Nach einem kleinen Radunfall wird im AKH ein "unaufregender Bruch" eines Mittelhandknochens diagnostiziert. Dass es nicht so war wird später zufällig entdeckt, der Patient fällt drei Monate aus, und verliert als Freiberufler drei Monate seines Einkommens.

Foto: Claus Faber

Es beginnt an einem "schwarzen Freitag": Am 13. Dezember 2002 fällt der Autor dieser Zeilen vom Rad, nicht weit vom Wiener Allgemeinen Krankenhaus entfernt. Naheliegend, sich mit der schmerzenden Hand dorthin zu wenden. Der diensthabende Chirurg diagnostiziert einen Kahnbeinbruch, einen zwar lästigen, aber im übrigen unaufregenden Bruch eines Mittelhandknochens. Der Patient wird eingegipst und heimgeschickt.

Kleine Fehldiagnose zufällig entdeckt

Leider hat sich der arme Tropf geirrt, in seiner vermutlich fünfzehnten oder zwanzigsten Arbeitsstunde kurz vor Mitternacht. Der Patient hat einen komplizierten Bruch des Daumensattelgelenks, der falsch behandelt meist zur Unbrauchbarkeit des Daumens (und allen Greiffunktionen) führt. So etwas kann passieren.

Der Fehler wird eine Woche später zufällig entdeckt, der Patient wird operiert. Die zusammengeschraubten Knochenfragmente lösen sich aber voneinander und der Bruch klafft wieder auf. Das AKH empfiehlt bei der Nachkontrolle trotzdem, es dabei zu belassen. Der Patient flüchtet entsetzt und wird in einem anderen Spital nochmals (richtig herum) operiert.

Teures Verfahren

Nun wird es interessant: Der damalige Freiberufler hat drei Monate Einkommen verloren, mindestens doppelt so viel, als wenn alles korrekt abgelaufen wäre. So wendet er sich an die Patientenanwaltschaft mit der Bitte um Ersatz des entgangenen Einkommens. Ein eingeleitetes Verfahren ergibt zwei Jahre später, dass es zwar einen Schaden, aber keinen Schuldigen gibt, und der Patient bleiben soll, wo der Pfeffer wächst. Das ganze Verfahren hat sicher mehr gekostet als die verlangte Entschädigung.

Komplexität im Spital nimmt zu, die Fehler auch

Warum kommt es zu solchem Unsinn? Weil unser Gesundheitssystem komplex geworden ist, und das Recht nicht Schritt hält. Wenn kein Arzt konkret schuldhaft handelt, es aber durch die Komplexität der Abläufe im Krankenhaus zu Fehlern kommt, dann ist niemand schuld, obwohl etwas passiert ist. Durch diese Rechtslücke fallen tausende Patienten.

Nicht Schuldigen suchen, sondern Lösungen

Die Wissenschaft hat Begriffe dafür gefunden: "Risikomanagement" wird betrieben. Der Tenor lautet: Nicht die Schuldigen suchen, sondern die Lösungen. Nicht die "Fehlerquellen" (die Menschen) sanktionieren, sondern Strukturen schaffen, damit Fehler nicht zu Schäden werden.
Das ist gut so. Leider zwingt die Rechtslage Patienten und Ärzte zum genauen Gegenteil. Patienten müssen nach Schuldigen suchen, um wenigstens irgendwelche Rechte zu haben. Ärztehaftpflichtversicherungen haben Klauseln, die sie leistungsfrei stellen, sobald Ärzte etwas "zugeben". Ärzte müssen vertuschen, weil sie sonst horrende Summen zahlen müssen und im Strafregister stehen.

Österreich braucht dringend ein außergerichtliches System, um Patienten in solchen Fällen zumindest zum Teil zu entschädigen. Damit fiele der Anreiz der Spitäler weg, zu vertuschen, und wir könnten alle aus Fehlern lernen. Ein Rechtssystem, das teilweise mehr Geld ausgibt, um Entschädigungen zu verhindern, als sie auszuzahlen, freut im Grunde genommen nur die Anwälte.

Wer glaubt, die verkorkste Hand wäre ein Einzelfall, irrt: 1986 verpatzte das AKH am selben Patienten eine Krebsdiagnose und therapierte "auf Verdacht" – dem Patienten hat man das lieber verschwiegen. 1987 stellte sich heraus, dass das AKH die einzigen Bilder aus dem Kernspintomographen vom "Original-Tumor" (vor Beginn der Therapie) nicht mehr findet. Der Patient hat sich nie beklagt, denn das Leben ist ein Geschenk, bei dem man nicht abrechnet. Aber wie viele Patienten rechnen nicht ab, weil sie nicht überleben? (Claus Faber, derStandard.at, 1.12.2011)