Auf dem Weg zum chaldäischen Bischof in Bagdad.

Foto: derStandard.at/Harrer

Der Besuch Außenminister Spindeleggers bei einem chaldäischen Bischof in Bagdad, der sich vom Heiligen Michael nicht retten lassen wollte - er bestritt, dass es den Christen im Irak so schlecht gehe wie allgemein kolportiert -, ruft eigene Erinnerungen zurück, wie das damals war in Bagdad. "Damals" war 2006, und der Irak war dabei, in einen Bürgerkrieg abzurutschen (was in diesem Ausmaß nicht abzusehen gewesen war, als mich Außenministerin Ursula Plassnik im Dezember 2005 als Sondergesandte der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft in den Irak schickte). Und weil ich alles so machen wollte, wie es sich gehört, setzte ich natürlich auch den päpstlichen Nuntius auf meine Besuchsliste.

Dieser stand damals nach einem Aufenthalt von fünf Jahren in Bagdad kurz vor seiner Abreise nach Italien - er wurde auch nicht mehr ersetzt - und verließ kaum noch die Nuntiatur, die in einer sehr unsicheren Gegend lag. Der Komplex präsentierte sich als eine kleine Festung: Es war schon ein Autobombenanschlag auf das Haus verübt worden. Als wir - ich in dem mittleren von drei gepanzerten Fahrzeugen mit sechs Security-Leuten - nach dem Besuch wieder abfahren wollten, saßen wir erst einmal fest und durften den Compound längere Zeit nicht verlassen, weil die Umgebung zu unsicher war.

Das Gespräch mit dem Nuntius begann mit einer großen Klage - allerdings gegen die Amerikaner. Der Gesandte des Papstes, Doyen des diplomatischen Corps in Bagdad, wurde von ihnen, wie man so schön sagt, nicht einmal ignoriert, er hatte weder den damaligen US-Botschafter noch dessen Vorgänger je gesehen. Das Verhältnis war deshalb so schlecht, weil sich die US-Truppen während der Invasion im April 2003 geweigert hatten, die Nuntiatur als Botschaft anzuerkennen - sie erklärten sie zum "liaison office" des Vatikan. 

Dann erzählte der Nuntius über die Angriffswellen gegen Christen und deren Kirchen - im Jänner 2006 war es die fünfte gewesen - und berichtete auch, dass die Pfarren nun nicht mehr alle beschädigten Kirchen gleich herrichten lassen würden, nicht nur, weil ja ohnehin eine neue Beschädigung drohe, sondern auch, weil das eine Einladung für Kidnapper sei: Wenn die christlichen Gemeinschaften genug Geld hätten, ihre Kirchen zu reparieren, dann werde wohl auch eines da sein, um Lösegelder für Entführte zu zahlen. Als besonders schlimm schilderte der Nuntius die Situation in Mossul: Dort hätten sunnitische Extremisten die Losung ausgegeben, dass man keine Häuser von Christen kaufen sollte - man werde sie ohnehin bald gratis bekommen. 

Der Nuntius bekannte aber auch ganz offen, dass die Christen unter der Tatsache leiden würden, dass sie unter Saddam Hussein ganz gut gestellt waren - überrepräsentiert in der Gruppe von "professionals", die von Saddam geschätzt wurden. Diese Gruppe war nach 2003 oft Ziel von Fememorden - kurz vor unserem Besuch war eine etwa 70-jährige geistliche Schuldirektorin ermordet worden. Vom neuen irakischen Staat war laut Nuntius kein Schutz zu erwarten, auch die neue irakische Verfassung und das neue Familiengesetz sei in dieser Beziehung eine große Enttäuschung - vor allem beklagte sich der Nuntius aber, dass alle Unannehmlichkeiten, die die Christen von sunnitischen und schiitischen Islamisten zu erleiden hätten, vom Staat, auch vom irakischen Außenministerium (das ja nicht von Islamisten geführt wurde), systematisch heruntergespielt würden.

Nun, zumindest daran hat sich seit 2006 nichts geändert: wobei aber die allgemeine Sicherheitslage heute mit der von 2006 gar nicht mehr zu vergleichen ist. Aber dass ein Priester - wie der von Spindelegger besuchte Auxiliarbischof in Bagdad - sich so gar nichts zu sagen traut gegen die staatliche Autorität, das erinnert eher schon wieder an Saddams Zeiten.

