Pascal sagt, das ganze Unglück der Menschen rührt daher, dass sie nicht allein ruhig in einem Zimmer zu sitzen vermögen. Ich sage, das ganze Unglück der Menschen rührt daher, dass sie in verschiedenen Geschwindigkeiten ticken. Nicht jeder ist immer und überall gleich schnell unterwegs, aber jeder hat seine Grundgeschwindigkeit.

Es gibt Grave-Menschen, Lento-, Andante-, Allegro- und Presto-Menschen - und sicher noch andere mehr. Schwierig: Wenn Menschen mit unterschiedlichen Tempi aufeinandertreffen - und das ist ständig der Fall - gibt es Ärger, Stunk und Verdruss.

Hier einige klassische Problemfälle, die aus dem Zusammenprall zweier Geschwindigkeiten resultieren. Tempokollision in der Politik: Allegro-Staatssekretärin Heinisch-Hosek muss mit Gravissimo-Gewerkschafter Neugebauer verhandeln. Tempokollision auf der Autobahn: Prestissimo-Fahrer Gorbach muss aus Ärger zwei doppelte Obstler trinken, wenn er auf der Überholspur von einer 180-km/h-Blindschleiche eingebremst wird.

Tempokollision beim Petting. Das Lento-Mädchen spürt noch nicht einmal den Hauch einer romantischen Regung, während der Presto-Jüngling vor lauter Freude schon den vierten Schuss in die Gatte feuert. Erraten: Wir sprechen hier von diesen leidigen Praecox- oder Postcox-Problemen, die mehr als ein Sexualleben auf Dauer vermiest haben.

Tempokollision im Supermarkt: Für Prestissimo-Shopper gibt es nichts Peinsameres, als an der Kassa hinter einem Kunden zu stehen zu kommen, der gerade die Wonnen der Langsamkeit entdeckt hat (minutenlanges Scharren in der Börse, Beanstandung jedes zweiten Rechnungspostens etc). Und wenn dann auch noch die Kassierin von der langsamen Brigade ist! Dreimaliges Kleingeldnachzählen, umständliches Erbrechen von Zehn-Cent-Rollen usf. Geht es ganz blöd her, dann kriegt ein Prüfer von Moody's das Genestel und Getrödel zufällig mit und setzt die Supermarktbonität sofort auf ein AA minus herunter.

Aber ich will nicht auf einem negativen Ton enden. Daher die Geschichte von meinem alten Freund H. Der gab in seiner Jugend sehr gerne den Schmusebarden und konnte mit seinem lethargischen Gitarrenspiel selbst die quirligsten Mädchen so verlangsamen, dass sie sofort ins Bett gehen mussten, und zwar mit ihm. Ein derart gutes Timing hat freilich nicht jeder. (DER STANDARD/ALBUM - Printausgabe, 26./27. November 2011)