Grünen-Chefin Eva Glawischnig zu Andreas Wabl: "Ich habe den Anspruch, das zu sagen, was ich meine. Der Strache widerspricht sich in einer Rede viermal hintereinander. Das ist oft nur Quatsch."

Foto: Der Standard/Urban

Grün-Urgestein Andreas Wabl zu Eva Glawischnig: "Was Pilz mit brav umschreibt, ist, dass die Potenziale nicht wahrgenommen werden." 

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Standard: Peter Pilz, der letzte noch aktive Abgeordnete der ersten Garde, sieht die Grünen in der "Bravheitsfalle". Sind sie das?

Glawischnig: Wenn er das nicht sagen kann, geht es ihm nicht gut. Das sagt der Peter seit 20 Jahren.

Wabl: Es ist der falsche Ausdruck für den Zustand der grünen Partei. Was er mit brav umschreibt, ist, dass die Potenziale nicht wahrgenommen werden. Ihr habt einen hervorragenden Klub mit hoher Sachkompetenz im Parlament, und trotzdem könnt ihr das im entscheidenden Augenblick nicht auf die politische Bühne bringen - in der Art, wie ihr es gern hättet.

Glawischnig: Findest du?

Wabl: Nehmen wir einmal die Finanzkrise. Im Wesentlichen hat man da die Rechten gehört und natürlich die Regierung. Und ihr hechelt mit einer differenzierten Botschaft hinterher. Da hätte meines Erachtens das Gewicht einer radikalen grünen Vision hineingehört, mit pragmatischen Ansätzen, was im Augenblick zu tun ist.

Glawischnig: Du sagst, wir würden unser Potenzial nicht ausnützen. Es hat sehr, sehr lange gedauert, bis die Grünen den Einzug in alle Landtage geschafft haben. In Kärnten war das erst 2004 der Fall. Es hat auch im Bund ewig gedauert, von den vier Prozent wegzukommen. Von 1986 bis Ende 1999 ist es nicht gelungen, nachhaltig zu wachsen, obwohl damals das große Parteiensystem auseinandergebrochen ist und Jörg Haider einen unglaublichen Aufschwung hatte. Jetzt sind wir auf einem Niveau von zehn Prozent fix, in Umfragen bei 15. Zur Radikalität: Schau dir die Leute im Parlament an, die kommen doch alle aus Widerstandsbewegungen.

Standard: Die Grünen kleben an der Zehn-Prozent-Marke, scheinen nicht vom Fleck zu kommen ...

Glawischnig: Aber das ist doch ein Blödsinn.

Standard: ... bei der letzten Wahl 10,4 Prozent, vorher 11,5 und 9,5 ...

Glawischnig: Vorsicht vor Journalistenklischees, die heißen: Die Grünen stagnieren, die Freiheitlichen schießen in den Himmel. Wenn ihr das weiter schreibt, wird das eintreffen. Bei der FPÖ heißt es, die habe 25 Prozent in den Umfragen. Aber sie hatte 17 Prozent bei der letzten Wahl. Wir liegen jetzt bei 13, 14, 15 Prozent. Das ist eine gute Ausgangsposition. Und was für die Grünen bezeichnend ist: Dort, wo wir regieren, fliegen wir nicht wie die Freiheitlichen raus - und es kommen auch nicht die Antikorruptionsbehörden und die Staatsanwälte in Scharen.

Standard: Tendenziell liegen die Grünen bei Umfragen immer gut.

Glawischnig: Nicht mehr automatisch. Wir wurden auch schon bei neun Prozent gehandelt.

Wabl: Ihr habt sicher Strategien festgeschrieben, wie ihr beim nächsten Mal in eine Regierung kommt. Die Fragen, die für mich dabei entscheidend sind, lauten: Wer gibt jetzt die Antworten auf diese fundamentale Krise, die das System erfährt? Und wer kann seine Ideen so darstellen, damit sie auch verstanden werden? Und da finde ich, dass die Grünen wesentlich lauter und fokussierter auftreten müssten. Ich bin überzeugt davon, dass alle 20 Abgeordneten unglaublich fleißig und kompetent sind. Letztendlich kommt es aber darauf an, was jene Bürger verstehen, die wählen. Und da leide ich immer ein bisschen.

Glawischnig: Ich glaube, dass die Freiheitlichen mehr leiden. Die haben in Wien dazugewonnen, sind aber ein Nullfaktor. In Wien regieren die Grünen. Geht es um Inhalte, wie etwa das neue Ökostromgesetz, spielen die Blauen nicht mit - auch jetzt nicht, wenn es um die Fragen von Vermögenssteuern geht. Wir schon.