Wobei wir beim Besuch beim Patriarchen wären, denn der hatte etwa zehn Jahre früher, zu Saddams Zeiten, stattgefunden, Mitte der 1990er Jahre. Es war dies der Vorgänger von Mar Emmanuel III Delly, dem chaldäischen Patriarchen von Babylon, den Spindelegger auf seiner Bagdad-Reise vergeblich zu treffen hoffte. Der damals auch schon betagte Patriarch hieß Raphael I Bidawid. Er starb im Juli 2003 - also bereits nach dem Sturz Saddams -, allerdings in Beirut, wohin er sich immer öfter zurückgezogen hatte. Bagdad war in den 1990er Jahren zwar nicht vom Krieg, aber von den internationalen Wirtschaftssanktionen verwüstet.
Diese Verwüstung führte auch - weitgehend unbemerkt von außen - zu einer Korrosion der staatlichen Autorität im Irak. In einem "Standard"-Interview im Jahr 2008 gab Kanan Makiya, einer der Advokaten einer US-Invasion im Irak, freimütig zu, dass er nicht verstanden hatte, wie zerrüttet der irakische Staat längst war (was auch dazu führte, dass man nach 2003 auf nichts aufbauen konnte). Makiya sagte mir damals, dass er immer noch die "Republik der Angst" - so heißt ein berühmtes Buch, das er unter dem Pseudonym Samir al-Khalil geschrieben hatte - vor sich gesehen hatte. Aber dieser totalitäre Staat war längst durch einen „nur" kriminellen ersetzt worden - was, langer Rede kurzer Sinn, Journalisten wie mir mehr in den 1990er mehr Bewegungsfreiheit verschaffte, als früher im Irak überhaupt vorstellbar war. Denn auch die irakischen "Minder", die einem als Spitzel mitgegeben wurden, hatten anderes im Sinn, als diesem Staat zu dienen.

Mein Minder hatte mich mir selbst überlassen, denn er hatte sein Auto verkauft, um ein kleineres, billigeres zu kaufen und mit dem Restgeld Rechnungen zu bezahlen. Nun war ihm aber im letzten Moment der Autoverkäufer abgesprungen, und er stand mit dem Geld da, das - ohne Übertreibung - stündlich an Wert verlor. Er musste sich schnell um ein anderes Auto umsehen, um dieses Geld wieder loszuwerden. 

Und so kam es dazu, dass mich mein Freund S. zum Patriarchen Raphael begleitete und nicht der Mann vom Informationsministerium. Wir waren angemeldet, aber offenbar nicht genau genug, denn der Patriarch ließ uns warten und kam dann ganz offensichtlich direkt aus seinem Mittagsschlaf. Das große goldene Kreuz hatte er angelegt - die Filzpatschen mit Schuhen zu tauschen, hatte er vergessen. Patriarch Raphael war bekannt als einer, der immer ein paar freundliche Worte für das Regime von Saddam Hussein übrig hatte: Wollen wir einmal annehmen, dass er das nicht freiwillig tat. Jedenfalls war eine Konversation zu diesem Thema unergiebig und wohl dem Patriarchen auch bald fad. Jedenfalls widmete er sich bald meinem Begleiter, über den ich ihn aufklärte, dass es sich um einen vertrauten Freund handle.

Mein Freund S. war früher Armee-Ingenieur und danach bei diversen westlichen Firmen angestellt gewesen, die den Irak bereits alle verlassen hatten. Von Arbeitslosigkeit geplagt, hatte er Mitte der 1990er eine wunderbare Geschäftsidee - die jedoch den Fehler hatte, dass sie ganz und gar illegal war: S. ließ sich Bestandteile von Satellitenschüsseln aus Jordanien in den Irak schmuggeln, wo er sie zusammensetzte und verkaufte. Nicht nur das Schmuggeln war verboten, sondern auch die Satellitenschüsseln an sich. S. zeigte mir die seine: auf dem Dach war sie unter der aufgehängten Wäsche versteckt. Der Empfang war nicht ungetrübt - aber ein Fenster in die Welt, und S. war stolz wie ein Schneekönig, dass er die Behörden tagtäglich hineinlegte.

Und so kam es, dass mein Besuch beim chaldäischen Patriarchen von Babylon, Mar Raphael I Bidawid, damit endete, dass mein Freund S. diesem eine Satellitenschüssel verkaufte. Ich müsste lügen, wenn ich behaupten würde, dass ich mit Gewissheit weiß, dass das Geschäft und die Installation der bischöflichen Schüssel auch tatsächlich wie geplant vonstatten ging: Aber ich kann mich nicht erinnern, dass S. später etwas Gegenteiliges erzählt hat. Wie auch immer, so erfolgreich wie der des Außenministers beim Auxiliarbischof war mein damaliger Besuch beim Patriarchen. 

Übrigens wurde S. ein paar Jahre später tatsächlich verpfiffen oder sonst irgendwie aufgedeckt: Was ein paar Jahre früher für ihn in einer Katastrophe enden hätte können, war damals schon leicht durch Geld zu regeln.