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Banker und Broker müssen oft nicht das Richtige tun, sondern das, was andere tun, um ihre Position zu sichern, sagt Andrew Oswald.

Foto: AP/David Karp

Man kann es zurzeit fast wöchentlich beobachten: Eine Meldung oder vielleicht auch nur ein Gerücht tritt in die Welt hinein, und sofort entwickelt sich in den globalen Finanzmärkten eine geradezu hektische Aktivität. Im Krisenland Griechenland droht eine Volksabstimmung - die Kurse taumeln rapide abwärts. Italiens Premier Berlusconi kündigt seinen Rücktritt an, und der Markt schiebt an.

Biologen und so manch andere erinnert dieses seltsame Hin und Her an etwas, was sie aus der Natur kennen: Fischschwärme. Hunderte, tausende glitzernde Leiber, die wild durcheinanderwirbeln und gleichzeitig schlagartig alle gemeinsam die Schwimmrichtung ändern können, vor allem wenn sie bedroht werden.

Eine Erfolgsstrategie? Nicht unbedingt, meint der Wissenschafter Andrew Oswald und verweist auf das berühmte Beispiel der panisch vor einem Hund flüchtenden Schafe. Die Tiere stürzen sich blindlings von einer Klippe zu Tode. "Was anscheinend passieren kann, ist, dass ab einem bestimmten Punkt das Momentum einer Herde so groß wird, dass sich eine Art Rausch entwickelt", sagt der Gelehrte. Die Herdenmitglieder geben sich vollkommen der kollektiven Dynamik hin - mit eventuell fatalen Folgen.

Andrew Oswald ist allerdings kein Zoologe, sondern Ökonom. Der an der University of Warwick lehrende und zurzeit als Gastforscher am Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) in Bonn tätige Brite interessiert sich schon seit vielen Jahren für die bemerkenswerten Verbindungen zwischen Verhaltensbiologie und menschlichem Handeln, vor allem in der Wirtschaft.

"Egoistische Herde"

Oswald basiert seine Ideen auf einer bahnbrechenden Publikation aus dem Jahr 1971. Damals veröffentlichte der Zoologe William Hamilton im Journal of Theoretical Biology seine Theorie über die "egoistische Herde". Tierversammlungen, so Hamilton, mögen zwar den Schutz des Einzelnen vor Räubern verbessern, doch sie müssen nicht unbedingt dem Allgemeinwohl der Spezies zugutekommen. Der Herdentrieb kann - zumindest theoretisch - sehr wohl als individueller Selbsterhaltungsmechanismus entstanden sein, ohne Sinn für das Kollektiv.

Der Hintergrund: Angreifer nähern sich einer Gruppe fast immer von außen. Wer also am Rande ist, hat das größte Risiko, erwischt zu werden. Deshalb drängeln sich diese Individuen schnellstens zwischen ihre Artgenossen. Ab in die Mitte. Da jedoch alle dasselbe versuchen, kommt es leicht zu einem heftigen Gedränge, wie sich ebenfalls bei Schafen beobachten lässt. Für ein Raubtier erleichtert das mitunter sogar die Sache.

Es geht beim Herdentrieb offenbar um die relative Position des Einzelnen, meint Andrew Oswald. Und genau hier zieht der Forscher die zentrale Parallele zur Wirtschaft. Banker, Broker und Manager werden auf Basis ihrer relativen Leistung im Vergleich zu ihren Kollegen bezahlt, sagt Oswald. Ein vorsichtig agierender Finanzexperte, der nur fünf Millionen Rendite einfährt, hat wenig Chancen neben Geldjongleuren, die mit riskanten Praktiken jeweils 20 Millionen Gewinn erzielen. Es gibt für solche Menschen nur eine Möglichkeit, um ihre Position zu sichern, erklärt Oswald: Konformität. "Man muss dann nicht das Richtige tun, man muss nur das tun, was alle anderen tun."

Der Gruppenwahn hat in der Vergangenheit schon mehrfach seine gefährlichen Auswirkungen gezeigt. Die Finanzkrise im Jahr 2008 gehört genauso in diese Kategorie wie der Börsencrash 1929. Bei drohender Gefahr versuchen die Anleger ihr Geld durch schnellstmögliche Aktienverkäufe zu retten. Oder sie investieren in guten Zeiten große Summen in Immobilien, im Vertrauen darauf, dass deren Wert weiterhin steil ansteigen wird.

Die Summe solcher logisch nachvollziehbarer Einzelentscheidungen kann aber zu einem völlig irrationalen Gesamtergebnis führen, mit katastrophalen Folgen für die Gesellschaft. "Die Herde selbst gerät außer Kontrolle und stürzt sich die Klippe hinunter", bringt es Andrew Oswald auf den Punkt.

Erstaunlicherweise hat die Bedeutung des Herdentriebs im Sinne ihres zerstörerischen Potenzials in den Wirtschaftswissenschaften noch immer keine Berücksichtigung gefunden. Oswald ist fast der Einzige, der sich dieser Thematik angenommen hat. Er wird seine Thesen heute Mittwoch im Rahmen der 14. Kurt-W.-Rothschild-Vorlesung an der Universität Linz detailliert erläutern. "Man kann sich eben nicht auf die Welt verlassen, ohne selbst sein Hirn zu benutzen." Das mag banal klingen, ist es aber anscheinend nicht.

Ein sozioökonomisch ebenfalls wichtiger Aspekt des Herdenverhaltens ist die Bedeutung von Statussymbolen, erklärt Andrew Oswald. Der Wert vieler Gegenstände wird in unserer Gesellschaft bekanntlich nicht nur an ihrem praktischen Nutzen gemessen. Ein Auto ist nicht gleich ein Auto, auch wenn uns ein Kleinwagen meist genauso schnell ans Ziel bringt wie ein Sportflitzer oder eine schwere Limousine.

Status als Urtrieb

Warum also Unsummen ausgeben und sich womöglich gar bis über beide Ohren verschulden? "Status macht glücklich", sagt Oswald nüchtern. Status führt zu mehr Ansehen und einer besseren Position im gesellschaftlichen Gefüge und oft zu attraktiveren Sexualpartnern. So bringen die Urtriebe Menschen dazu, im Rattenrennen des Wirtschafts- und Karrierealltags mitzulaufen - mit den bereits erwähnten Risiken.

Dem Statusstreben wird nicht beizukommen sein, meint Andrew Oswald. Das soziale Vergleichen sei offenbar fest in unseren Köpfen verankert. Neurologische Studien haben zum Beispiel gezeigt, wie stark in Tests sogar das Erlangen eines geringen finanziellen Vorteils das Belohnungszentrum im Gehirn aktiviert. Herdentrieb und Status werden also auch in Zukunft entscheidende Rollen spielen, betont Oswald. "Sozialwissenschafter und Politiker sollten das endlich entsprechend berücksichtigen." (DER STANDARD, Printausgabe, 16.11.2011)