ÖBBler rund um Roman Hebenstreit wollen einen Gehaltsnachschlag.

Foto: Christian Fischer

STANDARD: Ihr Vorgänger, Wilhelm Haberzettl, hat gesagt, die ÖBB-Strategie sei keine. ÖBB-Holding-Chef Christian Kern fahre ein Rückzugsgefecht. Stimmen Sie zu?

Roman Hebenstreit: Zwei Dinge. Grundsätzlich glaube ich, dass die ÖBB-Organisation und -Struktur nach dem Schlamassel 2003 wieder auf gutem Weg ist. Aber die mittelfristige Unternehmensstrategie der jetzigen Konzernführung sehen wir absolut kritisch. Weil sie tatsächlich das ist, was Willi Haberzettl sagt: ein Rückzugsgefecht.

STANDARD: Weil Defizitäres wie Stückguttransporte nicht bis in die Ewigkeit subventioniert wird? Man kann doch nicht immer zuzahlen, damit es ein paar hundert Eisenbahner schön warm haben ...

Hebenstreit: Nein. Aber das Wort Kerngeschäft hat eine völlig neue Bedeutung bekommen: Wir als ÖBB reduzieren und gehen aus Märkten heraus. Spannend ist das Stückgut deshalb, weil die ÖBB-Strategie dazu führt, dass Verkehr nachweislich auf die Straße verlagert wird. Das zeigt die jüngste Wifo-Studie ganz klar. In Deutschland geht man in die andere Richtung. Dort gibt es Fördermodelle, um Stückgut auf die Schiene zu bringen. Und drittens ist es die verdammte Pflicht der Belegschaftsvertretung, zu schauen, dass die Arbeit erhalten bleibt.

STANDARD: Verkehrsministerin Doris Bures sieht das nicht so eng, sie sagt, man müsse Teile aufgeben, um das Ganze zu retten ...

Hebenstreit: So formuliert, stimmt das auch. Die Frage ist nur: Wo ist Schluss? Werkstätten an einen Monopolanbieter abgeben, auf die Idee musst du einmal kommen! Eisenbahn ist derart komplex, dass auch technische Wartung ein sehr spezifisches Feld ist. Wenn du das aus der Hand gibst, bist du schnell einem Monopolisten ausgeliefert und ferngesteuert. Das würde ich nie machen. Es ist auch zu hinterfragen, wenn Arbeit ins Ausland verlagert wird, welche Verpflichtung ein Unternehmen dieser Größe im Staatsbesitz den österreichischen Steuerzahlern und Arbeitnehmern gegenüber hat.

STANDARD: Ich höre nichts, wo die ÖBB sparen könnte. Sind Bauprojekte auch für Sie heilig, obwohl der Zinsaufwand den Sparzwang im Betrieb dramatisch erhöht?

Hebenstreit: Das ist eine Eigentümerentscheidung. Wir wissen alle: Die ÖBB ist die Mischmaschine der Nation und Konjunkturmotor. Die Regierung hat beschlossen, beschäftigungswirksam den Bau zu forcieren, was volkswirtschaftlich okay sein kann. Aber wir werden nicht leise werden zu sagen: Wenn man das Bauprogramm so fortsetzt, wird man der ÖBB wirtschaftlich unter die Arme greifen müssen.

STANDARD: Sie fordern noch mehr Geld, eine Entschuldung der ÖBB?

Hebenstreit: Irgendwann wird es dazu kommen müssen. Entweder man überdenkt das Bauprogramm, oder man gibt der ÖBB die Kohle, die sie dazu braucht.

STANDARD: Schuldenbremse überall, nur bei der ÖBB nicht?

Hebenstreit: Ich halte es für Schwachsinn, sie in der Verfassung zu verankern. Das nimmt uns jede Flexibilität für konjunkturbelebende und kaufkraftfördernde Maßnahmen.

STANDARD: Konjunkturankurbelung macht ja eh die ÖBB. Apropos Forderung: ÖBB-Betriebsräte drängen auf Gehaltsnachforderungen, weil der Abschluss im Frühjahr mit 2,4 Prozent deutlich unter der inzwischen gestiegenen Inflationsrate von 3,4 Prozent liegt und der Metaller-Abschluss über vier Prozent. Was fordern Sie als Nachschlag?

Hebenstreit: Das werden wir in den Gewerkschaftsgremien beraten. Dort, wo es hingehört.

STANDARD: Es ist also ein Forderungspaket in Arbeit. Warum ist das eine Gewerkschaftsgeschichte? Sie sind eh beides - auch, wenn Sie den Vorsitz der Verkehrsgewerkschaft vorerst nicht nehmen.

Hebenstreit: Das betrifft natürlich auch die ÖBB, aber nicht nur. Die Gewerkschaft Vida verhandelt ja mit allen Privatbahnen, allen die im Fachverband vertreten sind.

STANDARD: Kaum ist die ÖBB operativ mit der Nasenspitze wieder ober Wasser, verlangen Sie mehr Geld? Ist das gerechtfertigt?

Hebenstreit: Ich habe keine Forderung formuliert.

STANDARD: Sie haben nicht dementiert, dass es Forderungen gibt. Der Druck kommt von Ihren Kollegen ...

Hebenstreit: Ich habe gesagt, wir werden in den Gewerkschaftsgremien darüber beraten.

STANDARD: Sie sollten sich beeilen, die Konjunktur bricht grad zusammen. Wann tagen die Gremien?

Hebenstreit: Die Gremien tagen in den nächsten Wochen. Wie gesagt, es ist nichts ausgeschlossen. (Luise Ungerboeck, DER STANDARD, Printausgabe, 23.11.2011)