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Mariano Rajoy, der Vorsitzende des Partido Popular, dürfte neuer Premierminister werden.

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Seinem Kontrahenten Alredo Pérez Rubalcaba hört kaum einer zu.

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Unter dem Druck einer sich dramatisch zuspitzenden Wirtschaftskrise haben heute um 09.00 Uhr die vorgezogenen Parlamentswahlen in Spanien begonnen. Rund 35,7 Millionen Spanier sind aufgerufen, 350 neue Parlamentsabgeordnete und 208 Senatoren zu wählen. Als großer Favorit wird der bisherige Oppositionsführer Mariano Rajoy von der konservativen Volkspartei (PP) gehandelt. Letzte Umfragen verschiedener spanischer Tageszeitungen stellen dem Konservativen mit bis zu 198 Mandaten sogar eine absolute Parlamentsmehrheit in Aussicht. (APA)

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Esperanza Encabo wohnt im Hotel. Es ist nicht irgendein Hotel, und auch der Aufenthalt ist nicht ganz freiwillig. Das Haus liegt im Zentrum Madrids, nur wenige Meter von der Puerta del Sol entfernt, wo bei den spanischen Gemeinderats- und Regionalwahlen im Mai Hunderte ihr Protestcamp errichtet hatten. "Wir haben das leerstehende Gebäude nach den weltweiten Mobilisierungen am 15. Oktober besetzt" , erklärt Encabo. Sie selbst wurde aus ihrer Wohnung in einem kleinen Dorf 100 Kilometer westlich von Madrid geklagt.

In den letzten fünf Jahren wurden in Spanien 500.000 Wohnungen zwangsgeräumt. Ganze Familien landeten auf der Straße. Das "Befreite Hotel Madrid" will ihnen vorübergehend eine Bleibe geben. Das Gebäude mit seinen fünf Stockwerken, Küchen, dem Restaurant und den Versammlungsräumen stand seit Jahren leer. Es gehört einer spekulationsfreudigen Immobilienagentur. Im Jänner 2010 erklärte sich die Agentur für zahlungsunfähig. Für die Besetzer sind Unternehmen wie die Agentur "für die Politik mitverantwortlich, die das Land in die schwierige wirtschaftliche Lage gebracht hat" . Spanien boomte über ein Jahrzehnt dank der Immobilienspekulation, dann platzte die Blase. Fünf Millionen der 47 Millionen Spanier sind ohne Arbeit. Die Jugendarbeitslosigkeit ist doppelt so hoch.

Spanien führt damit die Statistiken in Europa an. Das Hotel ist zum Symbol der Bewegung der Empörten geworden.

Esperanza Encabo sieht sich als Aktivistin der "15M" , wie sie sich nennen. Der Name bezieht sich auf den 15. Mai, als alles mit einer Demonstration gegen Korruption, Jugendarbeitslosigkeit und das Wahlsystem begann. Dabei will Encabo gar nicht so recht in dieses Schema passen.

Alte und Junge

Mit 75 Jahren ist sie eigentlich zu alt für die Proteste der unzufriedenen Jugend. "Ohne die jungen Leute vom 15M wäre ich aber auf der Straße" , erklärt sie, die sich bis zur Pension mit Jobs in Spanien, Deutschland, Frankreich und Belgien durchschlug.

Neben dem Hotel, auf der Puerta del Sol, findet Wahlkampf statt. Ob es der konservative Partido Popular (PP) ist, dem Umfragen eine absolute Mehrheit vorhersagen, oder der PSOE des noch regierenden Sozialisten José Luis Rodríguez Zapatero oder kleinere Parteien: Alle legen einen Zwischenstopp im Herzen der Hauptstadt ein. Sie versprechen und versprechen - Encabo lässt das kalt. "Es ist Zeit, die Tortilla umzudrehen" , bemüht sie ein Sprichwort.

Bisher habe sie immer die Sozialisten gewählt. Nach der Krisenpolitik mit Sozialkürzungen wandte sie sich von der Partei Zapateros und dessen Nachfolger als Spitzenkandidat, Alfredo Pérez Rubalcaba, ab. "Ich werde dieses Mal einer kleinen Partei meine Stimme geben" , sagt Encabo. Sie sympathisiert mit der neuen Grünen Partei Equo.

Im Mai bei den Wahlen lautete der Slogan der Empörten "Wähl sie nicht!" oder "Sie vertreten uns nicht!" Die Stimmenthaltung stieg wie die ungültigen Stimmen. Der PP gewann haushoch. Dies führte zu Diskussionen in Encabos Hotel. "Wer nicht wählt, legitimiert damit das Zwei-Parteien-System" , erklärt Fernando Rodríguez, ein 37-jähriger Berufsschullehrer. Die Umfragen zeigen: Die postkommunistische Vereinigte Linke, die Zentrumspartei UpyD und die Equo dürfen sich Hoffnungen auf Stimmen aus den Reihen derer machen, die dem System den Rücken kehren. Rodríguez schwankt zwischen Equo und linksradikalen "Anticapitalistas" . Der 26-jährige arbeitslose Jurist Fabio Gándara ist trotz des bevorstehenden Sieges der Konservativen optimistisch. Er glaubt an den Beginn vom Ende des Zwei-Parteien-System: "Das Parlament wird so viele Parteien aufnehmen wie nie zuvor." (Reiner Wandler aus Madrid /DER STANDARD, Printausgabe, 19.11.2011)