Entwicklungspolitisch herrscht bei den G-8 absoluter Stillstand: Neben fotogenen Versöhnungsgesten und anderen symbolischen Akten bleibt die Dritte Welt auf der Strecke.

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Der G-8-Gipfel in Evian hatte eine klare Botschaft und das dazu passende Bild: die Versöhnung der Kriegsteilnehmer mit den Kriegsgegnern. Der Handshake zwischen Busch und Chirac ging auch um die Welt.

Trotzdem kam auch dieser Gipfel nicht ohne humanitäre Symbolik in Richtung Entwicklungsländer aus. In Evian musste das Versprechen einer Ausweitung der Entwicklungshilfe an Afrika zu diesem Zweck herhalten. VertreterInnen einiger afrikanischer Länder waren als Bittsteller und für ein paar Fotos eingeladen. Dass diese Versprechungen mehr Substanz haben werden als der vor zwei Jahren noch mit großer Geste eingerichtete Aidsfond, dessen ernsthafte Dotierung bis heute aussteht, glaubt kaum jemand.

Interessant ist, dass beim Hauptthema Irak die Frage der Entschuldung keine Rolle mehr spielte. Das klang im April noch ganz anders. Denn am Rande der Frühjahrstagung von Weltbank und Internationalem Währungsfonds tätigten Vertreter der US-Administration diesbezüglich noch spannende Aussagen. So forderte Finanzminister John Snow einen weit gehenden Schuldenerlass für den Irak.

Es war natürlich von Anfang an klar, dass dies taktisch motiviert war. Die USA müssen versuchen, den Wiederaufbau des Irak möglichst ^billig zu gestalten, und die Hauptgläubiger des Irak sind Frankreich, Deutschland und Russland. Trotzdem verdient die Begründung Beachtung.

"Der Irak hat 25 Jahre wirtschaftliches Missmanagement hinter sich", so Snow. Er forderte den Schuldenerlass, um dem Irak einen unbelasteten Neubeginn zu ermöglichen. Noch weiter in der Begründung ging der stellvertretende Verteidigungsminister Wolfowitz, der von den Gläubigerstaaten den Erlass der Schulden forderte, die Saddam Hussein bei diesen gemacht hatte, "um Waffen und Instrumente zur Unterdrückung zu kaufen und Paläste zu bauen".

Entschuldungsdebatte

Im Klartext werden hier von US-Seite zwei Argumente vorgebracht, die seit über 20 Jahren zu den Kernthesen der Entschuldungsdebatte gehören: 1.) Ein Neuanfang muss durch Schuldenerlass unterstützt werden. 2.) Die Bevölkerung soll nicht für die Schulden der Diktaturen haften.

Diese Argumente lassen sich ohne Probleme auf einen Großteil der am höchsten verschuldeten Länder anwenden. So stammt etwa der überwiegende Teil der Auslandsverschuldung Lateinamerikas aus der Zeit der dortigen Militärdiktaturen und wurde für militärische oder andere unproduktive Zwecke eingesetzt bzw. landete auf den Privatkonten der herrschenden Clique. So wenig die irakische Bevölkerung die Schulden des Hussein-Regimes tragen soll, so wenig soll die kongolesische die Schulden Mobutus oder die indonesische die des Suharto-Regimes tragen müssen. Dies wäre politökonomisch sinnvoll und demokratiepolitisch ein großer Wurf.

Denn gäbe es eine völkerrechtliche Möglichkeit der Nichthaftung für die Schulden von gestürzten Diktaturen, dann würde das Haftungsrisiko auf die Geldgeber übergehen. Die entsprechenden staatlichen Institutionen und Geschäftsbanken müssten dann bei der Finanzierung von Diktaturen deutlich vorsichtiger zu Werke gehen. Im Endeffekt geht es um die Frage, wer die finanzielle Haftung für Diktaturen übernimmt: die unter dem jeweiligen Regime leidende Bevölkerung oder deren Financiers?

Vor zwei Wochen wurde nun im G-8-dominierten Pariser Club (dem wichtigsten Gremium der Gläubigerseite) darüber gesprochen, zukünftig keine festen Regeln für die Entschuldung anzuwenden, sondern maßgeschneiderte Lösungen für einzelne Länder anzubieten. Im Klartext heißt das wohl, dass der Irak einen Schuldenerlass erhalten wird, um den Wiederaufbau für die USA auf Kosten der Kriegsgegner Frankreich, Deutschland und Russland günstiger zu gestalten, ohne einen Präzedenzfall zu schaffen.

Die G-8-Propaganda spricht häufig vom engen Zusammenhang zwischen Demokratie und wirtschaftlicher Entwicklung. Ernsthafte Schritte in diese Richtung, wie eine entsprechende Haftung für Diktaturen, werden aber tunlichst vermieden. Zur Behübschung der Gipfel reichen wohl symbolische Maßnahmen - wie eine Hand voll Dollar mehr an Entwicklungshilfe - auch aus. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 4.6.2003)