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Protest gegen die Sparmaßnahmen der Regierung Cameron.

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Auf Londons Straßen wurde am Mittwoch demonstriert.

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Es weht ein eisiger Wind in London, trotzt Sonnenschein. Beim Speakers Corner im Hyde Park ist die Welt noch in Ordnung, junge Mütter führen ihre Kleinkinder aus, treffen sich zum Mittagstratsch. Nur wenige U-Bahn-Stationen entfernt, Trommelwirbel und Polizeisirenen vor der Holborn-Station: Streik in London, Tausende Demonstranten sammeln sich hier zum Protest gegen das Sparprogramm der Regierung Cameron. Betroffen sind vor allem der öffentliche Dienst, die Mittelklasse und auf staatliche Unterstützung angewiesene Familien. Die Polizei rechnet mit mindestens 15.000 Teilnehmern.

"No cuts", "strike, occupy, shut down the 1%", "education for the 99 percent" steht auf den Transparenten. Auffallend viele Schul- und UniversitätslehrerInnen, Studierende, Jungeltern mit Kindern finden sich ein. Sie fürchten nicht nur um ihre künftigen Pensionen, sie sind vor allem auch besorgt um die Ausbildung ihrer Kinder. Ihr Protest gilt zugleich den zu erwartenden, zunehmend wirtschaftsorientierten Kürzungen des Unterrichtsstoffes.

Sozialwissenschaften sowie musische Fächer sind out, Rechnen samt ökonomischen facts and figures ist künftig auch beim Lernen angesagt. Gefragt das vordergründig rationale Einmaleins wirtschaftlicher Überlebensstrategien anstelle weiten Denkens und genereller Ethik.

Ähnliches gilt auch für die Medien. Das Sparprogramm beherrscht die Schlagzeilen. Selbst die Prozess-Berichterstattung rund um die Murdoch-Presse ist weit hinten auf wenig attraktiven Seiten verbannt, im "The Guardian" immerhin noch auf einer Doppelseite. Lesenswert sind die Berichte allemal.

Paul McMullan, ein früherer "News of the World"-Journalist - heute betreibt er ein Pub in Dover - hat vor Gericht ausgepackt. NoW-Geschäftsführung und -Chefredaktion seien über das illegale Telefon-Hacking und die Dienste von Privatdetektiven informiert gewesen. Mehr noch, diese Praktiken seien schon vor Jahren eingeführt und verlangt worden. "Von oben", sprich von Andy Coulson, dem einstigen stellvertretenden Chefredakteur und späteren Kommunikationschef von David Cameron.

Selbst dieser kommt bei Paul MacMullan nicht ungeschoren davon. Für seinen Wahlkampf habe Cameron bewusst die Nähe der "News of the World"-Spitze gesucht, namentlich auch zu James Murdoch und Rebekah Brooks, die später zur Chefin von "News International" avancierte. Auch Cameron machte seinen Weg: Heute ist er Premierminister.

MacMullan nennt dessen einstige Vertrauten Andy Coulson und Rebekah Brooks "scum", zu deutsch ein Geschmeiß, das sich nun an den kleinen ReporterInnen abputzen wolle. MacMullan wörtlich: "Sie hätten journalistische Helden sein sollen, stattdessen stellen sie jenen journalistischen Abschaum dar, in dem sie meine Kollegen und mich verkommen lassen wollten."

Bei Gericht zu Wort kommt auch Nick Davis, der für den "Guardian" den Murdoch-Skandal in mühsamer Kleinarbeit recherchiert und aufgedeckt hatte. Sein Resümee ist bitter: Er habe den Glauben an die Fähigkeit der Medien, sich selbst regulieren zu können, verloren. Pressefreiheit, Presseräte zur Wahrung journalistischer Ethik seien schön und gut, doch inzwischen zu einem endlosen, intellektuellen Puzzlespiel degeneriert. Mehr denn je seien professionell und schnell agierende unabhängige Gerichte notwendig. Zu sehr locke der Mammon und die Sucht, beziehungsweise der Druck, auflagenstärkstes Medium zu sein.

Die Sicht der Dinge ist eng geworden. Die Londoner Demonstranten skandieren mittlerweile im Regen - auch für das, was landläufig Ethik genannt wird.