Vier Milizoffiziere in zivil im Offizierskasino am Wiener Schwarzenbergplatz.

Foto: Benedikt Narodoslawsky

Ein Karabiner der deutschen Wehrmacht hängt hinter der Schank, "Patengeschenk für die OGW Waffenkreis Infanterie von der RK Absicherug-Hardhöhe" steht auf der Plakette darunter.

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Major Blaha über die Putsch-Gefahr eines Berufsheeres: "Wie bei allen Institutionen dieser Art hat das Bundesheer dann etwas sehr eingeständiges mit einem Eigenleben."

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Die Plaketten an der Schank stammen von ausländischen Partnerorganisationen und zeugen von der regen Vernetzung der OGW. Rechts hängt eine Glocke, links eine Gasmaske, die ein tschechischer Soldat nach einer Übung vergessen hat.

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Links ein Gemälde des kuk-Schlachtschiffs "SMS Viribus unitis" (ein Faksimile aus dem Heeresgeschichtlichen Museum), rechts Peter Birkmayer, ehemaliger ÖGW-Präsident und Oberst in Rente.

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Die OGW nimmt auch an internationalen Bewerben teil und hat so manche Trophäe ergattert.

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"Wir haben Wehrsprecher von Parteien getroffen, die nicht sagen konnten, in welcher aktuellen Stärke das Heer aufgestellt ist", sagt Major Blaha (links). Cibulka (rechts) fügt hinzu: "Die auch nicht wissen, was im Ergebnisbericht der Reformkommission steht.

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Peter Birkmayer: "Ich habe noch nie soviel Kondition beim Schifahren gehabt wie nach den Bundesheer-Übungen."

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Oberleutnant Matthias Schmidl: "Wenn der Herr Verteidigungsminister sagt: 'Wir marschieren!', dann marschieren wir. Jeder von uns."

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Die russische Maschinenpistole wurde nach der Besatzungszeit dem österreichischen Heer zur Ausbildung zur Verfügung gestellt.

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Oberstleutnant Cibulka: "Es entsteht der Eindruck, dieses Bundesheer ist grundsätzlich einmal zum Krenreiben."

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Die beiden Silbersäbel sind jenen der Monarchie nachempfunden und sind für Berufsoffiziere bestimmt.

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Links hängt eine russische Maschinenpistole, rechts kreuzen silberne Säbel und hinter der Schank haben sie einen Karabiner der deutschen Wehrmacht an die Wand genagelt. Im Offizierskasino am Schwarzenbergplatz, nahe des Schlosses Belvedere, in dem der legendäre Feldherr Prinz Eugen residierte, hat die 1.350 Mitglieder starke Offiziersgesellschaft Wien (OGW) ihr Zuhause. Die Offiziere mussten die Bibliothek im Keller verkaufen, um sich die Renovierung ihres Vereinslokals zu leisten. Lieber als das Kasino hätten sie das Bundesheer umgebaut.

Verteidigungsminister Norbert Darabos hat einmal über die Offiziersgesellschaft geschimpft; deren Meinung interessiere ihn so sehr wie die des Fußballklubs von Kroatisch-Minihof, sagte der Minister im Fernsehen. Jetzt sitzen vier Miliz-Offiziere der OGW auf Polsterstühlen am Holztisch und ärgern sich. "Die Truppe ist verunsichert, weil sie eine Aufgabe hat und in der Durchführung ständig desavouiert wird", sagt Peter Birkmayer, 73 Jahre alt, ehemaliger Chef der OGW, sein Bild hängt wie das der anderen Altpräsidenten an der Wand.

Schlachtschiff am Sinken

Neben dem altgedienten Milizionär sitzt Oberstleutnant Erich Cibulka, 48 Jahre, studierter Psychologe. "Grundwehrdiener verbringen nach den ersten Wochen, wo sie noch militärisches Abenteuer erleben, Monate der Fadesse. Da verstehe ich, dass sie das Gefühl haben, es wird ihnen Lebenszeit gestohlen", sagt der überzeugte Militär. Soldaten lüden ihren Frust in ihren Familien-, Freundes- und Bekanntenkreis ab, Jahr für Jahr. "Dann entsteht der Eindruck, dieses Bundesheer ist grundsätzlich einmal zum Krenreiben."

Schräg gegenüber hängt ein Gemälde der SMS Viribus Unitis, dem stolzen Schlachtschiff der kuk-Kriegsmarine, das 1918 versenkt wurde. Wenn das Bundesheer nicht den Kurs ändere, so klingt es, dann drohe auch ihm der Untergang.

