Andreas Krannich (Sportradar), Thomas Hollerer (ÖFB-Rechtsabteilung), Philip Newald (CEO Tipp3) und Moderator Klaus Federmair (Ballesterer) disktutierten über den Fußball und sein Glaubwürdigkeitsproblem.

Foto: Florian Stecher/ballesterer

Ex-Profikicker Rene Schnitzler kuriert gerade seine Spielsucht und plädiert dafür, die Wetteinsätze runterzuschrauben: "Wetten soll Spass machen, sonst fischt jeder die Rente."

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Club 2 x 11: Die Fußball-Diskussion in der Hauptbücherei Wien.

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Wien - Am 1. Juni dieses Jahres bezwang das nigerianische Fußball-Nationalteam eine argentinische B-Auswahl in Ajuba mit 4:1. Der Schiedsrichter gab dabei einen höchst zweifelhaften Elfmeter vor dem einzigen Tor Argentiniens in der 98. Minute. Im Fernsehen sah man, dass der Ball einem Verteidiger Nigerias auf den Oberschenkel prallte. Warum ließ der Referee überhaupt acht Minuten nachspielen, obwohl nur vier Minuten angezeigt worden waren? Weil natürlich noch ein Tor fallen musste. "Das Spiel war manipuliert. Und so etwas ist immer möglich. Geben sie mir ein Match als Beispiel und ich sage ihnen wie man es manipuliert", sagt Andreas Krannich, Managing Director von Sportradar, einer Wettüberwachungsfirma.

Es sollte eine bewegte Podiumsdiskussion zum Thema "Wie sauber ist der Fußball?" werden, die das Ballesterer Fußballmagazin in der Hauptbücherei Wiens angestoßen hat. Der europäische Kick kommt jedenfalls nicht zur Ruhe, der jüngste Manipulationsskandal ist derzeit in der Türkei im Gang. Dort sitzen 30 Funktionäre und Spieler in Haft, am Pranger steht vornehmlich Rekordchampion Fenerbahce Istanbul. Mit unlauteren Mitteln soll der x-fache Meister zu Siegen und Titeln vergangene Saison zu Titeln und Ehren gekommen sein.

Heikle Schlagzeilen

Perspektivenwechsel: Aus der Praxis erzählt Rene Schnitzler, früherer Profi beim FC St. Pauli. Er ließ sein Talent am Pokertisch liegen und gestand, dass er zur Finanzierung seiner Spielsucht 100 000 Euro von einem Mitglied der Fußballwettmafia erhalten habe. Fünf Spiele des FC St. Pauli sollten manipuliert werden - wozu es jedoch nie kam, unter anderen weil er das Geld vorher schon verzockt hatte. Schnitzler warnt vor einer Medienhatz: "Blackouts passieren am Platz, Spieler machen Fehler. Leider liefern die Medien oft die schnelle Schlagzeile."

Schnitzler sprach den Fall des Wr. Neustädter Stürmers Edin Salkic an, der für sein Handspiel im letzten Saisonmatch gegen Sturm Graz wie sich im Nachhinein herausstellte zu Unrecht mit Wettbetrugsvorwürfen heftig konfrontiert worden war. "Ich hätte die Zeitung verklagt, die das geschrieben hat. Hier werden Existenzen zerstört", sagte Schnitzler. Auf Wikipedia stand drei Stunden nach Schlusspfiff, dass Edin Salkic tot sei.

300 Spiele pro Jahr ohne unsicheren Ausgang

Philip Newald, Chef der österreichischen Sportwetten GmbH, sagte fast naturgemäß, dass Tipp3 bei Wetten nur Themen anbiete, wo man sich auskenne. Und fordert mehr Präventionsarbeit in den Medien. "Lieber 48 Stunden ordentlich nachforschen, als heikle Schlagzeilen zu produzieren," so Newald. Ballesterer-Redakteur Klaus Federmair antwortete blitzschnell: "Darum gibt es den Ballesterer auch nur zehn Mal im Jahr mit ausführlicher Recherche." Andreas Krannich breitete indes ein bisschen Basiswissen aus der Branche der Wettüberwachung aus: Etwa 300 Spiele pro Jahr werden in Europa manipuliert, das ist eine verschwindend geringe Zahl in Relation zu den etwa 15.000 Spielen, die im gleichen Zeitraum beobachtet werden. 80 Prozent der auffälligen Partien werden nicht mehr mittels "pre match manipulation", sondern mit Live-Wetten manipuliert. Ab der 80. Minute soll also etwa aus einem 0:0 noch ein 3:0 werden. Krannich offenbarte auch, dass 25 Prozent der manipulierten Wetten nicht aufgehen und dass es bei Sportradar ein Sternesystem als Bewertungsrahmen gebe. "Fünf Sterne bedeuten, dass beide Teams und der Schiri manipuliert sind, bei einem Stern sind vielleicht nur zwei oder drei Spieler eingeweiht, was den Ausgang unsicherer macht." Das größte Problem sei, dass es keinen schnellen Erfolg gegen diese Form der Kriminalität gebe, die streng nach Statistiken und Gewinnwahrscheinlichkeiten arbeite.

Noch immer zugedeckt: Verdachtsmomente in Österreich

Das deutsche Recht trägt zur Verharmlosung der Problematik bei. Den Tatbestand des Sportbetruges gibt es dort nicht, in Österreich aber schon. Womit wir bei der "langsamsten Fußball-Schlagzeile" wären, wie es Martin Blumenau im Publikum formulierte. Die reicht ins Jahr 2009 zurück. Im Zuge der Verurteilungen der Wettpaten Ante Sapina und Marijo C. im größten Manipulationsskandal der europäischen Fußball-Geschichte waren laut Bochumer Staatsanwaltschaft auch fünf Erstligaspiele in Österreich betroffen. Unternimmt die Liga etwas? Wie ist der Status quo, fast im Jahr 2012? Thomas Hollerer, Vertretet der ÖFB-Rechtsabteilung: "Der ÖFB hat um Akteneinsicht angesucht, und diese erst im Frühsommer 2011 erhalten. Die Unterlagen liegen beim Staatsanwalt." Zündstoff für den heimischen Kick. Vielleicht. Sicher ist jedenfalls, dass es sich um keine gute Informationspolitik seitens des ÖFB handelt.

Gegen Ende der Diskussion fällt Rene Schnitzler noch ein, was Deutschland mit Österreich gemeinsam hat: Den Wildwuchs von als Wettbüro getarnten Automaten-Spielhallen. "Bei den Slot-Machines werden Haus und Hof verzockt. Mein Ding ist das nicht, du spielst nur gegen Strom." Spiesucht und Wettmanipulation seien nicht zwei verschiedene Paar Schuhe. Schnitzler: "Das eine führt zum anderen. Ich dachte nur, ich hätte von Fußball-Wetten mehr Ahnung." (28. November 2011; derStandard.at)