Standard: Kommt man für die Wähler oft zu kompliziert rüber?

Glawischnig: Ich habe den Anspruch, das zu sagen, was ich meine. Der Strache widerspricht sich in einer Rede viermal hintereinander. Das ist oft nur Quatsch.

Wabl: Mich interessiert viel mehr: Gibt es eine Alternative zu dem jetzigen Wirtschaftssystem?

Glawischnig: Es gibt dabei ein Problem: Du musst bei existenziellen Maßnahmen überlegen, ob du die mitbeschließt oder nicht. Und gleichzeitig musst du das System ändern. In der Falle sitzt du drinnen. Wenn man sagt, es gibt keine Rettungsschirme, dann sprengen wir Österreich in die Luft. Ich habe keine Lust, dass die Währungsunion auseinanderfällt.

Wabl: Wenn ich bei einem Rettungsschirm mitmache ...

Glawischnig: Haben die Grünen noch nicht, wir fordern viel dafür.

Standard: Ein Grüner, der für einen roten Kanzler Klimaschutzbeauftragter war. Wie hat die Öko-Partei darauf reagiert?

Wabl: Statt dass die Grünen sehr, sehr froh gewesen sind, dass einer der ihren im Bundeskanzleramt sitzt, waren sie etwas reserviert. Anfangs zumindest. Das hat mich schon verwundert.

Glawischnig: Der damalige Kanzler Alfred Gusenbauer hat aber gut daran getan, sich bei dir Nachhilfe in Sachen Klimaschutz zu holen. Das würden wir jetzt bei seinem Nachfolger brauchen.

Wabl: Dass Werner Faymann wenig mit Umweltschutz am Hut hat, ist offensichtlich.

Standard: Waren Sie sauer?

Glawischnig: Nein. Aber es gibt immer eine gewisse Distanz zur Bundeskanzlermauer und was dahinter geschieht.

Wabl: Diese Erfahrung ist wichtig. Für mich war die Sachkompetenz vieler Mitarbeiter beeindruckend. Genauso war es interessant zu sehen, wie wenig in der Tagespolitik rauskommt.

Standard: Wo haben sich die Grünen in den 25 Jahren im Parlament fundamental geändert?

Glawischnig: Was sich geändert hat: Wir sind jetzt ein Faktor. Wir regieren in Wien, Oberösterreich, in Graz, wir stellen bei Zweidrittel-Materien im Parlament Ultimaten, wie jetzt bei der Schuldenbremse. Die Grünen sind Teil der politischen Landschaft. Das hat den prinzipiellen Widerstand gegen das ganze System abgelöst.

Wabl: Es ist bei jeder neuen Bewegung so, dass alles, was du sagst und tust, mit einer unglaublichen Aufmerksamkeit wahrgenommen wird. Wir waren im Parlament ja der Hauptgegner. Jetzt sind die Dinge schon grundsätzlich einmal gesagt worden. Das ist ein wesentlicher Vorteil für die Generation, die ganz am Anfang dabei war.

Glawischnig: Ich glaube, dass die Radikalität jetzt noch größer sein muss als damals. Zur Gründungszeit waren nationale, österreichweite Konzepte gefragt. Das ist heute viel komplexer. Es gibt bei keiner einzigen Frage mehr eine Lösung ohne europäischen Bezug. Und die suchen wir.

Standard: Auffallend ist, dass Freda Meissner-Blau die einzige Frau unter den ersten acht Abgeordneten war. Sie empfindet das heute noch als total blamabel.

Wabl: Ich will nicht an Denkmälern herumkratzen, aber Freda hat im entscheidenden Augenblick die radikalen Frauen mehr oder weniger nach Hause geschickt. Dann ist sie gefragt worden, warum da sieben Männer sind. Sie hat sich umgeschaut und gefragt: Wen kann man da auswechseln? Sie war mitverantwortlich.

Glawischnig: Wir sind da heute offensichtlich basisdemokratischer als die Grünen damals. Über Kandidaten kann ich als Bundessprecherin nicht entscheiden und will ich auch nicht. Die Frauenquote wurde erst 1989 im Parteistatut festgeschrieben.

Standard: Braucht's die noch?

Glawischnig: Diese Frage stellt sich nicht, das ist ein Bestandteil unserer Verfassung. Generell geht die allgemeine Entwicklung in die andere Richtung. Im Nationalrat sitzen weniger Frauen als vor zwei Jahren. Die Rechten sind im Wesentlichen frauenbefreite Parteien. Ich fürchte, die sind auch noch stolz drauf.(Peter Mayr, DER STANDARD; Printausgabe, 23.11.2011)