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Frankfurt - Die neuen Kapitalanforderungen der EU drohen für Commerzbank-Chef Martin Blessing zu einer Mammutaufgabe zu werden. Deutschlands zweitgrößter Bank fehlen wahrscheinlich rund 5 statt der bisher erwarteten 2,9 Mrd. Euro Eigenkapital, um auf die geforderte Quote von neun Prozent zu kommen, wie mehrere mit den Zahlen vertraute Personen der Nachrichtenagentur Reuters sagten.

Um die Auflagen aus eigener Kraft zu erfüllen, will Blessing die Bilanzrisiken im kommenden halben Jahr drastisch herunterfahren - möglicherweise um bis zu 20 Prozent, wie Insider betonten. Ob das gelingt, bezweifeln Experten. Blessing hat seine Zukunft als Vorstandschef daran geknüpft, dass die teilverstaatlichte Bank nicht nochmals Staatshilfe beanspruchen muss. Die radikale Schrumpfkur dürfte nicht nur zulasten des Auslandsgeschäfts gehen, sondern auch Kommunen in Deutschland treffen, deren die Commerzbank Milliarden leiht.

Die Hiobsbotschaft löste an der Börse Spekulationen aus, dass die Bank zusätzlich auf eine Kapitalerhöhung setzt. Die Aktie stürzte um 13 Prozent auf ein Allzeittief von knapp über 1,18 Euro. Das torpediert eine Kapitalspritze, weil die Bank neue Papiere nicht unter dem rechnerischen Nennwert von 1,00 Euro ausgeben darf. Auch den Bankenrettungsfonds SoFFin will Blessing nicht noch einmal anzapfen. "Da gehe ich nicht nochmal hin", sagte er kürzlich. Deshalb bleibt ihm nur, die Bilanz - durch Einschränkungen bei der Kreditvergabe oder den Verkauf von Firmenteilen oder Portfolien - so deutlich abzubauen, dass das vorhandene Kapital zur Unterlegung der Risiken (RWA) reicht. "Das wird ein sehr schwieriger Kraftakt", sagte ein Insider. Sollte er nicht gelingen, werde Blessing unter Druck geraten.

Keine Verluste

Die darf dabei keine Verluste hinnehmen, die das Kapital weiter aufzehren. "Die Commerzbank hätte schon die 2,9 Milliarden nur geschafft, wenn sie sich stark gestreckt hätte", sagte Analyst Dirk Becker von Kepler Equities. "Fünf Milliarden schafft sie auf keinen Fall. Die Commerzbank kann nur auf ein Wunder hoffen." Olaf Kayser von der LBBW unkt: "Da werden sie sich den Rest vermutlich doch vom SoFFin holen müssen." UBS-Bankenexperte Philipp Zieschang geht sogar von einer Lücke von 6 Mrd. Euro aus. "Da bleibt ein Loch von drei Milliarden, selbst wenn die RWA-Reduzierung gelingt." Die Bank wollte sich dazu nicht äußern.

Die EU will das verlorengegangene Vertrauen in die Banken wieder herstellen, indem sie die 70 größten Institute Europas dazu zwingt, ihr hartes Kernkapital bis Juni 2012 einheitlich aufzustocken. Im Oktober hatte die EU-Bankenaufsicht EBA einen vorläufigen Kapitalbedarf von 106 Mrd. Euro ermittelt und die Banken gezwungen, dabei ihre Staatsanleihen zu Marktwerten anzusetzen. Die 13 größten deutschen Banken schienen glimpflich davongekommen zu sein: Nur vier von ihnen brauchten zusammen 5,2 Mrd. Euro, mehr als die Hälfte davon allein die Commerzbank. Die Zeit drängt: Bis Weihnachten müssen die Institute den europäischen Aufsehern mitteilen, wie sie die Kapitalausstattung verbessern wollen.

Doch inzwischen ist über die Berechnungsgrundlagen ein heftiger Streit unter den Aufsehern ausgebrochen. Deutschland und andere Staaten leisten aber noch Widerstand gegen eine Verschärfung der Kapitaldefinition, auch um die deutschen Institute nicht über Gebühr zu belasten. Das hat die Veröffentlichung des finalen Kapitalbedarfs verzögert. Aufsehern zufolge ist damit frühestens in der kommenden Woche zu rechnen. "Die EBA baut kein Vertrauen auf und erhöht das Risiko, dass die Realwirtschaft den Preis dafür zahlen muss", sagte ein Insider.

Klar ist, dass die Gewinne der Banken im dritten Quartal in die Berechnung einbezogen werden sollen. Die Commerzbank hat da 700 Millionen Euro Verlust erwirtschaftet. Die Londoner Aufseher wollen Finanzkreisen zufolge zudem die Möglichkeit einschränken, Kursverluste mit Papieren aus den Schuldenstaaten mit Gewinnen etwa bei Bundesanleihen zu verrechnen. Das träfe vor allem die deutschen Banken. Aufsichtskreisen zufolge könnten sie nun gut und gerne zehn Milliarden Euro brauchen. Um den endgültigen Kapitalbedarf zu ermitteln, sollen auch die Risiken der Banken genauer bewertet werden.

Der Commerzbank-Vorstand hatte schon angesichts der anfangs veranschlagten 2,9 Mrd. Euro einen Notplan aufgestellt, der die Bilanzrisiken (RWA) von zuletzt 244 Mrd. Euro um 30 Mrd. Euro drücken sollte. Ein Gewaltakt: Das Neugeschäft des größten deutschen Immobilienfinanzierers Eurohypo wird gestoppt. Im Mittelstandsgeschäft sollen Kredite bis auf weiteres nur dann vergeben werden, wenn sie mit den Kernmärkten Deutschland oder Polen zu tun haben. "Das ist wie bei einem Boxer, der drei Tage vor seinem großen Kampf noch versucht, 20 Kilo abzunehmen", beschrieb ein Analyst das Vorhaben.

Die Ertragsperle der Bank, das Geschäft mit dem Mittelstand, soll nicht in Mitleidenschaft gezogen werden. "Die Bank wird nicht ihren größten Ertragsbringer anrühren", sagte ein Insider.

Dagegen müssen deutsche Länder und Kommunen den Kreisen zufolge mit drastischen Einschnitten in der Kreditvergabe rechnen. Damit riskiert Blessing einen Konflikt mit seinem Großaktionär: Der Staat hält noch immer 25 Prozent an der Commerzbank und 1,9 Mrd. Euro in Form von Stillen Einlagen, seit er die Bank in der Finanzkrise gerettet hat. Noch im Juni hatte die Bank fast 3,3 Mrd. Kapital an den Staat zurückgegeben, weil die Aufseher meinten, dass sie auch ohne auskommen könnte - Geld, das ihr nun schmerzlich fehlt. (APA/Reuters)