Hohe Risikobereitschaft und ein ebensolcher Adrenalinspiegel ließen die Stunden bei "Philosophy On Stage"rasch vergehen. Ein Highlight war die Soloperformance von Frans Poelstra.

Foto: Christian Herzog

Wien - Orlandos Liebeswahn, Ekstase und Gewalt, die Weltumklammerung des Menschen oder sein von Applaus begleiteter Untergang: Die Philosophie betritt die Bühne und lässt es krachen. So gerade geschehen im Wiener Wittgensteinhaus, Sitz des Bulgarischen Kulturinstituts, während des dreitägigen Philosophie-Performance-Festivals Philosophy On Stage #3, das den Besucherandrang kaum zu bewältigen vermochte.

Im Mittelpunkt des mit Aufführungen, Lectures und Installationen dicht gepackten Events stand die Frage an die Philosophie, wie sie's nun mit dem Körper habe. Und tatsächlich, wer in dem Glauben hinging, dass das Philosophieren bloß eine Angelegenheit papierener Eigenbrötler und Kathedermasseure wäre, die mit ihren Körpern nichts anzufangen wissen, erlebte eine Überraschung. Denn der Abstand zwischen Tänzern und Performancekünstlern auf der einen und den Gelehrten auf der anderen Seite ist geringer, als man annehmen möchte. Hier nutzten sie die Gelegenheit, das auch zu zeigen.

Bühne frei hieß es also für Granden des Denkens wie Sybille Krämer, Alice Lagaay, Konrad Paul Liessmann, Marcus Steinweg oder Violetta L. Waibel über Größen der Bühnenkunst wie René Pollesch, Milli Bitterli, Frans Poelstra oder Barbara Kraus bis hin zu Jungtalenten wie Anna Mendelssohn, Bernadette Anzengruber und Heidi Wilm.

Etliche Überraschungen

Dank einer ausgeklügelten Dramaturgie und der Substanz vieler Beiträge blieb der größte Schrecken der Wiener, dass es nämlich fad sein könnte, draußen vor der Tür. Angezettelt vom Wiener Philosophen Arno Böhler und Schauspielprofessorin Susanne Granzer gemeinsam mit Krassimira Kruschkova vom Tanzquartier Wien sowie der Philosophin Alice Pechriggl wurden in dem Festival so viele Überraschungen hingeblättert, dass auch ein maximaler, dreizehnstündiger Aufenthalt am Freitag keine Zeit für Durchhänger ließ.

Offenbar erhöhte die Beschäftigung mit dem Körper und dem Denken sowohl den Adrenalinspiegel als auch die Risikobereitschaft der beteiligten Philosophen und Künstler: Sowohl bei Mendelssohns blendender One-Woman-Philosophiekonferenz Each day in life is history. The rise and fall und den mitreißenden Soloauftritten von Poelstra, Bitterli und Kraus, als auch bei Anzengrubers ironischer Wittgensteinparaphrase. Und dann wieder in Lagaays stupenden Erläuterungen über die Stimme, in Marcus Steinwegs rasanter Stegreif-Lecture über den Phantomkörper der Philosophie und in René Polleschs anekdotischem Diskursritt über das dünne Eis der Darstellbarkeit von Körpern im Theater.

Die Auftritte der Philosophen waren eine Klasse für sich. Zum Beispiel der 12-stündige Marathon-Clinch des live sprechenden Medienphilosophen Dieter Mersch mit der Wortkonserven abspulenden Gedächtnismaschine eines Computers. Oder die Video-Sound-Lecture des Kulturphilosophen Georg Christoph Tholen mit dem Künstler Dieb13 als tour de force gegen die Herrschaft des Bildes über den Körper. Und auch Arno Böhlers und Susanne Granzers Statement gegen ein in ökonomischen Satzungen versackendes Universitätssystem.

Aus der Wissenschaft in die Kunst gewechselt ist die Berlinerin Corinne Maier. Im Skianzug machte sie erfolgreich klar, dass jeder Vortrag eine Performance darstellt und demonstrierte das an Martin Heideggers Rhetorik. Dafür spielte sie einen ironischen Heidegger-Song von Pigor & Eichhorn und einen Kommentar des Sohnes der Philosophie-Ikone ein. Brillant war auch die Performance Mit dem Körper arbeiten des Schauspielers Thiemo Strutzenberger, der dokumentarische Filmaufnahmen aus der US-Arbeitswelt der 1930er-Jahre mit sounduntermalten Regieanweisungen verband.

Körper und Geist sind nicht zu trennen. In René Polleschs Stück Schmeiß dein Ego weg! bringt der Schauspieler Martin Wuttke energisch den Körper zur Sprache: "Die Seele ist eine Außenbeziehung des Körpers mit sich selbst." Ähnlich lautet auch das mehrheitliche Fazit bei Philosophy On Stage. Das Auseinanderpräparieren von Körper und Geist ist verzichtbar, denn, wie Marcus Steinweg feststellt, "am Ende ist es doch ein Körper, durch den sich etwas denkt". Als ausschlaggebend gilt heute, wie das Miteinandersein der Körper gedacht, also gelebt werden kann. (Helmut Ploebst, DER STANDARD - Printausgabe, 29. November 2011)