Wien - Wenn Musik gelingt, löst sie sich von ihrer Materialität. Dann lässt sie alle Mühen ihrer Hervorbringung vergessen und weist über sich selbst hinaus. Fast der gesamte Montagabend mit dem Oslo Philharmonic Orchestra stand diesbezüglich in der Schwebe. Sicher sind es allesamt vorzügliche Musiker, die da im Wiener Konzerthaus gastierten.

Aber irgendetwas hielt sie dann doch davon ab, sich ganz fallen zu lassen und musikalisch abzuheben - auch wenn das vielleicht auch so etwas Profanes gewesen sein mag wie einfach nur zu viele Flugkilometer zwischen Berlin (Sonntag), Bratislava (Dienstag) und Paris (Mittwoch). Auch das Verhältnis zwischen Solist und Orchester blieb im Violinkonzert von Jean Sibelius seltsam beiläufig. Joshua Bell verausgabte sich mit viel Pathos und Vibrato - und bewerkstelligte es dennoch, auf seiner volltönenden Stradivari Atem, Phrasierung sowie einen Rest geschmackvoller Zurückhaltung durchklingen zu lassen.

Das Orchester fand dabei aber kaum Gelegenheit zu einem echten Wechselspiel mit der Geige, der ein womöglich symptomatisches Missgeschick unterlief. Das Instrument hielt so viel Druck und Intensität nicht stand: Mitten im Spiel verstimmte sich eine Saite jäh. Da kehrte Bell ganz den Profi hervor - sofort war er wieder in doppeltem Sinn in Stimmung. Bei seiner Zugabe, Eugène Ysaÿes Ballade, war der Geiger dann aber ganz bei sich und verzichtete auf emotionale Überdosen.

Elastisches Dirigat

Recht beachtlich aufgetrumpft hatte das Orchester zuvor bei Act (2004) von Rolf Wallin, einer hyperaktiven Rhythmusstudie kaum ohne ein Innehalten - glänzend instrumentiert, jedoch jenseits ihrer mitreißenden Pulsationen kaum weiter der Rede wert. Und im Einzelnen durchaus beachtlich war dann Tschaikowskys 4. Symphonie, der das Orchester noch zwei Zugaben (Rachmaninov, Tschaikowsky) folgen ließ.

Doch auch hier ergaben sämtliche durchaus vorhandene Einzelheiten (manche Unsauberkeit ausgenommen) noch kein gerundetes Ganzes. Dabei wäre Dirigent Vasily Petrenko, der designierte Chef der Osloer (ab der Saison 2013/14), ohne Zweifel der Richtige, um dieses Ziel zu erreichen: Äußerst elastisch leitete er all die heiklen Tempoübergänge des Kopfsatzes in die Wege, mit Eleganz und Zurückhaltung ließ er die Haupt- und Nebenstimmen des zweiten Satzes ineinander führen. Währenddessen folgte man ihm nur partiell.

Petrenko verstand es freilich dennoch, das überschießende Finale, ebenso wie die mottoartigen Fanfaren des ersten Satzes, vor allzu bombastischer Knalligkeit zu bewahren, ohne sie zu verharmlosen. Und im luftigen Scherzo gelang ihm dann doch das Kunststück, dass auch die Orchestermusiker die Schwerkraft hinter sich ließen und dieses Schattenspiel zum Schweben brachten. (Daniel Ender, DER STANDARD/Printausgabe 30. November 2011)