Stellen wir uns vor: Eine ernst zu nehmende Terrordrohung

Dabei werde die Bedrohungslage für Österreich immer ernster. Ja, der Kalte Krieg sei vorbei, dass wüssten sie alle, sagen die Offiziere. Aber es gäbe andere Gefahren, vor denen sich die Republik immer besser schützen müsse: Naturkatastrophen. Terrorismus. Cyber-War. Man nehme, sagt Cibulka, nur den WKR-Ball der rechten Burschenschafter als Beispiel, gegen den die Linken seit Jahren auf die Straße gehen.

"Für ein an sich mickriges Ereignis ist die gesamte Exekutive der Großtstadt Wien verbraucht. Jetzt stellen wir uns vor, es ist kein Ball, sondern eine ernst zu nehmende Terrordrohung oder es ist tatsächlich etwas passiert", sagt der Oberstleutnant. "Dann sind es zahlenmäßig einfach zu wenig." Kurz: Das Heer muss als Back-Up bestehen bleiben. Und das Heer muss funktionieren. Was es nach Meinung des Miliz-Soldaten nur mit einer entsprechenden Anzahl an Miliz-Soldaten kann.

"In Mumbai haben 50 Terroristen das Stadtzentrum gestürmt und Tage lang Geiseln gehalten. Real passiert." In so einem Fall müsste man die "schutzwürdigen Objekte" des Landes absichern. Davon gibt es laut Innenministerium rund 1.300. Cibulka: "Die sind für die Infrastruktur und das Zusammenleben des Staates einfach das Rückgrat. Wenn wir schon die Polizei komplett aufbrauchen, um eine Hofburg zu beschützen, dann kann man von 1.300 Objekten nur träumen."

Politischer Schlingerkurs verursacht Übelkeit

Michael Blaha hat von allen Miliz-Offizieren am Tisch die größte Verantwortung, ein- bis zweimal in der Woche streift er sich seine Uniform über, dann ist er nicht mehr Computerfachmann Blaha, sondern Miliz-Major Blaha und befehligt ein Bataillon von 800 Soldaten. Vom politischen Schlingerkurs der Großen Koalition wird ihm übel. "Ich erwarte zwingend, dass sich die beiden Regierungsparteien auf einen Kurs einigen können. Es ist letztendlich eine nationale Sicherheitsfrage, wie das Militär in einem Staat auszusehen hat", sagt Blaha.

"Die Herrschaften, die auf politischer Ebene diskutieren, sind viel zu schlecht informiert. Wir haben Wehrsprecher von Parteien getroffen, die nicht sagen konnten, in welcher aktuellen Stärke das Heer aufgestellt ist", moniert der Major, und Kamerad Cibulka fügt hinzu: "Die auch nicht wissen, was im Ergebnisbericht der Reformkommission steht. Das finde ich wirklich bemerkenswert."

Die Bundesheer-Reformkommission: Ein Jahr lang zerbrachen sich hochrangige Militärs, Experten und Politiker den Kopf darüber, wie das Heer der Zukunft aussehen müsse, um auf kommende Bedrohungen vorbereitet zu sein. Ihre Empfehlungen erschienen im Jahr 2004, mit "Zukunft" meinten sie 2010.

Umgesetzt wurde bis heute nicht viel: nur der Grundwehrdienst wurde von acht auf sechs Monate verkürzt. Aber die nötigen, unpopulären Voraussetzungen für die Reform - nämlich das Heeresbudget aufzurüsten, von 0,7 auf 1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, - dagegen hätten sich die Verantwortungsträger im Parlament beständig gewehrt, sagt Cibulka. "Es hat auf politischer Seite ein Rosinenpicken stattgefunden."

Die unbeantwortete Frage nach der genauen Bedrohung

Jetzt werde das Budget laufend gekürzt, das Bundesheer sei marode, Soldaten verplempern Zeit, Panzer könnten nicht mehr fahren. Niemand wisse, wie es weitergeht. Und dann noch diese Debatte um die Wehrpflicht. Matthias Schmidl, Jurist, mit 28 Jahren der jüngste Offizier in der Runde, glaubt, die Politiker würden das Schlachtross gerade von hinten aufzäumen. "Seriöserweise hätte man zuerst die Sicherheits- und Verteidigungsdoktrin verabschieden müssen, die im Moment noch in Diskussion ist und im Nationalrat hängt", sagt Schmidl. Denn dann wisse man auch, wer und was Österreich gefährde. "Davon müsste man die Frage ableiten: Welches Bundesheer und welche Stärke brauchen wir, was können wir uns leisten?"

