Die Stadtbahn vor der evangelischen Stadtkirche in Karlsruhe und im Schwarzwälder Murgtal:

Foto: Kvv

Moderne Triebwagen bedienen im Großraum Karlsruhe sowohl innerstädtische Linien als auch Überlandstrecken.

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Karlsruhe/Salzburg - Das Zentrum von Karlsruhe mit der Fußgängerzone Kaiserstraße ist derzeit eine riesige Baustelle. Die Stadt baut mit kräftiger Unterstützung des Bundes und des Landes Baden-Württemberg um rund 400 Millionen Euro einen Tunnel quer durch die Innenstadt.

Das Tunnelprojekt ist Ergebnis einer europaweit ziemlich einmaligen Erfolgsgeschichte des öffentlichen Personennahverkehrs. Da der Straßenbahnverkehr im Stadtzentrum oberirdisch inzwischen so dicht geworden ist, dass ein Überqueren der Fahrbahn für Fußgänger kaum noch möglich ist, muss ein Teil der Schienen unter die Erde. Auch für die Tramwaylogistik ist der innerstädtische Minutentakt zum Problem geworden. "Wir stehen uns manchmal selber im Weg", erzählt Dieter Ludwig.

Ludwig, inzwischen pensionierter ehemaliger Geschäftsführer des Karlsruher Verkehrsverbundes, ist der Erfinder des "Karlsruher Modells", das europaweit als Vorbild für den öffentlichen Personennahverkehr gilt. Aus der Erkenntnis heraus, "dass die Mobilitätszuwächse nicht alleine auf der Straße zu bewältigen sein werden", setzte Ludwig schon Anfang der 1980er-Jahre ganz auf die Schiene.

"Tram-Train"

Das Ziel für die 300.000 Einwohner zählende Stadt Karlsruhe war, dass die Fahrgäste ohne umzusteigen vom Umland in das Zentrum gelangen können. "Man muss den Zug zu den Menschen bringen und nicht umgekehrt", lautet der Leitsatz der Karlsruher Verkehrsplaner. Und: Der Takt muss so konzipiert sein, dass die Öffis ohne Fahrplanstudium benutzt werden können.

Technische Voraussetzung für dieses schienengebundene Konzept - Busse werden nur noch für den Querverkehr von und zu den Bahnachsen und nicht mehr entlang der Hauptstrecken eingesetzt - sind die "Tram-Trains". Diese Triebwagengarnituren können sowohl im städtischen Straßenbahnnetz mit 750 Volt Gleichstrom als auch im Schienennetz der Bahn überland mit 15 KV Wechselstrom eingesetzt werden. Die Umstellung von einem auf das andere System erfolgt während der Fahrt auf kurzen spannungsfreien Gefällestrecken.

Der Fahrgast merkt von dem kleinen technischen Wunder nichts. Was er merkt ist, dass es auf offener Strecke mit einhundert Sachen recht flott dahingeht. Innerstädtisch wird das Tempo gedrosselt, dafür können die "Tram-Trains" engste Kurvenradien bewältigen und so auch in dicht verbautem Gebiet eingesetzt werden. "In der Region schnell als Eisenbahn - in der Stadt flexibel als Straßenbahn", sagt Ludwig.

Mit den "Tram-Trains" war es plötzlich möglich, eine ganze Region an das Straßenbahnnetz der Stadt anzuschließen und so ein dichtes Streckennetz über die Region zu legen. Acht Hauptstrecken mit einem Zehnminutentakt durchqueren derzeit Karlsruhe.

Akzeptanz und Erfolg bestätigen das Modell. Auf der Pilotstrecke von Karlsruhe in die kleine Stadt Bretten hat sich die Fahrgastzahl im Vergleich zum alten Zugangebot vom Jahr 1991 bis heute auf 18.000 Personen täglich verachtfacht. Besonders erfreulich aus Sicht der Verkehrsexperten: 40 Prozent der Fahrgäste sind vorher mit dem Auto gefahren.

Die rasant gestiegenen Fahrgastzahlen sind für die Verkehrsbetriebe auch ökonomisch interessant. Das jährliche Defizit konnte von etwa 28 Millionen im Jahr 1994 auf derzeit etwas über 20 Millionen gesenkt werden.

Stadtentwicklung

Inzwischen hat sich auch die Stadt Heilbronn (120.000 Einwohner) an das etwa 700 Kilometer umspannende Nahverkehrs-Schienennetz angeschlossen. Wo früher laut Stadtverwaltung bis zu 20.000 Autos täglich durch die Stadt donnerten, ist heute eine Fußgängerzone, in der nur noch die Tramway und der Zubringerbus fahren. Insgesamt umfasst der Nahverkehrsraum inzwischen rund eine Million Menschen.

Der Stadtentwicklung hat der Öffi-Boom - selbst für Laien sichtbar - gut getan. Anstatt - autoabhängig - in die Fläche, auf die grüne Wiese zu bauen, rücken Industrie, Gewerbe und Wohnbau näher an die Bahnachsen heran. Für die Stadtplaner wird die Bahn immer mehr zur Entwicklungsachse. In Bretten etwa hat die Stadt ehemalige Industrieflächen entlang der Bahn saniert und für die Ansiedelung von Betrieben gleich zwei neue Haltestellen gebaut. (Thomas Neuhold, DER STANDARD; Printausgabe, 22.11.2011)