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EU-Kommissar Michel Barnier

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Üblicherweise nehmen die Ratingagenturen vor allem die Krisenländer in die Zange. Jetzt könnte es umgekehrt sein.

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Brüssel - Die EU-Kommission hat die geplante strengere Regulierung der einflussreichen Ratingagenturen entschärft. EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier konnte sich mit seiner Forderung nach einem temporärem Rating-Verbot für Euro-Krisenstaaten innerhalb der Kommission nicht durchsetzen. "Wir brauchen mehr Zeit", sagte Barnier am Dienstag in Straßburg. Es habe in der Kommission "eine lange und ernste Debatte darüber" gegeben. "Es war vielleicht ein bisschen zu innovativ", räumte er ein. "Der wichtigste Teil meiner Vorschläge wurde angenommen."

Barnier hat bei der Präsentation seines Vorschlags zu den Ratingagenturen im Europaparlament in Straßburg mehr politische Souveränität gefordert. "Wir brauchen wieder politische Souveränität, damit wir nicht unter die Räder des Finanzmarktes geraten", sagte Barnier. Deswegen sei die Regulierung der Ratingagenturen notwendig. "Vor drei Jahren haben wir erleben müssen, dass die Ratingagenturen Bestnoten für toxische Produkte abgegeben habe, oder gute Noten für Banken, die am nächsten Tag bankrott gegangen sind". Die Branche wird von den drei Marktführern Standard & Poor's (S&P) und Moody's mit jeweils 40 Prozent Marktanteil und Fitch (15 Prozent) beherrscht.

Österreichs EU-Politiker wollen mehr

Die geplante strengere Regulierung der Ratingagenturen wird von den österreichischen EU-Parlamentsabgeordneten unterstützt. Der SPÖ und den Grünen gehen die Vorschläge aber nicht weit genug. Der Gesetzesvorschlag sei "richtig und sollte so schnell wie möglich beschlossen werden", betonte ÖVP-Delegationsleiter im EU-Parlament, Othmar Karas. Auch die angedachte, aber jetzt blockierte Suspendierung der Ratings für Euro-Krisenländer ist für Karas vertretbar.

Die SPÖ-Europaabgeordnete Evelyne Regner sieht die geplante Haftung der Ratingagenturen für Bewertungsfehler "äußerst positiv". Die angedachte Rating-Aussetzung für Euro-Krisenländer wäre aber nur eine "Notbremse und dürfe keine Dauerlösung sein". Bei den Gesetzesvorschlägen vermisst Regner eine "unabhängige europäische Ratingagentur" für Zweitratings.

Auch für eine strengere Regulierung, aber gegen das Einstellen von Ratings für Krisenländer, spricht sich der FPÖ-Europaabgeordnete Andreas Mölzer aus: "Denn die Ratingagenturen tragen nicht die alleinige Schuld an der Krise in der Euro-Zone. Vielmehr rächen sich nun die Konstruktionsfehler der Währungsunion, die beispielsweise durch eine Teilung der Euro-Zone behoben werden müssen."

Der Grünen Europaabgeordneten Ulrike Lunacek gehen die Vorschläge nicht weit genug: "Die Schaffung einer unabhängigen gemeinwohlorientierten Europäischen Ratingstiftung ist von zentraler Bedeutung für eine ausgewogenere Ratingkultur." Deswegen sei es "völlig unverständlich", dass die Kommission auf diese Forderung des Europäischen Parlamentes nicht eingegangen sei.

Regierung soll vor Öffentlichkeit neues Rating erfahren

Barnier unterstrich am Dienstag die fünf Punkte seines Vorschlags. So müsse zunächst die Abhängig von Bewertungen durch Ratingagenturen gesenkt werden. Dabei betonte der Kommissar, dass alle Finanzinstitute grundsätzlich ihre eigene Risikoevaluierung machen sollten. Erst danach sollten sie sich gegebenenfalls an Ratingagenturen werden. Zweitens müsse es "strenge Regeln bei der Bewertung von Staatsschuldentiteln" geben. Er wolle alle sechs Monate regelmäßige Bewertungen erhalten, im Vergleich zu derzeit zwölf Monaten.

Wenn Bewertungen zu Staatsschuldentiteln erfolgten, müsse die Agentur auch den Informationsbericht dazu veröffentlichen. "Es geht ja darum, Ratingagenturen stärker in die Pflicht zu nehmen". Die betroffene Regierung müsse 24 Stunden vor der Veröffentlichung informiert werden.

