Jonathan Forster von Spotify: "Ich hätte große Skrupel, die eigene Kundschaft zu verklagen."

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Grafik: Spotify

Der Musikstreaming-Dienst Spotify ist Mittwoch um 8 Uhr in Österreich gestartet. Nach Anwendern in acht skandinavischen und westeuropäischen Ländern sowie den USA können registrierte Nutzer mit Facebook-Account nun auch hierzulande mehr als 15 Millionen Songs aller Genres legal und gratis streamen.

Der Basisdienst sieht eine Beschränkung von zehn Stunden Abspielzeit pro Monat und Werbeeinschaltungen vor, Premium-User können für ein Abonnement um 9,99 Euro unbeschränkt und werbefrei Musik hören – per App auf mobilen Geräten und markierte Playlists auch offline. Dazwischen besteht ein sogenannter Unlimited-Service um monatliche 4,99 Euro.

Speed, devices, social

Zum Launch in Österreich unterhielt sich derStandard.at mit Jonathan Forster. Er ist General Manager Europe des 2006 von Daniel Ek und Martin Lorentzon in Schweden gegründeten Unternehmens.

In den hohen Büroräumen einer Wiener Agentur präsentiert der künftig für Österreich verantwortliche Regional Manager Axel Bringéus die Funktionen der Software, ehe Forster über die Grundpfeiler Spotifys spricht. Er zeichnet drei Aufzählungspunkte auf ein weißes Blatt Papier und füllt sie mit den Worten "speed", "devices" und "social" aus: Die User müssen in der Lage sein, die Musik ohne erkennbare Ladevorgänge oder Pausen zu konsumieren; die Software müsse auf einer größtmöglichen Bandbreite an Betriebssystemen und – vor allem mobiler – Hardware laufen; schließlich sollen die Nutzer Songs und Playlists möglichst einfach mit ihren Freunden teilen können.

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derStandard.at: Spotify hat eine deutschsprachige Benutzeroberfläche erhalten; vermutlich nicht nur für den österreichischen, sondern vor allem für den weitaus größeren Markt in Deutschland. Die deutschen User müssen noch warten – warum diese Vorreiterrolle für Österreich?

Jonathan Forster: Grundsätzlich wollen wir die Musik der ganzen Welt anbieten. Als wir ursprünglich gestartet sind, hätten wir noch weitere Länder berücksichtigen können, waren aber bei den personellen Ressourcen vor Ort eingeschränkt. Seit Sommer gibt es Spotify in den USA, einem enorm wichtigen Markt, und seit wenigen Wochen auch in Dänemark. Neben Österreich werden wir unseren Dienst jetzt nach und nach in weiteren Ländern launchen. Die Starts werden wir aber eher kurzfristig bekanntgeben, weil es viele User leid sind, mit Ankündigungen vertröstet zu werden, wenn noch nicht einmal ein Starttermin fixiert ist.

derStandard.at: Es heißt, sie hatten Gebühren- und Lizenzprobleme mit der deutschen Verwertungsgesellschaft GEMA.

Jonathan Forster: Ich würde nicht von Problemen sprechen. Aber natürlich starten wir nicht in Märkten, für die wir nicht alle notwendigen Lizenzen besitzen.

derStandard.at: Gab es in Österreich vor dem Start größere Hürden aus dem Weg zu räumen?

Jonathan Forster: Nein, wir waren von Beginn an sehr gut aufgestellt. Wir haben uns die wirtschaftlichen und technischen Rahmenbedingungen angesehen und hatten in Österreich von Anfang an ein gutes Gefühl. Es gibt eine hohe Internet-Durchdringung, die Leute nutzen Smartphones und Apps und haben wenig Vorbehalte gegen Online-Shopping.

derStandard.at: Muss man beim Launch in einem neuen Markt besondere Rücksicht auf landesspezifische Eigenheiten nehmen?

Jonathan Forster: Das Produkt ist ein globales, neunzig Prozent der Strategien sind übertragbar. Ob ein Programmierer in New York oder Stockholm sitzt, macht keinen großen Unterschied. Worauf wir uns immer neu einstellen müssen, sind Besonderheiten in der Werbung. Da gibt es in den USA andere Gepflogenheiten als in Frankreich und dort wiederum andere als in Österreich. Und natürlich können Kooperationen mit Unternehmen und Einrichtungen im Land sowie behördliche Angelegenheiten immer nur regional geregelt werden. Dafür haben wir dann Mitarbeiter mit dem nötigen Know-how im jeweiligen Land.

derStandard.at: Wird es demnach ein Büro in Wien geben?

