Bild nicht mehr verfügbar.

Die Muslimbrüderschaft beim Freitagsgebet in einer Kairoer Moschee.

Foto: REUTERS/Amr Abdallah Dalsh

Bild nicht mehr verfügbar.

Die Proteste gegen den regierenden Militärrat gehen auch das Wochenende über weiter.

Foto: REUTERS/Esam Al-Fetori

Mahmoud Tawlik: "Die Muslimbrüder sind schon seit Jahren aktiv in der Politik. Aber sie sind keine starke Partei. Sie sind auf der Straße unbeliebt, das Problem ist, dass die säkulare Opposition sehr schwach ist"

Foto: Privat

Mahmoud Tawfik ist Mitbetreiber der Seite egyptvotes.org, die Berichte und Informationen rund um die bevorstehenden Wahlen in Ägypten und die antretenden Parteien im Internet anbietet. Hilfreich sollen dabei nicht nur Hintergrundinformationen zu den einzelnen Parteien sein. Ein Test, der einem anhand von 29 Fragen die Wahl erleichtern soll. Wie er den Wahlausgang einschätzt, erzählt Mahmoud Tawfik im derStandard.at-Interview.

derStandard.at: Wie groß ist das Bedürfnis nach einer Orientierungshilfe?

Mahmoud Tawfik: Solche Projekte wurden bereits in einigen Ländern ausprobiert, unter anderem in Deutschland mit dem „Wahl-O-Mat". Wie gut es hier ankommt, sieht man anhand der Nachfrage. Innerhalb der ersten 24 Stunden hatten wir um die 8.000 Nutzer, nach etwas über einer Woche waren es rund 20.000 Nutzer. Ich merke tagtäglich, wie groß die Orientierungslosigkeit bei den Leuten ist. So eine Software kann zwar nicht die endgültige Antwort geben, aber sie ist eine Hilfe. Zumal wir sehr viel Hintergrundinformation auf die Seite geladen haben zu den Parteien, zu ihren Programmen, zu den strittigen Fragen. Die Kernfragen, an denen sich die Parteien spalten, entscheiden schließlich die Wahlen.

derStandard.at: Können Sie eine Einschätzung dazu abgeben, welche Parteien im Moment favorisiert werden auf Ihrer Seite?

Tawfik: Das ist schwierig zu sagen, da man beachten muss, dass wir hier von Internetusern sprechen, also von einer vergleichsweise geringen Zahl und einer bestimmten Klientel, die relativ gebildet und weltoffen ist. Da muss man natürlich vorsichtig sein mit zu schnellen Rückschlüssen. Mein Bekanntenkreis entspricht zum Großteil derselben Klientel. Was die angeht, kann man schon sagen, dass die neuen Parteien schon ganz gut ankommen. Die Sozialdemokraten, die „Freien Ägypter" sowie die linksgerichtete populäre "Volksallianz" kommen ganz gut an bei Internetusern. Wenn es nach dem Internet gehen würde, würden diese neuen Parteien zusammen auf etwa 30 Prozent kommen. Sie sind die Speerköpfe der „Revolutionsparteien", die im Geiste der Revolution gegründet wurden.

Wenn Internetuser alleine die Präsidentschaftswahl entscheiden würde, wäre Mohammed El-Baradei (ägyptischer Diplomat und Ex-IAEO-Chef, Anm.), der voraussichtlich bei den Präsidentschaftswahlen antreten wird, auf jeden Fall ganz weit vorne. Wenn man sich aber die Orientierung in den unteren Schichten oder am Land ansieht in die Rechnung miteinbeziehen würde, käme bestimmt ein ganz anderes Bild heraus.

derStandard.at: Welche von den drei Parteien, die sie als federführend bezeichnet haben, ist die populärste?

