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Menschenmeer auf dem Tahrir-Platz in Kairo.

Foto: Reuters/Dalsh

Mohammed kommt von der "Front". Seine Augen sind rot, sein Gesicht ist geschwollen. Er ringt nach Atem. Im Zentrum des Tahrir-Platzes lässt er sich im Notlazarett versorgen. Es besteht aus Wolldecken und ein paar Planen. "Ist das menschenwürdig?", fragt der junge Buchhalter.

Die "Front" ist knapp zweihundert Meter entfernt in der Mohammed-Mahmoud-Straße Richtung Innenministerium. Dort gibt es heftige Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten. Auf lärmenden Motorrädern werden die Verletzten fast im Sekundentakt abtransportiert, allesamt junge Männer, manche noch fast Kinder. Die schweren Fälle, viele Augenverletzungen, werden ins Notspital in der Omar-Makram-Moschee gefahren.

Die Demonstranten wollen die Sicherheitskräfte zurückdrängen, damit sie kein Tränengas auf den Platz schießen könnten. "Wir verteidigen nur unseren Traum von der Freiheit. Wir wollen frei demonstrieren. Niemand will das Innenministerium stürmen. Wir werfen keine Steine. Sie schießen dennoch direkt auf uns", sagt Mohammed.

Konzessionen der Militärs

Ein Aufruf zum "Marsch der Millionen" bringt Zehntausende auf den Platz. Im Fernsehen meldet sich der Vorsitzende des Militärrats, Feldmarschall Mohammed Hussein Tantawi, zu Wort. Er greift Forderungen der Demonstranten auf und verspricht Präsidentschaftswahlen bis Juni 2012 und nicht erst im Jahr 2013, eine Regierung der "nationalen Rettung" soll gebildet werden, die Armee akzeptiert den Rücktritt des amtierenden Kabinetts. Nach Teilnehmerangaben erwog der Militärrat, den Friedensnobelpreisträger und Ex-Chef der Internationalen Atomenergiebehörde, Mohamed El Baradei, zum neuen Regierungschef zu ernennen.

Der Protest erstirbt dadurch nicht. In regelmäßigen Abständen weht eine beißende Tränengaswolke über den Platz. Das Gas ist besonders aggressiv, ein normaler Mundschutz nützt nichts, es bedarf richtiger Gasmasken. "Es enthält CR, einen chemischen Stoff", weiß ein älterer Herr. Krankenschwestern und freiwillige Helfer mischen Wasser und Epicgel, ein Gegenmittel zum Gas, in Sprayflaschen. Viele Demonstranten haben deshalb maskenartige, weiße Gesichter. Seit Ausbruch der Unruhen vor vier Tagen sind mindestens 36 Menschen getötet, fast 2000 verletzt worden.

"Auf diesem Platz ist das ägyptische Volk König", steht auf einem Transparent in der Mitte des historischen Platzes. "Dafür demonstrieren wir, dass die Macht dem Volk gehört und die Bürger auch das Militär kontrollieren. Zivilisten müssen das Ruder übernehmen", sagt Ihab, ein 42-jähriger Geschäftsmann.

Vieles erinnert an die ersten Tage der Revolution. Es gibt keine Parteifahnen. Die Menschen sind einfach als Ägypter hier. Wahlen würden derzeit keinen Sinn haben, findet Ihab, weil ja nicht einmal klar sei, welche Befugnisse ein solches Parlament hätte. Regelmäßig branden Losungen gegen Tantawi auf. Im Netz zirkulieren Aufrufe zum Sammeln von Decken, Masken, Medizin und Nahrungsmitteln; die Resonanz ist groß. Im Rest der Stadt herrscht eine ungewöhnliche Ruhe.

Muslimbrüder boykottieren

Während die Salafisten, die ultrakonservativen Muslime, auf dem Platz gut sichtbar sind, ha-ben die Muslimbrüder die Teilnahme am Millionenmarsch abgesagt. Die Lage müsse jetzt beruhigt und nicht angeheizt werden. Sie beteiligten sich aber am politischen Dialog, zu dem der Oberste Militärrat am Dienstag geladen hatte.