Erwin Riess 2003

Foto: STANDARD / Corn

Gleich an zwei Fronten kämpft am Freitag der Wiener Schriftsteller und Behindertenaktivist Erwin Riess. Im ersten Teil einer Veranstaltung des Lebenshilfe-Betriebsrats mit dem Titel: "Wer im Rollstuhl sitzt, schaut der Wirklichkeit unter den Rock" geht es im Vortrag Die Ferse des Achilles um die Lage behinderter Menschen in Österreich. Der 54-jährige Riess sitzt selbst infolge eines Rückenmark-Tumors seit 1983 im Rollstuhl, seither arbeitete er im Wirtschaftsministerium in der Abteilung für Barrierefreies Bauen.

Er engagiert sich in der sogenannten "Krüppelinitiative", konstatiert in scharfsinnigen Essays oder ironischen Briefen an Sozialminister Rudolf Hundstorfer ("Unser jovialer Hardliner") die fortschreitende Zerstörung des österreichischen Sozialstaats. Seine Texte werden oft in der Hamburger Zeitschrift Konkret publiziert, im Juni 2011 schreibt Riess dort von der Massakrierung des Gesundheitswesens und einem "Hunnensturm", bei dem die Agenten der Vollprivatisierung für ihr Zerstörungswerk von der Öffentlichkeit auch noch fürstlich entlohnt werden. Im zweiten Teil liest Riess Neue Geschichten von Herrn Groll. Der Floridsdorfer verfasst Theaterstücke, Essays, Kolumnen sowie Erzählungen und Romane. Deren Protagonisten sind Herr Groll, Rollstuhlfahrer, Welterkunder, Schiffsliebhaber, und der "Dozent", Soziologie-Privatgelehrter mit Faible für Randgruppen.

Griesgram Groll mag körperlich behindert sein, im Kopf ist er alles andere als gelähmt. So räsoniert er über Gott und die Welt - nicht unwesentlichen Anteil an der Faszination der Groll-Geschichten haben diese ebenso gelehrten wie witzigen Abschweifungen. Dass Groll nicht nur geistige Mobilität liebt, beweisen etwa Herr Groll auf Reisen (2008) oder der Krimi Der letzte Wunsch des Don Pasquale (2006). Beide Bücher erschienen ebenso wie der letzte Roman Herr Groll und der rote Strom (2010) im Salzburger Otto Müller Verlag. Schwere Empfehlungen. (dog / DER STANDARD, Printausgabe, 25.11.2011)