Tawfik: Die "Freien Ägypter" würde ich ganz oben ansiedeln, dann die Sozialdemokraten und dann die "Volksallianz". Man brauchte eine Mindestzahl von 5.000 Mitgliedern für die Zulassung als Partei. Die Partei „Freie Ägypter" hatte schon bei Einreichung der Papiere mehr als 10.000 Mitglieder. Was an ihrem Chef (Naguib Sawiris, Multimilliardär und Geschäftsmann, Anm.) liegt, der der über gute Kontakte verfügt, finanziell gut gerüstet ist und über eigene Kanäle besitzt, was natürlich dazu beiträgt, besser für sich Werbung machen zu können.

derStandard.at: Die "Jugendbewegung 6.April" gilt als einer der wichtigsten Architekten der Aufstände gilt. Welche Rolle spielen die ehemaligen Aktivisten vor der Wahl?

Tawfik: Sie halten sich bewusst aus der Parteipolitik heraus. Im Moment sind sie vor allem zusammen mit anderen Gruppierungen in der Hinsicht aktiv, die Kandidatur ehemaliger regierungstreuer Politiker zu entlarven. Sie machen also bekannt, wenn es sich bei Kandidaten um ehemalige Mitglieder von Mubaraks Partei (die mittlerweile aufgelöste Nationaldemokratischen Partei, NDP, Anm.) handelt, die als unabhängige Kandidaten oder auf Wahllisten anderer Parteien antreten. Einige Aktivsten gehen ganz gezielt gegen diese Leute vor, sie reißen etwa all ihre Plakäte ab. Allerdings weiß ich nicht, ob die Jugendbewegung des 6. April bei diesen Aktionen mitmacht.

derStandard.at: Wie haben Sie die Haltung gegenüber der Wiederkandidatur ehemaliger NDP-Mitglieder erlebt?

Tawfik: Es gibt starken Druck dagegen, aber keine solide rechtliche Grundlage. Ich glaube, dass sehr viele Menschen nicht so weit gehen würden, jedes einzelne ehemalige Mitglied von der politischen Landschaft auszuschließen. Es geht den meisten mehr um das Verbot für Führungsmitglieder oder ehamalige Parlamentarier, denen Wahlvergehen nachgewiesen wurden bei vergangenen Wahlen. Das auf alle zu verallgemeinern, geht vielen zu weit. Immerhin sprechen wir von drei Millionen ehemaligen Mitgliedern. Die NDP war für viele, die nicht unbedingt ihre Ideologie vertraten, das einzige Ticket ins Parlament. Ich persönlich wäre auch dagegen, hier quasi mit der Machete durch den Urwald zu gehen und nicht zwischen den einzelnen Historien zu unterscheiden.

derStandard.at: Als Wahlsieger werden immer wieder die Muslimbrüder genannt. Welche Rolle spielt Religion in diesem Wahlkampf?

Tawfik: Die Muslimbrüder sind schon seit Jahren aktiv in der Politik. Aber sie sind keine starke Partei. Sie sind auf der Straße unbeliebt, das Problem ist, dass die säkulare Opposition sehr schwach ist. Darauf hat das Ex-Regime schließlich auch immer hingearbeitet. Die Muslimbrüder waren immer sehr leicht zu manipulieren. Sie waren immer eine verbotene Bewegung, andererseits konnten sie als Partei nahe 80 Abgeordnete ins Parlament schicken, wodurch Mubarak sich als vermeintlich demokratisch präsentieren konnte. Mit der gleichen Karte rechtfertigte man unter Mubarak dann wiederum die Einschränkungen der Menschenrechte - also, dass es um die Eindämmung der „islamistischen Gefahr" ging. 

Das Problem war immer die Schwäche der Opposition. Ägypten war immer ein in religiöser Hinsicht sehr moderates Land. Es gibt eigentlich keinen Boden für radikale Parteien und die meisten Leute lassen sich nicht durch Almosen kaufen. Sie nehmen die Almosen schon an, aber das heißt nicht, dass sie im Wahllokal dann automatisch den Muslimbrüdern ihre Stimme geben. Die große Frage ist nur, wen sie wählen sollen, wenn nicht die Muslimbrüder oder Ex-Mitglieder des Mubarak-Regimes? Die Oppositionsparteien wurden systematisch kaputt gemacht, wodurch sie jetzt langen Anlauf brauchen. Es wird lange dauern, bis sie Fuß fassen können, aber es ist wichtig, die islamistische Gefahr nicht allzu sehr aufzubauschen. (fin, derStandard.at, 25.11.2011)