Das "Jugendparadies" Lindenhof hat auch schattige Seiten. Zur NS-Zeit verhungerten dort 40 Kinder.

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Historikerin Gabriella Hauch von der Universität Linz bestätigte, dass der Lindenhof während der Nazizeit ein Heim für Neugeborene von Zwangsarbeiterinnen war.

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Spital am Pyhrn - Niemand will etwas über die Geschichte des Hauses gewusst haben. Sein Eigentümer, der ehemalige Bürgermeister von Spital am Pyhrn und ÖVP-Landtagsabgeordneter, Walter Schürrer, habe vor einigen Jahren erstmals davon erfahren. Der Lindenhof befindet sich seit Jahrhunderten in Familienbesitz, doch weder seine Eltern noch Großeltern hätten ihm von dessen Vergangenheit erzählt. Auch im Ort sei nicht geredet worden. 1943 errichteten die Nazis im Lindenhof das erste "fremdvölkische Säuglingsheim" im Deutschen Reich.

Heute ist das Haus eine Jugendherberge. Schulklassen, die dort ihre Projektwochen verbringen, erfahren aber nichts über die Vorgeschichte ihrer Unterkunft. Nicht einmal eine Gedenktafel existiert.

Oberösterreichs Grüne möchten erreichen, dass auch vor Ort "dieses dunkle Kapitel" nicht länger überblättert wird. Landtagsabgeordnete Maria Buchmayr will "ein ehrenvolles Erinnern an die Opfer". Aufgrund eines ausführlichen Briefwechsels mit SS-Reichsführer Heinrich Himmler zählt dieses Heim zu dem am "öftesten in der Fachliteratur zitierten seiner Art im Dritten Reich", stellt Historikerin Gabriella Hauch fest. Lindenhof sei der "Prototyp" gewesen. 

Zahlreiche Verwechslungen

Neugeborene von Zwangsarbeiterinnen aus dem Osten, die nach Oberösterreich in Rüstungsbetriebe verschleppt worden waren, kamen von März 1943 bis 1945 in den Lindenhof. Rund 100 Kinder sollen dort untergebracht worden sein. 40 starben an Unterernährung. Nach einer Heim-Besichtigung forderte Erich Hilgenfeldt, Oberbefehlshaber der Nationalsozialsitischen Volkswohlfahrt von Himmler eine Entscheidung: "Zum Teil ist man der Auffassung, die Kinder der Ostarbeiterinnen sollen sterben, zum anderen Teil der Auffassung, sie aufzuziehen."

Himmler ordnete zweiteres an. Zumindest stiegen durch diese Weisung die Überlebenschancen der Babies. Nach Kriegsende wurden diese Kinder aber wahllos an ihre vermeintlichen Eltern übergeben, wodurch es zu zahlreichen Verwechslungen kam.

Kein Gedenken

Weder Hauseigentümer noch die Gemeinde Spital am Pyhrn setzten sich bisher für ein öffentliches Gedenken der getöteten oder verwechselten Kinder ein. Jene im Lindenhof verhungerten Kinder liegen namenlos auf dem Friedhof begraben. Den Vorwurf, "etwas unter den Teppich zu kehren", will sich Schürrer aber nicht machen lassen. Er habe "nichts gegen Aufarbeitung". Aber was wolle man mit einer Gedenktafel erreichen? Verschrecke man damit nicht viel mehr die Schulklassen. Auch Hauch meint, dass man den Kindern die Geschichte des Hauses "nicht einfach um die Ohren hauen" dürfe. Buchmayr will deshalb zur Gedenktafel auch ein pädagogisches Konzept. (Kerstin Scheller, DER STANDARD, Printausgabe, 18.11.2011)