Jonathan Forster: Noch nicht am Dienstag (lacht).

derStandard.at: Wie viele Nutzer erhoffen Sie sich in Österreich?

Jonathan Forster: Es ist schwierig, das in Zahlen auszudrücken. Wir haben weltweit mehr als zehn Millionen Nutzer, das wollen wir natürlich auf allen Märkten so weit wie möglich ausbauen.

Axel Bringéus: In unserem Heimatmarkt Schweden hat mittlerweile jede dritte Person, die Sie auf der Straße treffen, einen Spotify-Account. Auch meine 78-jährige Großmutter, die die ganzen Klassiker aus ihren Jugendtagen wieder entdeckt. Das zeigt schon das mögliche Potenzial.

derStandard.at: Im September wurden Spotify-Features in Facebook integriert. Trotz Kritik, weil ein Facebook-Account seither Pflicht für Spotify-Nutzer ist, soll Ihnen diese Kooperation vier Millionen neue User beschert haben.

Jonathan Forster: Diese Zahl hat Mark (Zuckerberg, Anm.) in Umlauf gebracht. Danke dafür, Mark (lacht). Im Ernst: Natürlich ist eine solche Kooperation äußerst hilfreich. Wenn es um Social Media geht, gibt es an Facebook mit über 800 Millionen Nutzern kein Vorbeikommen. Ich denke, dass Musik eines der sozialsten Dinge überhaupt ist. Sozial in dem Sinn, dass man seinen Freunden gerne neue Lieder empfiehlt, sich darüber unterhält usw. Bis heute haben unsere User 400 Millionen Playlists erstellt und viele davon mit ihren Freunden geteilt.

derStandard.at: Sehen Sie bei der Zusammenarbeit mit Facebook Probleme, was den Datenschutz betrifft?

Jonathan Forster: Wir versuchen natürlich, möglichst sorgfältig mit den Daten umzugehen. Was die Privatsphäre betrifft, darf man aber einen kulturellen Wendepunkt nicht außer Acht lassen: Bis vor kurzem war es Standard, offline zu sein, man ist bewusst online gegangen. Vor allem junge Menschen sind heute aber mit Smartphones und Flatrates defaultmäßig immer online und für ihre Kontakte verfügbar. Nur manchmal wechseln sie gewollt in den Offline-Modus.

derStandard.at: Analysten von Ovum erklärten heuer, es würde zu viel kostenlose Musik im Netz geben, sowohl illegal als auch auf Diensten wie Spotify. Dadurch würden die Umsatzchancen der Labels eingeschränkt. Was halten Sie von dieser These?

Jonathan Forster: Ich muss ihr widersprechen. In Wahrheit haben wir der Musikbranche in den letzten beiden Jahren rund 100 Millionen Euro gebracht. Wenn überhaupt, dann entziehen wir der Piraterie die Grundlagen. In den Ländern, in denen Spotify bisher gelauncht wurde, wuchsen die Gesamtmärkte für digitale Musik um ein Vielfaches der übrigen Länder. Das weist deutlich darauf hin, dass Spotify andere Quellen nicht untergräbt, sondern den Märkten sogar zusätzliche Impulse gibt.

derStandard.at: Wie hoch schätzen Sie die Bereitschaft ein, für Musik zu bezahlen, wenn man sie auch gratis haben kann?

Jonathan Forster: Ein Fünftel unserer User haben einen bezahlten Account. Die Bereitschaft, einen gewissen monatlichen Betrag für Online-Inhalte auszugeben, ist also durchaus vorhanden. Bei Apps ist das mittlerweile zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Wenn man die monatlichen Kosten für unseren Premium-Account mit dem Handelspreis eines iPhones oder eines High-End-Android-Geräts vergleicht, dann sehe ich keinen vernünftigen Grund, nicht auch einen Bruchteil davon auszugeben, um auf diesen Geräten jederzeit Millionen Songs verfügbar zu haben. Ein solcher Cloud-Service ist auch rationaler, als einzelne MP3-Dateien um 99 Cent pro Stück lokal am Rechner zu speichern.

derStandard.at: Die Musikindustrie schien es verschlafen zu haben, als Musik in Form von MP3s in den späten Neunzigern ihren Weg ins Netz fand. Es gab auf Napster und seinen Nachfolgern massenhaft kostenlose Tracks, aber bis zum Start des iTunes Store 2003 kein funktionierendes Geschäftsmodell. Warum wachte die Branche nicht früher auf?

