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Lautstark und nicht zu übersehen: Die Tunesierinnen demonstrieren regelmäßig für ihre Rechte.

Foto: AP/dapd/Hassene Dridi

Wien - Bringt die Revolution in Tunesien eine Verschlechterung bei den Rechten von Frauen mit sich? Nein, meint eine tunesisch-schweizerische Frauenrechtlerin. Saida Keller-Messahli gründete in Zürich das "Forum für einen fortschrittlichen Islam". Nach dem Umsturz in ihrem Heimatland kehrte sie für einen längeren Aufenthalt zurück, um sich ein Bild von der Lage zu verschaffen. "Ich glaube nicht, dass es die Islamisten schaffen, die rechtlich komfortable Situation für Frauen anzugreifen", lautet ihr Fazit.

Errungenschaft: Statut Personnel

Tunesien galt vor dem Umsturz des Autokraten Ben Ali im Jänner als fortschrittliches Land in Bezug auf Frauenrechte. Seit den 1950er Jahren besitzen Frauen das Wahlrecht, zudem wurde die Polygamie abgeschafft und das Recht auf Ehescheidungen eingeführt. Dieser Bruch mit dem islamischen Recht wurde 1956 im Code du Statut Personnel festgelegt, einem Gesetz, dass die Gleichstellung von Frauen in vielen Rechtsbereichen vorschreibt.

"Ennahda in der Frauenfrage janusköpfig"

Die stärkste Partei in der neu gewählten verfassungsgebenden Nationalversammlung, die islamistischen Ennahda, hat versprochen, das Statut Personnel beizubehalten, und keine neuen Einschränkungen, etwa eine Pflicht zur Verschleierung, einzuführen. Die Ennahda sei zwar in der Frauenfrage janusköpfig, und schlage zuweilen auch andere Töne an, jedoch seien die Islamisten nicht in der Lage, am Status quo etwas zu ändern, sagte Keller-Messahli.

Frauenbewegung macht ständig Druck

Die Aktivistin verwies darauf, dass die Ennahda keine Mehrheit im neuen Parlament besitzt, das am Dienstag seine Arbeit aufnimmt. Die nach eigenen Angaben "moderaten" Islamisten sind auf ein Bündnis mit den säkularen Kräften angewiesen. Zudem gebe es eine gut organisierte Frauenbewegung im Land, die beständig Druck ausübe. "Alle drei Tage demonstrieren die Frauen in Tunis und in anderen Städten für ihre Rechte", betonte Keller-Messahli. Die Bewegung könne sich auf eine Tradition berufen, die auf die 1920er und 1930er Jahre zurückgehe.

Islamistische Kräfte im Landesinneren

Große Unterschiede in der Situation der Frauen sieht Keller-Messahli zwischen den liberalen Städten an der Küste des Landes, sowie dem ökonomisch rückständigen Landesinneren. Dort habe die islamische Tradition oft mehr Gewicht als das Gesetz, und die Islamisten seien in beinahe jedem Dorf präsent. Der Gegensatz zwischen dem urbanen Raum und dem Landesinneren werde die junge Demokratie in dem Land vor eine "Zerreißprobe" stellen.

Revolution gegen den Neoliberalismus

Für die neue Regierung gelte es darum, die soziale Ungleichheit zu bekämpfen, die ein Auslöser für den Umsturz zu Jahresbeginn war. "Es war eine Revolution gegen den Neoliberalismus", zeigte sich Keller-Messahli überzeugt. Unter Ben Ali seien Privatisierungen und Günstlingswirtschaft Hand in Hand gegangen, darum gebe es nun ein Bedürfnis nach sozialem Ausgleich. Die Aktivistin besuchte Wien auf Einladung des "Forums Emanzipatorischer Islam". (APA)