Im Rahmen seiner Lesereise besuchte Yene auch eine Schulklasse in Wien.

Foto: Haroun Moalla
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Der Kameruner Autor Fabien Didier Yene, der in seinem Buch "Bis an die Grenzen" von seinen Erlebnissen und den menschenunwürdigen Verhältnissen auf der Flucht durch die Sahara schreibt, kämpft an der Seite von verschiedenen Menschenrechtsorganisationen für die Rechte von MigrantInnen und das Recht auf Bewegungsfreiheit für alle Menschen. Im Rahmen einer Lesereise kam Yene, der heute in Marokko lebt, erstmals nach Europa, um sein Buch persönlich vorzustellen. Warum viele Menschen den gefährlichen Weg Richtung Europa auf sich nehmen und was sich im Diskurs um die afrikanische Migration unbedingt verändern muss, darüber sprach der 32-Jährige mit daStandard.at.

daStandard.at: Sie haben auf Ihrer Flucht von Kamerun nach Marokko sehr viel erlebt. Wann kam der Moment, in dem Sie wussten, dass Sie Ihre Geschichte und die Ihrer Mitreisenden aufschreiben wollten?

Fabien Didier Yene: Als ich Kamerun verlassen habe und in den Tschad kam, dachte ich zunächst, eines der größten Opfer der Verhältnisse in meinem Land zu sein. Aber ich war auf meinem Weg bald sehr überrascht, weil ich Leute getroffen habe, deren Situation noch schwieriger war als meine. Manche meiner Landsleute oder Mitreisenden waren in einer derart miserablen Lebenslage - da wusste ich einfach, das muss ich niederschreiben.

daStandard.at: In Ihrem Buch schreiben Sie über Ihre Erfahrungen in der dritten Person. War diese formelle Distanz notwendig, um mehr Abstand zu Ihrer eigenen Geschichte zu gewinnen?

Yene: Ja, das kann man schon so sagen, es hat aber auch noch einen weiteren Grund. Im Jahr 2003/2004, als ich in Marokko angekommen bin, war der Rassismus und die Repression so groß, dass ich beim Schreiben gewisse Dinge verschlüsseln musste, dazu gehört auch, dass ich nicht in der ersten Person geschrieben habe. Es gab immer wieder Razzien, bei denen ich festgenommen wurde und die Polizei die Manuskripte zerrissen und weggeschmissen hat. Das passierte öfters, und dann musste ich immer von neuem zu Schreiben beginnen.

daStandard.at: Trotz allem ist Ihr Buch sehr persönlich.

Yene: Es gibt natürlich einen ganzen Haufen von Recherchearbeiten von Journalisten und Mitarbeitern verschiedener Universitäten und NGO's, die ähnliche Bücher geschrieben haben, aber bei meinem Buch handelt es sich insofern um eine Premiere, als es aus erster Hand von jemandem geschrieben wurde, der all das direkt erlebt hat.

daStandard.at: Seit 2008 sind Sie Obmann der Kameruner Emigrantengemeinschaft in Marokko und arbeiten mit verschiedenen Menschenrechtsorganisationen zusammen. Was möchten Sie mit Ihrer Arbeit erreichen?

Yene: Ich setze mich vor allem für die Selbstorganisation der subsaharischen Migranten ein. Es gibt zwar eine Vielzahl an marokkanischen Organisationen, die sich mit dem Thema beschäftigen, die aber nicht in der ersten Person für diese Menschen sprechen können. Mir ist wichtig, als Sprachrohr für die subsaharischen Migranten zu agieren.

daStandard.at: Aber wie offen können Migranten in Marokko überhaupt sein, zum Beispiel, wenn sie einen unsicheren Aufenthaltsstatus haben?

Yene: Das ist tatsächlich sehr schwierig, wir können nicht offen arbeiten. Aber es gibt marokkanische Organisationen, die an unserer Seite kämpfen, wie zum Beispiel die AMDH (Association Marocaine des Droits Humains), eine marokkanische Organisation für Menschenrechte. Sie bieten uns eine Plattform und auch eine Art Deckung, damit wir offiziell agieren und aktiv sein können.

daStandard.at: Wo liegt das Kernproblem in der afrikanischen Migration?