Jonathan Forster: Wahrscheinlich haben sie es verabsäumt, weil ihre Grundeinstellung war: 'Es würde nie jemand in den Supermarkt gehen und dort die Waren kostenlos verlangen. Warum sollte es also mit unserem Produkt anders sein?' Man hat wohl einfach nicht damit gerechnet, dass sich ein hervorragend funktionierendes Geschäftsmodell wie der Verkauf von Musik auf physischen Datenträgern innerhalb eines Jahrzehnts so dynamisch wandeln könnte. Die Konsumenten und die Technologie warten aber nicht, bis die Branche eine angepasste Marktstrategie entdeckt.

derStandard.at: Massenhafte Abmahnungen und Klagen wegen Urheberrechtsverletzungen drohten in der Folge zu einem neuen Geschäftszweig der Plattenfirmen zu werden. Können Sie diesen Ansatz nachvollziehen?

Jonathan Forster: Wir waren bestimmt nicht immer einer Meinung mit den Labels, auf welchem Weg man diesem Wandel begegnen soll. Ich kann verstehen, dass sie ihre Rechte schützen und so gut wie möglich vergütet sehen wollen. Das konnte ich bei vielen Lizenzverhandlungen beobachten. Ich hätte jedoch große Skrupel, die eigene Kundschaft zu verklagen. Ich muss aber auch zugeben, dass die Kollegen in den letzten Jahren dazugelernt haben.

derStandard.at: Sie kennen wahrscheinlich diese Infografik – sie besagt, dass ein unabhängiger Künstler nur 143 selbstgepresste CDs verkaufen müsste, um so viel zu verdienen, wie er durch vier Millionen Zugriffe auf Spotify erhält. Bezahlen Sie Musiker ohne Majorlabel, die zum Erfolg von Spotify mitbeitragen, gerecht?

Jonathan Forster: Ich kenne diese Aufstellung und weiß auch, wie viele grobe Mängel in der Rechnung stecken. Der Vergleich ist an sich nicht praxistauglich: Bei der CD im Eigenverlag lässt sich einfach berechnen, welcher Betrag für den Künstler übrig bleibt. Man muss bloß die Produktions- und Vertriebskosten abziehen. Das Spotify-Modell ist wesentlich differenzierter. Wenn ein User im Monat 10 Euro für sein Abo bezahlt und zehn Lieder streamt, dann ist jeder Abspielvorgang vor Abzug der Kosten einen Euro wert. Streamt er aber tausend Lieder, dann verringert sich dieser Betrag plötzlich auf einen Cent.

derStandard.at: Viele Startups und sogar Projekte von Großkonzernen sind auf diesem Markt gescheitert. Haben Sie eine einfache Erklärung, warum es Spotify nicht so gegangen ist?

Jonathan Forster: Es gab tatsächlich schon einige Versuche mit Abo-Systemen für Musik, die aber allesamt Nischenprodukte geblieben sind. Eine einfache Erklärung, warum wir uns durchgesetzt haben, habe ich auch nicht. Als wir 2006 gestartet sind, war Schweden die Heimat der Piraterie. Für rund 80 Prozent des Datenverkehrs waren Torrents verantwortlich. Es gab also eine größere Nachfrage nach Musik als je zuvor, aber kein Geschäftsmodell, das diese Musik online legal zur Verfügung stellte und dabei bequemer zu bedienen war als die illegalen Dienste. Diese Marktlücke haben wir offenbar erfolgreich besetzt. Zum Teil hat das sicher mit dem kostenlosen Angebot zu tun, zum Teil auch mit der mobilen Verfügbarkeit und dem sozialen Aspekt. Vielleicht gibt es aber doch eine einfache Erklärung: Wir sind mit Spotify nie Kompromisse eingegangen. (Michael Matzenberger, derStandard.at, 15.11.2011)