Ein schweres Eisen macht aus dem ärgsten Milchbuben einen wilden Hund. Das weiß wohl auch die Polizei

Das Feine an den schweren Cruisern ist, dass alles so entspannt ist. Ich denk da etwa an die Kawasaki VN1700 Voyager Custom, die im fetten Bagger-Style daherkommt. Geschwindigkeitsbegrenzungen können dir ziemlich wurscht sein, weil du sowieso langsamer unterwegs bist. Cruisen halt. Der riesige Zweizylinder mit 1.700 Kubikzentimeter hat einen angenehmen Klang, nicht zu laut, trotzdem kernig, ganz legal, und du brauchst dich nicht fürchten, dass du damit jemanden aus dem Mittagsschlaf reißt. Und wenn du die 21.450,- Euro erst einmal beim Händler abgelegt hast, brauchst du dir auch keine Gedanken mehr darüber machen, wie du heuer Urlaubs- und Weihnachtsgeld investierst.

Foto: Gabriele Gluschitsch

73 PS und 136 Newtonmeter sorgen für galanten Vortrieb des immerhin 382 Kilogramm schweren Baggers. Du fährst vorausschauend, weil du das Gewicht vor allem auf der Bremse merkst und halsbrecherische Kurvenorgien gar nicht in Frage kommen. Du schaust aus wie der ärgste Outlaw, aber bist total legal. Und so cruisend reißt es dich auch nicht, wenn im Augenwinkel die Polizei auftaucht. Sollen sie halt überholen. Nicht, dass ihre Pommes kalt werden. Außerdem haben die sicher die Hosen voll, wenn sie einen Typen sehen, der so eine mordstrumm Maschin bändigt.

Foto: Gabriele Gluschitsch

Amtshandlung
Und dann kommt alles anders. Die Reißerische liegt im Straßengraben, daneben ihr Helm, daneben ihr Moped und daneben die Polizei. Letztere hält Erstere davon ab, ihrer Arbeit nachzugehen: die VN1700 Voyager Custom beim Cruisen zu fotografieren.

Foto: Gabriele Gluschitsch

Mein entspanntes Lächeln weicht einer Sorgenfalte auf der Stirn. Wo hab ich die Papiere, hab ich den Führerschein mit, und was wollen die netten Herren? Und wie schaffe ich es, ihnen nicht zu sagen, dass ich Motorrad-Journalist bin?

Foto: Gabriele Gluschitsch

Weil das ist so: Für die Herrn mit den blauen Lichtern auf den silbernen Autos ist ein daklatschter Motor-Journalist sowas wie eine Trophäe. Denn Schreiberlinge gelten als unverbesserliche Raser. Reitwagen-Leser erinnern sich noch, wie die Polizei einst gleich der halben Redaktion auf einmal den Führerschein abgenommen hat. Und mir schießt die Geschichte durch den Kopf, als sie mich vor Jahren mit einer Supersport von der Straße holten.

Foto: Gabriele Gluschitsch

Demütig auf der Gebückten
Es war tief in der Nacht. Irgendwann, nachdem der Stammwirt um 02:00 Uhr die Rollos runtergelassen hat. In Wien waren die Gehsteige seit Stunden hochgeklappt. Außer mir auf der Supersport war nur noch die Polizei unterwegs. Und wie es der Zufall wollte, trafen wir uns. Weil ich irgendwann die gebückte Zucklerei leid war und der Sehnsucht nach dem Kopfpolster mit der rechten Hand leicht nachgab. Das war wenige Meter vor der Stelle, an der die Polizei ihr Weglager aufgestellt hat. Aber so rechtzeitig, dass ich es schaffte, zu schnell zu sein. "Na, hab ich das gut gemacht, Herr Inspektor?" - "Ja, ich hab schon gedacht, aus uns beiden wird nix mehr. Fahrzeugpapiere, Führerschein bitte."

Foto: Gabriele Gluschitsch

Mit den Fahrzeugpapieren war bald klar, dass die Reibn nicht mir gehört, und die Frage, wie ich zu diesem Motorrad käme, ließ nicht lange auf sich warten. Kleinlaut erzählte ich, wer ich bin und was ich mache. Der Inspektor drehte sich um, brüllte in Richtung seines Kollegen: "Koarl, i hob an Schurnalisten!" Dem Herrn Karl war diese Information aber zu dürftig, und er fragte nach: "Vun wo?" Ich antworte wahrheitsgemäß, der Inspektor gibt die Antwort weiter, stößt aber nicht auf die erwartete Begeisterung des Herrn Karl, der nur antwortet: "Standard? Lies i net!"

Foto: Gabriele Gluschitsch

Geld gegen Papiere
Der Rest der Amtshandlung ging flott. Geld gegen Papiere. Dabei blieb uns noch zu Zeit scherzen und zu plaudern. Doch wofür sollten die Herren, die jetzt neben der Reißerischen stehen und mit zusammengezwickten Augenbrauen die VN1700 beobachten, jetzt Geld wollen? Und schaffe ich es, ihnen zu verheimlichen, dass ich eine Trophäe bin? Oder hat die Reißerische mit dem 400er-Objektiv auf der Kamera eh schon alles verraten?

Foto: Gabriele Gluschitsch

Ich unterbreche meine Cruiserei und parke mich neben dem silbernen Touran am Straßenrand ein. Die beiden Polizisten grüßen freundlich, steigen in ihr Auto ein und fahren davon. No was war denn das jetzt?

Foto: Gabriele Gluschitsch

"Die beiden patrouillieren da auf der Straße auf und ab", erzählt mir die Reißerische. "Da haben sie mich im Straßengraben gesehen. Erst haben sie geglaubt, dass mein Moped vielleicht einen Defekt hat und wollten helfen, doch dann sahen sie, dass ich fotografiere. Freundliche, hilfsbereite Herren."
Naja, total legal, bist der Polizei brutal egal. Und genau deswegen geht die VN1700 gar nicht. Weil einen so schweren Cruiser um das Geld, den muss die Polizei schon aus Prinzip aufhalten. Ignoriert werden ist nämlich gar nicht gut fürs Ego solcher Cruiser-Cruiser.

Foto: Gabriele Gluschitsch

Kawasaki VN1700 Voyager Custom

Motor: 2 Zylinder-4-Takt-Motor, 8 Ventile | Hubraum: 1700 ccm | Leistung: 54 kW (73 PS) bei 5000 U/min
Drehmoment: 136 Nm bei 2750 U/min | Kraftübertragung: Zahnriemen
Radaufhängung vorne: 45 mm Teleskop-Gabel | Radaufhängung hinten: Schwinge mit zwei Federbeinen
Bremse vorne: Doppel-Scheibenbremse, Ø 300 mm, 4-Kolben-Festsattel
Bremse hinten: Scheibenbremse, Ø 300 mm, 2-Kolben-Schwimmsattel
Reifen vorne: 130/90B16M/C 67H | Reifen hinten: 170/70B16M/C 75H
Gewicht fahrfertig: 382 kg | Sitzhöhe: 730 mm | Preis: ab 21.450 Euro

+ Fescher Japan-Cruiser mit gelungenem Bagger-Styling und jeder Menge Extras, vom Radio bis zu den Seitentaschen.

- Wer auf solche Eisen steht, wird von der V1700 begeistert sein. Nur lauter wird er sie machen.

Foto: Gabriele Gluschitsch