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Wo geht's hier raus aus der Krise? Die Frankfurter Skyline und ein Notausgangsschild - Finanzmärkte und vor allem die Politik suchen verzweifelt nach einem Weg aus dem Krisendrama.

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Sighard Neckel: "Man befindet sich offensichtlich in der fast ausweglosen Situation, dass die Abhängigkeit von den Finanzmärkten so stark geworden ist, dass jetzt vermeintlich auch die Politik zu den finanztechnischen Instrumenten greifen muss, um ihre eigenen Budgetprobleme zu lösen."

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Die Finanzmärkte spielen verrückt, die Politik hechelt hinterher. Seit mit dem Untergang der Bank Lehman Brothers im Herbst 2008 die weltweite Krise offiziell eingeläutet wurde, hat sich viel getan. Nur die Krise ist immer noch da. Der deutsche Soziologe Sighard Neckel hat sich schon 2009 mit dem Selbstbild der Banker beschäftigt, die Studie "Stukturierte Verantwortungslosigkeit" zeichnet das Porträt einer abgehobenen Branche, die die individuelle Verantwortung an der Krise weit von sich weg schiebt. Im Gespräch mit derStandard.at erklärt Neckel, warum wir in der Krise feststecken, die Politik hilflos ist und sich aus der selben Zauberkiste bedienen muss wie die Finanzmärkte.

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derStandard.at: Seit über drei Jahren sind wir mehr oder weniger andauernd in der Krise. Können Sie das Wort "Krise" eigentlich noch hören?

Sighard Neckel: Ja, wobei sich der Bedeutungsgehalt des Begriffs schon verändert und verschoben hat. Ich empfinde es als bedrückend, mit welcher Folgerichtigkeit sich die Prognosen am Beginn der Finanzkrise 2008 am Ende des Jahres 2011 bewahrheitet haben.

derStandard.at: Welche Prognosen meinen Sie?

Neckel: Im Herbst 2008 nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers hat man davon gesprochen, dass sich die Finanzkrise, besser gesagt: die Bankenkrise, zu einer Währungskrise insbesondere des Euro ausweiten könnte, um dann zu einer Krise der Europäischen Union zu werden. Jetzt müssen wir feststellen, dass genau das eingetreten ist. Und dass es offensichtlich keine Schutzmechanismen gibt, das Ausbreiten der Krise auf den europäischen politischen Raum zu verhindern. Insofern gebrauchen wir immer denselben Begriff der Krise, deren Charakter sich aber in den letzten drei Jahren erheblich verändert und zugespitzt hat.

derStandard.at: Wenn man eh schon alles gewusst hat, warum hat man dann nichts dagegen getan?

Neckel: Zum Teil, weil die Ausweitung der Finanzkrise ein ungeheuer komplexer Prozess ist, der sich nicht von einer Instanz aus steuern lässt. Zum anderen, weil der politische Wille gefehlt hat, am Beginn der Finanzkrise entschlossen die Vorkehrungen zu treffen, die notwendig gewesen wären, um eine Ausbreitung als Währungskrise, Schuldenkrise und Budgetkrise zu verhindern. Dazu wäre es notwendig gewesen, die riskanten Geschäftsmodelle insbesondere des Investmentbankings, den Handel mit Derivaten, den unkontrollierten Handel mit Kreditausfallsversicherungen, die Leerverkäufe, die Spekulation auf Währungsschwankungen und staatliche Budgetprobleme entschlossen einzudämmen. Das hat man nicht getan, sodass heute die Finanzmärkte mit ähnlichen Instrumenten verfahren, um auf den Wertverlust des Euro zu spekulieren, mit denen vor drei bis vier Jahren auf den Fall der US-amerikanischen Immobilienpreise gewettet wurde.

derStandard.at: Nicht nur die Finanzmärkte bedienen sich der finanztechnischen Zauberkiste, die uns in den Sumpf befördert hat. Selbst für den Euro-Rettungsschirm werden Kniffe, wie zum Beispiel der Hebel, angedacht, um aus Geld mehr Geld zu machen. Haben wir gar nichts gelernt aus dem Desaster?

