In letzter Zeit höre ich immer wieder das Wort "Technokrat". Manchmal wird es als Ausdruck der Verachtung gebraucht - die Schöpfer des Euro, heißt es, seien Technokraten, die es verabsäumt hätten, menschliche wie kulturelle Faktoren zu berücksichtigen. Manchmal kommt es aber auch als Lobpreisung daher: Die neu eingesetzten Premiers von Griechenland und Italien werden als Technokraten beschrieben, die über der Politik stehen und tun werden, was getan werden muss.

Mein Kommentar dazu: Das ist ein aufgelegter Humbug! Ich kenne Technokraten, manchmal spiele ich selber einen. Und die Leute, die Europa in eine gemeinsame Währung hineinmanövriert haben, die sowohl Europa wie auch die Vereinigten Staaten in Knappheit und Entbehrung hineinzwingen, sind keine Technokraten. Im Gegenteil: Sie zählen zu einer besonders langweiligen und ungeschickten Sorte von Romantikern, die sich nicht auf Poesie verstehen sondern eher in geschwollener Prosa daher reden. Und was sie im Namen ihrer romantischen Visionen begehren, ist oft grausam und verlangt einfachen Arbeitern und Familien enorme Opfer ab. Fakt ist jedenfalls, dass diese Visionen eher von Träumen gesteuert sind, wie etwas beschaffen sein sollte als von einer nüchternen Prüfung, wie es wirklich ist.

Um die Weltwirtschaft zu retten, müssen wir diese gefährlichen Romantiker von ihren Podesten stürzen.

Ich möchte in diesem Zusammenhang speziell auf die Europäische Zentralbank eingehen, die als technokratische Einrichtung schlechthin gilt und die sich ganz besonders der Flucht in die Fantasie angesichts der auftauchenden Probleme rühmen darf. Im letzten Jahr hat sie ihren Glauben an die gute Fee des Vertrauens bewiesen, mit der Behauptung, dass Budgetkürzungen in einer Wirtschaftsflaute wirklich die Nachfrage ankurbeln könnten. Befremdlicherweise ist das aber nirgendwo gelungen.

Nun, auf der Höhe der europäischen Krise halten die politisch Verantwortlichen trotzdem noch immer an der Idee fest, dass Preisstabilität alle Übel heilt. Letzte Woche gab Mario Draghi, der neue Präsident der EZB, eine Erklärung ab, dass "eine Begrenzung der erwarteten Inflation" der "größte Beitrag ist, den wir zur Stütze von nachhaltigem Wachstum, Schaffung von Arbeitsplätzen und finanzieller Stabilität machen können". - Was für eine äußerst fantastische Behauptung in Zeiten, in denen die zu erwartende Inflation in Europa, wenn überhaupt dann zu niedrig ist und die Märkte verärgert auf die Furcht vor mehr oder weniger akuten finanziellen Crashs reagieren! Eine Behauptung, die eher nach religiöser Verkündigung als nach technokratischer Begutachtung klingt.

Um jedes Missverständnis auszuräumen: Ich ergehe mich hier nicht in anti-europäischem Schwadronieren, zumal wir in den USA unsere eigenen Pseudo-Technokraten haben, die die politische Debatte verbiegen, speziell die angeblich unparteiische "Experten"-Gruppe des Comittee for a Responsible Federal Budget sowie die Concord Coalition usw., die nur allzu erfolgreich die politische Wirtschaftsdebatte besetzen, indem sie den Fokus von Jobs auf Defizite verlagern. Wirkliche Technokraten würden sich fragen, warum das Sinn macht in einer Zeit, wo die Arbeitslosenrate neun Prozent beträgt gegenüber dem Zinssatz der US-Staatsverschuldung von nur zwei Prozent. Aber ebenso wie die EZB wissen auch unsere Steuer-"Experten" genau, was wichtig ist und was nicht, und kleben daran fest, egal, was die Zahlen sagen.

Bin ich also ein Feind der Technokraten? Ganz und gar nicht. Ich mag Technokraten, Technokraten sind meine Freunde. Und wir brauchen technisches Expertentum, um mit unseren wirtschaftlichen Nöten zurechtzukommen. Aber unser Diskurs ist schlimm verzerrt von Ideologen und frommen Wunschdenkern - langweiligen und zugleich grausamen Romantikern, die nur vorgeben, Technokraten zu sein. Es ist Zeit, ihre Luftblasen aufzustechen. (Paul Krugman, DER STANDARD; Print-Ausgabe, 2.12.2011)