Filmszene aus "Life and Debt", Fabriksarbeiterinnen

Foto: Stadtkino/life and debt

Filmszene aus "Life and Debt", Montego Beach, Jamaica

Foto: Stadtkino/life and debt
Wien - - Das Phänomen Globalisierung und seine weit reichenden Folgen sind dokumentarisch kaum zu erfassen. Netzwerkartig überzieht sie die Welt und wird doch oft erst in ihren negativen Auswirkungen sichtbar - wohl nicht zuletzt deshalb nehmen Filme und Videos, die sie in den Mittelpunkt rücken, häufig verschwörerischen Tonfall an.

Auch Stephanie Blacks Dokumentarfilm Life and Debt ist nicht völlig frei von dieser Rhetorik; zugleich aber hat noch kaum eine Arbeit derart sachkundig und spannend globale ökonomische Zusammenhänge aufgezeigt wie diese: Am Beispiel der Karibikinsel Jamaika, die im Westen vor allem als Urlaubsparadies und Reggae-Zentrale einen guten Ruf genießt, demonstriert sie, wie Dritte-Welt-Länder in Abhängigkeit von wirtschaftlichen Großmächten und multinationalen Konzernen gebracht werden.

Life and Debt nähert sich seinem Ziel zunächst über die Perspektive der Touristen, die an den Realitäten der Einwohner vorbei in ihre hermetischen Hotelanlagen gebracht werden. Black geht es weniger um Polemik, als dass sie ihr Zielpublikum definiert: Mit hohem Maß an didaktischem Eifer richtet sie sich an den unwissenden Durchschnittsbesucher, um diesem Hintergründe zu seinem idyllischen Ferienort zu vermitteln.

Zentral für den wirtschaftlichen Niedergang Jamaikas ist die Rolle des IWF respektive die der Weltbank. Black arrangiert ein Interviewduell: Expremierminister Michael Manley, der selbst unwillig den ersten Kreditvertrag unterzeichnet hat, führt wortgewandt die Anklage:

Er weist auf die massiven Einschränkungen hin, wofür man das Geld ausgeben darf - längerfristige Investitionen sind nicht erlaubt, dafür werden Importbestimmungen gelockert. Stanley Fischer (IWF) kontert: "Die Leute haben ein Anrecht auf diese Produkte."

Blick in Arbeitswelten

Black belässt es nicht bei Expertisen. Sie sucht einige betroffene Branchen auf - seien es Milchfabrikanten, Bananenproduzenten oder Geflügelfarmer - und erweitert damit das Feld, auch um Bilder von Arbeitswelten.

Dabei fällt auf, wie groß das Wissen um die Methoden des IWF in der Bevölkerung ist. Die Effekte sind überall gleich: Jamaika wird als Markt für Überschussprodukte genutzt, mit deren niedrigen Preisen niemand mithalten kann. Umgekehrt entspricht das Gemüse der Bauern nicht der Norm von US-Supermarktketten.

Besonders drastisch der neoliberale Luxus so genannter "Free Zones": In Containern, die auf "staatenlosem" Terrain stehen, nähen Einheimische für Niedrigstlöhne und ohne soziale Absicherungen für Textilkonzerne wie Tommy Hilfiger Stoffe zusammen. Protestieren sie gegen die Bedingungen, werden sie durch "dankbarere" asiatische Arbeiter ersetzt. Das nennt sich dann Arbeitsplatzpolitik.

Nicht nur an dieser Stelle verankert Black ihre Gegenwartsdiagnose in einem historischen Kontext - etwa indem sie einen kämpferischen Text von Jamaica Kincaid aus dem Off vortragen lässt. Die jüngeren Entwicklungen Jamaikas sind denn auch ohne seine Vergangenheit als britische Kolonie nicht verständlich.

Life and Debt sieht zumindest in gewissen Aspekten der wirtschaftlichen Globalisierung eine Kontinuität des Alten, die neue Abhängigkeiten im Namen der Wettbewerbstauglichkeit bringt. (DER STANDARD, Printausgabe, 3.6.2003)