Neckel:  Man befindet sich offensichtlich in der fast ausweglosen Situation, dass die Abhängigkeit von den Finanzmärkten so stark geworden ist, dass jetzt vermeintlich auch die Politik zu den finanztechnischen Instrumenten greifen muss, um ihre eigenen Budgetprobleme zu lösen. Wie eben zum Beispiel das Instrument der Hebelwirkung. Ich kann finanzökonomisch nicht beurteilen, was daran möglicherweise unvermeidbar ist. Man kann nur konstatieren, dass sich die Politik keiner anderen Mittel bedient, als jener, die sie von den Finanzmärkten schon vorgegeben bekommt. Das zeigt, wie sich die Gewichte zwischen politischen Entscheidungen und den Präferenzen der Finanzmärkte verschoben haben. Das ist im Wesentlichen ein Zeichen von Hilflosigkeit.

derStandard.at: Wie realistisch ist dann noch die Vorstellung, dass es zu einer Regulierung, zum Verbot gewisser Produkte von politischer Seite kommt?

Neckel: Es besteht keine Veranlassung zu der Annahme, dass die Politik das tut. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir unter dem Druck der Schuldenkrise zu einem Zusammenbruch des augenblicklich bestehenden Eurosystems kommen werden, ist viel größer als die Annahme, dass die Politik regulierend am Finanzmarkt eingreifen wird. Das hat kürzlich auch Herr Barroso (Anm.: EU-Kommissions-Präsident) zum Ausdruck gebracht. Wir stehen an einem Scheideweg. Die Frage besteht, ob wir den politisch gewollten Euroraum finanzökonomisch noch erhalten können. Die Optionen sind gewissermaßen dem politischen Souverän entzogen. Denn die Bedingungen, unter denen das möglich ist, werden von anderen Akteuren bestimmt. Diese Akteure sind nicht politisch legitimiert, ihr Handeln beruht auf ökonomischer Macht, ihre Interessen werden zum Maßstab politischer Entscheidungen, ausgedrückt durch die Ratingagenturen.

derStandard.at: Woher kommt dieses blinde Vertrauen in die Ratings?

Neckel: Vertrauen ist der falsche Begriff, das ist eher Ausweglosigkeit. Die Staaten haben sich, um die Finanzmärkte zu stabilisieren, bei den Finanzmärkten erheblich verschuldet. Das ist die paradoxe Situation. Aus dieser Verschuldung heraus befindet sich die Politik gegenüber den Finanzmärkten in einer unterlegenen Position. Insofern ist es nicht weiter verwunderlich, dass es jetzt nicht zu einem entschlossenen politischen Handeln kommt.

derStandard.at: Gibt es keine Alternativen, oder sind diese im vorherrschenden System nur nicht vorgesehen?

Neckel: Es gibt zahlreiche Modelle, wie man die Krise anders lösen könnte. Die wurden bis in die europäischen Banken hinein diskutiert. Zum Beispiel die Frage, ob man die Bewertungen von Ratingagenturen tatsächlich zur Grundlage der Bewertung von staatlicher Liquidität machen sollte. Hier gibt es Alternativmodelle, aber wenig Aussichten auf Verwirklichung. Immerhin muss man sagen, haben sich europäische Regierungen und politische Parteien - nicht nur linke - Forderungen zu Eigen gemacht, die 2008 als völlig unrealistisch bezeichnet wurden. Zum Beispiel, dass man das Investmentbanking aus dem normalen Bankengeschäft abtrennt und es zu einem unternehmerischen Risiko verwandelt, für das die Anleger selber einstehen. Die Einsicht kommt nur viel zu spät. Sie stellte sich erst in einem Moment ein, in dem man weiß, dass einem jetzt die Mittel fehlen, um nicht nur die Finanzmärkte, sondern auch den Euroraum umfassend stabilisieren zu können.

derStandard.at: Wie konnte es eigentlich dazu kommen, dass das Risiko am Finanzmarkt über recht lange Zeit vernachlässigt wurde?