Yene: Die Bestimmungen, um ein Visum zu bekommen, verschlechtern sich stetig. Und wenn immer weniger Leute Visas bekommen, dann bleibt die Reisefreiheit denjenigen vorbehalten, die wirklich viel Geld haben, also den Privilegierten. Die Migranten sind die Überbringer der Nachricht darüber, wie die afrikanischen Länder durch ihre schlechte Politik und ihre Eliten zerstört werden.

daStandard.at: Sie und Ihre Mitreisenden haben auf der Flucht durch die Wüste menschenunwürdige Verhältnisse erlebt, die sich im Laufe des Weges stetig verschlechterten. Was würden Sie anderen Menschen aus dem Subsahara-Afrika, die aus ihrer Heimat flüchten müssen, raten? Es erst gar nicht zu versuchen, nach Europa zu kommen?

Yene: Dazu kann ich keine Ratschläge geben. Ich weiß nur, dass viele Leute einfach nicht länger zuschauen können, wie ihre eigenen Familien verhungern oder sich ihre Frauen prostituieren müssen. Viele wählen diese gefährliche Route, weil sie keine andere Wahl haben. Entweder sie gehen, oder es bedeutet den Tod für sie. Auf der Reise macht es dann keinen Unterschied mehr, ob sie irgendwo in der Wüste von Mali oder im Flüchtlingsboot im Mittelmeer sterben.

daStandard.at: Im eigenen Land zu bleiben ist also für die meistern gar keine Option?

Yene: Die wenigsten gehen freiwillig. Denn jeder Mensch würde doch am liebsten zu Hause bei seiner Familie und seinen Freunden sein. Zudem ist Europa für die Flüchtenden nicht das El Dorado, wie es immer dargestellt wird. Das werden alle bestätigen, die jetzt in Europa sind. Sie sind nicht hergekommen, um sich hier ein schönes Leben zu machen, sondern sie arbeiten sehr hart, um dann das Geld zu den Familien nach Hause zurückzuschicken.

daStandard.at: Was muss sich im politischen Diskurs rund um die Migration von Afrika Richtung Europa ändern?

Yene: Es gibt eine Verbindung zwischen den korrupten Regierungen Afrikas und den Interessen der Europäischen Union, das ist ein scheinheiliger Diskurs, der oft auch noch mit einer so genannten Entwicklungshilfe gekoppelt ist. Daran müsste sich ganz grundlegend etwas ändern, die Kommunikation müsste ehrlich und offen sein, und die Reisefreiheit, die für Europäer schon lange existiert, müsste auch für die Länder des subsaharischen Afrikas endlich eingerichtet werden. Die afrikanischen Länder müssen endlich eigenständig werden in ihren politischen Entscheidungen. Das ganze Geld, das die Europäische Union in die Aufrüstung der Grenzen einsetzt, sollte in eine wirkliche Kooperation auf gleicher Augenhöhe eingesetzt werden.

daStandard.at: Welche Veränderung wünschen Sie sich in der Wahrnehmung der afrikanischen Flüchtlinge in Nordafrika und Europa?

Yene: Die Medien spielen eine große Rolle in der öffentlichen Meinung in Europa, und sehr oft ist diese eine sehr negative, weil Angst geschürt und der Eindruck vermittelt wird, dass die Leute Schmarotzer sind, und hier eigentlich nichts zu suchen haben. Außerdem wird die afrikanische Migration nach Europa in den Medien sehr übertrieben dargestellt. Der Großteil der Migrationen findet nämlich innerhalb Afrikas statt.

daStandard.at: Sie leben seit sieben Jahren in Marokko. Wie steht es um Ihren Aufenthaltsstatus dort?

Yene: Im marokkanischen Gesetz ist eine dauernde Aufenthaltsbewilligung nicht vorgesehen. Mein Visum hat eine Dauer von einem Jahr und es ist immer wieder erneuerbar. Man muss wissen, dass Marokko politisch gesehen ein repressives Land ist. Wenn ich von Dingen spreche, die nicht willkommen sind, dann riskiere ich, wieder rauszufliegen. Die Situation ist unvorhersehbar, es kommt ein bisschen darauf an, mit welchem Bein der König aufsteht, so entwickeln sich auch die Dinge im Land. (Jasmin Al-Kattib, 24. November 2011, daStandard.at)