mitglieder des EU-Konvents einen Verfassungsentwurf ohne Optionen vorlegen. Das ist von Bedeutung, da so das befürchtete "Aufschnüren" der Verfassung bei der anschließenden Regierungskonferenz nur sehr schwer möglich wird.

Der Kompromiss sieht unter anderem vor, dass der Europäische Rat einen gewählten Vorsitzenden erhält, dieser aber nur sehr eingeschränkte Befugnisse haben wird. Bewusst wird nur von einem Chairman gesprochen. Seine Amtszeit ist noch nicht genau festgelegt. Im Kompromisspapier ist von "ein bis zweieinhalb" Jahren die Rede. Ein ursprünglich geplantes Büro für den Ratsvorsitzenden fällt weg, das Kritiker eines starken Präsidenten als Machtapparat befürchtet haben.

In die EU-Kommission wird zwar jedes Land einen Kommissar entsenden, nur fünfzehn Kommissionsmitglieder werden aber stimmberechtigt sein. Mehrheitsentscheidungen sollen fallen, wenn sie von einer Mehrheit der Mitgliedsländer mit zusammen über 60 Prozent der Bevölkerung getragen werden.

Der Kommissionspräsident wird vom Europäischen Parlament mit einfacher Mehrheit gewählt. Bestimmt wird er mit qualifizierter Mehrheit durch den Rat. Wenn der Kommissionspräsident im EU-Parlament im ersten Anlauf nicht die erforderliche Mehrheit bekommt, muss der Rat innerhalb eines Monats einen neuen bestimmen.

Außenminister kommt

Die EU bekommt einen Außenminister. Er wird vom Rat mit qualifizierter Mehrheit mit der Zustimmung des Kommissionspräsidenten gewählt.

Prinzipiell soll das Einstimmigkeitsprinzip 2009 fallen. Noch umstritten ist, ob auch für die Außen- und Sicherheitspolitik die qualifizierte Mehrheit gelten soll. Giscard machte deutlich, dass die EU für Mehrheitsentscheidungen in der Außenpolitik noch nicht reif sei.

Der Kompromiss sieht die Möglichkeit zur einfachen Veränderung des Abstimmungssystems vor. So sollen die künftig 25 EU-Staaten einstimmig beschließen können, bestimmte Bereiche mehrheitlich zu entscheiden. Damit wäre eine engere Integration ohne Verfassungsänderung möglich. (DER STANDARD, Printausgabe, 7.6.2003)