Sein Vorschlag einer zeitlichen Aussetzung der Bewertung von Staatsanleihen "in bestimmten Fällen und unter bestimmten Umständen" bedürfe noch weiterer Diskussionen, konzedierte Barnier. Er habe die Idee deswegen geboren, weil Portugal und Griechenland nur jeweils einen Tag, nachdem ihre nationalen Sparprogramme verabschiedet wurden, von Ratingagenturen trotzdem herabgestuft worden seien. "Und Bewertungsnoten, die einfach so erfolgen, ohne irgendwelche Erläuterungen, die können zu noch größerer Instabilität führen. Vor allem bei den Ländern, die unter den Solidaritätsplänen von EU und IWF stehen". Es gehe für ihn darum, dass die Konsolidierungsprogramme für diese Länder "unbehelligt" durchgeführt werden könnten. "Auf jeden Fall werden wir diese Frage in der Zukunft nochmals aufgreifen".

Frankreichs "Falschrating" hat rechtliche Konsequenzen

Angesichts der jüngsten Aufregung um ein Falschrating Frankreichs durch die Agentur Standard & Poor's (S&P) schaltete Barnier auch den Rechtsdienst ein. So gehe es darum, dass ein paar Akteure auf den Finanzmärkten im Voraus informiert worden seien, vor dem Staat oder vor dem Institut, das Gegenstand der Bewertung ist. "Das bereitet Probleme vor allem hinsichtlich von Insiderwissen und einer möglichen Spekulation mit Staatssschuldentiteln".

Ein dritter Punkt seines Vorschlags betrifft die Unabhängig der Agenturen, die Vielfalt der Bewertungen und Interessenskonflikte. So soll, wenn jemand mehr als zehn Prozent einer Agentur halte, nicht bewertet werden können. Außerdem sei eine Rotation notwendig. Alle drei Jahre oder sechs Jahre, wenn zwei Agenturen bewerten, sollen komplexe Finanzprodukte bewertet werden.

Viertens gehe es um Transparenz und die Vergleichbarkeit von Bewertungen. Dabei sprach Barnier von einem "aggregierten Index", der die Bewertungen harmonisiere. Fünftens sei die Haftungsfrage angeführt. Wenn es wirklich grob fahrlässiges Handeln von Ratingagenturen gebe, müsse es den Weg zum Gericht samt finanzieller Entschädigungen geben.

Eigene EU-Agentur zu teuer

Barnier sagte, es handle sich nicht um ein Verbot von Fusionen von Ratingagenturen. "Ich würde sogar die Fusion befürworten". Er habe aber lediglich zusätzlich vorgeschlagen, dass eine Agentur mit mehr als 20 Prozent Marktanteil in Europa nicht noch weitere Agenturen zukaufen könne". Dieser Vorschlag sei aber nun nicht mehr enthalten, "vielleicht später".

Auf die Gründung einer unabhängigen Agentur angesprochen sagte der Kommissar, diese würde bis zu 500 Millionen Euro kosten. "Das haben wir nicht sofort zur Verfügung". Derzeit wolle er lieber an den bestehenden Agenturen arbeiten. Mittlere und kleinere könnten sich aber zu einer größeren verbinden.

Standard & Poor's warnt vor Qualitätsverlust

Standard & Poor's (S&P) unterstützt grundsätzlich "mehr Wettbewerb im Ratinggeschäft und die Reduzierung einer übermäßigen Abhängigkeit von Ratings", fürchtet sich aber vor einem Qualitätsverlust, so eine Sprecherin am Dienstag. Neue Regeln, "die nicht im Einklang mit anderen Regulierungsrahmen" stünden, würden Ratings als global einheitlicher Maßstab für Kreditwürdigkeit beschädigen. Dies führt dazu, dass für Investoren weniger Ratings zur Verfügung stehen, dass die Qualität der Ratings nachlässt, und dass die Unabhängigkeit der Ratings leidet".

Auch werde der Zugang der europäischen Unternehmen zu Finanzierungsmöglichkeiten an den internationalen Anleihemärkten behindert, während die Kreditvergabe von Banken in Europa immer mehr eingeschränkt werde und die Unternehmen Wachstum und Arbeitsplätze finanzieren müssten. (APA/red)