"Konventionelle Angriffe gegen Österreich sind auf absehbare Zeit unwahrscheinlich geworden", steht im Textentwurf zur Sicherheitsdoktrin. Welchen neuen Bedrohungen Österreich im 21. Jahrhundert ausgesetzt ist, ist politisch ebenso umstritten wie die Zukunft des Bundesheeres, wie auch eine Diskussionsveranstaltung des Instituts für Internationale Politik zeigte. Die Opposition vermisst eine stärkere Bezugnahme auf die immer relevanter werdende "Cyber Security", während sich SPÖ-Vertreter einerseits darauf konzentrieren, die heilige Kuh "Neutralität" nicht anzutasten, und ÖVP-Vertreter dafür plädieren, "die Berührungsängste mit der Nato zu minimieren."

Das Volk und die Vorteile

Während die Gefahren-Definition noch auf sich warten lässt, sind politische Überlegungen zur Abschaffung der Wehrpflicht schon weiter fortgeschritten. Geht es nach der SPÖ, so soll diese Frage vom Volk entschieden werden. "Das Volk kann man schon fragen", sagt Jung-Offizier Schmidl, aber dann müsse man die Debatte auch sachlich führen. Denn fällt die Wehrpflicht, würden auch all die Vorteile verschwinden, die damit verbunden wären. Der Zivildienst etwa. Oder die kostenlose Gesundenuntersuchung bei der Stellung. "In Wien ist ein Drittel der Stellungspflichtigen krank, und die Hälfte weiß es nicht", sagt Miliz-Pensionist Birkmayer.

Nicht zu vergessen die Integrationswirkung des Heers auf Migranten. "Es gibt einen Sinn für die Gemeinschaft. Wo gibt's das heute noch?", fragt Birkmayer. Als junger Soldat ist er damals an seine Grenzen gegangen; als seine Fersen bluteten, marschierte er weiter; auch das habe er beim Bundesheer gelernt. Schließlich fällt ihm noch ein Grund ein: "Ich habe noch nie soviel Kondition beim Schifahren gehabt wie nach den Bundesheer-Übungen."

"Wir marschieren!"

Würde das Volk tatsächlich über die Wehrpflicht abstimmen, wie es die SPÖ erwägt, die Offiziere hätten ihre Entscheidung schon längst gefällt: Ein Berufsheer sei unmöglich machbar. Schon jetzt könnte das Heer die freien Plätze für die Auslandseinsätze nicht füllen, weil es zu wenig geeignete Bewerber gäbe. "Wenn man das ganze Bundesheer auf ein Freiwilligenheer umstellt, muss man sich die Frage gefallen lassen: Wenn's jetzt nicht funktioniert, warum soll es dann im Großen funktionieren?", sagt der junge Miliz-Oberleutnant Schmidl. Man könne zwar das Niveau der Bewerbungsanforderungen drosseln, doch dann müssten sich die Österreicher klar darüber sein, dass bald der Bodensatz der Gesellschaft mit einer Waffe umherliefe.

"Und wie sieht es dann mit der Kontrolle aus?", fragt Major Blaha. "Wie bei allen Institutionen dieser Art hat das Bundesheer dann etwas sehr Eigenständiges mit einem Eigenleben." Flotter formuliert: Ein Berufsheer hätte Potenzial zu putschen.

Es geht um viel in der Frage der Wehrpflicht, und das Schicksal der olivgrünen Kameraden liegt ausgerechnet in den Händen eines ehemaligen Zivildieners - jenen von Verteidigungsminister Darabos. Spätestens seit seinem Wendemanöver in der Wehrpflicht-Debatte und seit dem Streit mit Generalstabschef Entacher hat er das Vertrauen der Offiziere verspielt. Herr Altpräsident Birkmayer, wird der Verteidigungsminister einmal zum Landeshauptmann von Burgenland gewählt werden? "Glauben Sie wirklich, dass der Herr Magister Darabos politisch noch eine Chance hätte?", fragt Birkmayer. "Die Burgenländer werden sich das nicht gefallen lassen."

Doch Soldaten müssen. "Darabos ist Verteidigungsminister und hat von Verfassung wegen die Befehlsgewalt über das Bundesheer", sagt Jurist und Jungoffizier Schmidl. "Unabhängig davon wie man zu seiner Person steht, aber wenn der Herr Verteidigungsminister sagt: 'Wir marschieren!', dann marschieren wir. Jeder von uns." Man muss den Befehlen eben gehorchen. Selbst, wenn man sich dadurch selbst abschafft. (derStandard.at, 28.11.2011)