Überraschung bei Lajos Tihanyis 1921 entstandenem Stadt-Brückenbild "Am Ufer", für das sich auch Österreicher interessierten: Auf 5000 bis 7000 Euro geschätzt, kam das Werk auf 128.000 Euro.

Foto: Katalog
Frühjahrsauktion im hauptsächlich auf expressionistische Kunst fokussierten Auktionshaus Villa Grisebach Berlin: Sie brachte interessante Ergebnisse trotz Dollarschwäche und Wirtschaftsflaute. Manche Außenseiter hatten gutes Spiel, die Fotografie sowieso.


Auch in Krisenzeiten von Wirtschaftsflaute und Dollarverfall sind interessante Auktionen mit gutem Ergebnis möglich. Bernd Schultz und Micaela Kapitzky, Geschäftsführer der Berliner Villa Grisebach Auktionen GmbH sind angesichts des "schwierigen wirtschaftlichen Umfelds mit dem Gesamtergebnis von 8,4 Mio. Euro (inklusive Aufgeld) sehr zufrieden".

Von 1155 Losen wurden an den beiden Tagen der Frühjahrsauktion 765 Lose verkauft. Bei der gut bestückten, aber sensationsfreien Fotoauktion mit 320 Losen und 545.000 Euro Umsatz kann man sogar auf eine Zuschlagsquote von 93,8 Prozent verweisen. Unübersehbar aber ist das Klima anders. Spitzenpreise für Spitzenwerke von Spitzennamen sind höchst selten. Sensationen sind nicht an der Tagesordnung. Man steigert mit Bedacht, bietet behutsam aus Sachkenntnis und sehr persönlicher Neigung.

Dank Auktionator Graf Eltz entstanden dann dennoch lebhaften Bietgefechte, die man nach den Schätzpreisen nicht erwartet hätte. Überraschungen spielen sich nicht im prominenten Hauptfeld ab. Das Spitzenlos dort, Max Beckmanns Landschaft bei Saint-Cyr-sur Mer, zwischen 900.000 und 1,2 Mio. Euro geschätzt, geht für 921.500 Euro an ein deutsches Museum, aber unter Vorbehalt. Das Ölbild, 1931 an der Côte d'Azur entstanden, hat noble Provenienz und herbe Geschichte: Justi erwarb es 1932 für die Neue Abteilung der Nationalgalerie im Berliner Kronprinzenpalais. 1937 wurde es als "entartet" beschlagnahmt, 1941 für ganze 40 Dollar nach New York verkauft, wo es "Quappi" Beckmann, seine zweite Frau Mathilde, später zurückerwarb. Zu Beckmanns wichtigeren Werken wird es aber nicht gerechnet.

Frage des Charakters

Wo manches von Nolde, Heckel, Richter oder Baselitz zurückgeht, wird das Interesse heftiger, wenn Preis und Sammlerinteresse objektiv und subjektiv harmonieren. Das Preis-Leistungs-Verhältnis aber "stimmt" bei Jawlenskys sensibel-mystischem Heilandsgesicht, das für 289.000 Euro in die USA geht. Ein farbintensives, formklares Ölbild von Gabriele Münter (Bäumende Wolke über Murnau) findet so reges Interesse und bringt 208.500 Euro, weil es so viel "Persönlichkeit" hat. Dieser Charakter eines Kunstwerkes, der den Sammler fasziniert, erklärt auch zwei unerwartete Bietersensationen. Ein unbekanntes Bild eines weithin unbekannten Malers, auf 5000-7000 Euro geschätzt, gerät plötzlich in aufregendes, aber nicht aufgeregtes Interesse, an dem sich auch per Telefon einige Österreicher beteiligen. Lajos Tihanyis 1921 entstandenes Stadt-Brückenbild Am Ufer erzielt endlich 128.000 Euro. Der Künstler (geb. 1885 Budapest, gest. 1938 Paris), gehörte zur Künstlergruppe "A Nyolcak" (Die Acht), arbeitete von 1920 bis 1924 in Berlin und verbindet kubistische und expressionistische Elemente. Während österreichische Bieter da- bei leer ausgingen, geht aber ein heftig umworbener frü- her Arnulf Rainer (54.000 €) sowie ein starker Serge Poliakoff (59.000 €) nach Österreich.

Eine andere Überraschung ereignete sich am zweiten Tag mit einem ebenfalls wenig bekannten Dresdner Expressio-nisten. Walter Jacob (1893-1964), der in der Dresdner Sezession Gruppe 1919 mit Otto Dix und Konrad Felixmüller ausstellte, zeigt in seinem Selbstbildnis als Raucher eine unheimliche Intensität. Plötzlich spannend umkämpft steigt das heftige Ölbild von 18.000 auf 107.300 Euro.

Hohe Qualität und gute Preise wurden auch im Bereich der Plastik erzielt: Wilhelm Lehmbrucks sinnender Terracottakopf Büste der Knienden klettert flink auf 225.000 Euro und geht nach England, während die scheue Bronzeanmut der Großen Daphne von Renée Sintenis für 174.000 Euro von einem Berliner Sammler in Obhut genommen wird. (DER STANDARD, Printausgabe, 5.6.2003)