Neckel: Diese Risiken und ihre Berechnung haben sich irgendwann nicht mehr auf realwirtschaftliche Transaktionen bezogen, sondern sich verselbstständigt. Es ist ja durchaus richtig, dass etwa Kreditausfallversicherungen notwendig sind, um Risiken bestimmter wirtschaftlicher Investitionen unter schwierigen Bedingungen abzustützen. Wenn diese Versicherungen aber selber zu einem handelbaren Gut werden, dann tritt eine Verselbstständigung ein. Solche Finanzinstrumente sind dann nicht mehr zweckdienlich, um volkswirtschaftliche und unternehmerische Investitionen abzusichern, sondern dienen allein der Geldvermehrung jener, die mit diesen verbrieften Risiken handeln.

derStandard.at: Den Misserfolg, das Risiko des Scheiterns, hat der Finanzmarkt außen vor gelassen.

Neckel: Risiken kann man vernachlässigen - das ist die Lehre aus der Finanzkrise. In der Finanzindustrie hat man hat immer mit einberechnet, dass es externe - also staatliche - Akteure gibt, die die großen Banken, die mit solchen Risiken hantieren, im Notfall auffangen würden. Die Maxime "too big to fail" ist gewissermaßen in die Kalkulation des eigenen Geschäftsrisikos schon eingegangen. Würde die Finanzindustrie wissen, dass sie für die Folgen ihrer riskanten, hochspekulativen Geschäftsstrategien allein selbst aufkommen müssten, dann wären solche Geschäftsstrategien gar nicht mehr lukrativ. Sie beruhen auf der Kalkulation, dass für die Risiken im Notfall andere aufkommen werden. Und dann tritt die allgemein beklagte Situation ein: Dass die Erträge aus riskanten Geschäften allein den Finanzunternehmen zukommen, während die Verluste vom Steuerzahler getragen werden.

derStandard.at: Wie ist es um das Vertrauen der Bevölkerung in die Finanzwelt bestellt?

Neckel: Was wir wissen, ist, dass es schon einen grundlegenden Vertrauenseinbruch gab. Das Berufsprestige der Banker ist deutlich gesunken. Unsere Studie zur "strukturierten Verantwortungslosigkeit" im Finanzwesen belegt das auch. Gerade Kleinanleger sind häufig davon ausgegangen, dass es sich bei den Bankberatern um uneigennützige Sachverwalter von Kundeninteressen handelt. Tatsächlich jedoch verfolgen Bankberater aber auch ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen, da sie sich mit dem Verkauf von Finanzprodukten zum Beispiel Provisionen sichern. Aus unserer Beobachtung heraus hat das zu etwas geführt, was man in der Soziologie als "Rollenkonflikt" bezeichnet: Die Kunden erwarten den uneigennützigen Berater - die Berater sehen im Kunden aber auch jemanden, von dessen Entscheidungen man selbst einen wirtschaftlichen Vorteil haben kann.

derStandard.at: Ist das Vertrauen unwiederbringlich verloren?

Neckel: Nein. Das Misstrauen bezieht sich im Regelfall ja nicht auf Sparkassen oder Genossenschaftsbanken, auch wenn diese manchmal an dem Spiel beteiligt gewesen sind. Weil es ein weitverbreitetes Misstrauen gegenüber dem Finanzsektor und dem Investmentbanking gibt, ist das nicht gleichbedeutend mit Mißtrauen gegenüber dem Mitarbeiter meiner Bankfiliale.

derStandard.at: Aus Mangel an Alternativen bringen wir das Geld also weiter auf die Bank, und verstecken es nicht unter der Matratze?

Neckel: Es ist ja auch so, dass es im Bankensektor selbst durchaus Entwicklungen hin zu einem Wandel gibt. Es gibt Kräfte, die dafür eintreten, das Bankgeschäft noch einmal zu reflektieren und zu den grundsätzlich wichtigen Funktionen einer Bank für die Volkswirtschaft zurückzukehren. Zum Beispiel Initiativen zur Gründung alternativer Banken, etwa in Österreich die Demokratische Bank. In Deutschland gibt es auch ein paar Banken, die sich ethischen Grundsätzen verpflichten. Es ist bisher im gesamten Bankenbereich nur ein kleiner Ansatz, der keine große Bedeutung hat. Aber früher hat es das gar nicht gegeben. Die Krise hat offensichtlich ein solches Ausmaß erreicht, dass selbst in der Bankenbranche, zumindest an deren Rändern, ein Nachdenken stattfindet.  (Daniela Rom, derStandard.at, 18.11.2011)