Heidi Schrodt hat die Enttäuschung vorausgeahnt, zum Beispiel bei einem Besuch in einem Moostviertler Dorf. Sämtliche Kinder besuchen dort eine Hauptschule, nur alle heiligen Zeiten geht eines ins Gymnasium. Kein einziger Lehrer im Ort ließ sich für das Bildungsvolksbegehren begeistern - "damit alles so bleibt, wie es seit Jahrzehnten ist" .

Immer wieder hat Schrodt in den vergangenen Wochen gegen Mauern geredet. Es sei viel zu wenig gelungen, die Lehrer zu mobilisieren, erzählt die pensionierte Wiener Schuldirektorin, die sich für das Volksbegehren mächtig ins Zeug gelegt hat. Von verbreiteter "Angst vor Veränderung" erzählt Schrodt, und vom Standesdünkel vieler AHS-Lehrer, die ihren Sonderstatus als "Professoren" im Gymnasium durch eine Gesamtschule - zentrales Anliegen des Volksbegehrens - gefährdet sehen. Vor allem habe sich aber Resignation breitgemacht, sagt sie: "Weil wir seit Jahrzehnten den gleichen Reformen nachrennen, ohne dass etwas passiert."

Das aus dieser Stimmungslage resultierende Ergebnis: 383.820 Menschen haben das Bildungsvolksbegehren unterschrieben - aus dem erträumten Erdrutscherfolg wurde ein Platz im Mittelmaß. Tapfer verteidigten die Wortführer das Resultat als Erfolg, Initiator Hannes Androsch gab sich sogar "mehr als zufrieden" . Doch nach einmal Drüberschlafen fällt so manche Proponenten-Bilanz weit weniger begeistert aus.

"Weil es eh wurscht ist"

"Sehr unglücklich" ist der Hauptschullehrer Thomas Bulant, der das Volksbegehren als sozialdemokratischer Gewerkschafter unterstützt hat. "Viele Lehrer glauben nicht mehr an den großen Durchbruch", meint er, "deshalb sind viele gleich gar nicht hingegangen - weil es eh wurscht sei." Bulant unterrichtet an einer jener Wiener Pflichtschulen, an der die Lehrer zunehmend mit den sozialen Problemen ihrer Schützlinge überfordert sind. Eine gemeinsame Schule bis zum Ende der Schulpflicht, die Kinder nicht "hilflos der Selektion ausliefert" und damit Aufstiegschancen beraubt, hält er für ein Gebot der Stunde - nicht erst seit gestern. Doch erlebt hat Bulant stets nur "abgebrochene Schulreformen" .

Der Stillstand hat eine lange Tradition: Weil Schulgesetze jahrzehntelang in der Verfassung verankert waren, Änderungen also einer Zweidrittelmehrheit im Nationalrat bedurften, hatten selbst Alleinregierungen wie jene Bruno Kreiskys knappen Spielraum. Mittlerweile ist der Sonderpassus Geschichte, doch der ideologische Graben zwischen SPÖ und ÖVP blieb breit. Und selbst wenn sich die Koalitionäre einmal einigen, gilt es im föderalistischen Österreich noch einen anderen Gegner zu überwinden: die Länder, die mit der Bundesregierung um Lehrerposten, Budget und damit Macht rangeln.

Auch im Ergebnis des Volksbegehrens zeichnet sich die rot-schwarze Frontlinie ab: Es gibt ein Gefälle zwischen Ost und West, zwischen Stadt und Land (siehe Grafik). Die meisten Verweigerer sitzen anteilsmäßig in Tirol, am eifrigsten unterschrieben die Wiener. Das Anliegen habe vor allem bei mitte-links-orientierten Städtern gezogen, resümiert der Politologe Peter Filzmaier - eine auf ein rot-grünes Publikum zugeschneiderte Attraktion. Einträchtig in latenter Häme fielen denn auch die Reaktionen von ÖVP und FPÖ auf das mittelmäßige Ergebnis aus. Der Unmut sei offenbar geringer, als "uns von vielen versucht wird weiszumachen" , kommentierte der schwarze Bildungssprecher Werner Amon. Die FPÖ spottete über einen "Schuss ins Ofenloch" .

Von der politischen Kluft abgesehen, erkennt die Bildungspsychologin Christiane Spiel noch tiefer liegende Ursachen für das heimische Reformversagen. "Unsere Kultur hält Bildung und Leistung nicht hoch" , meint sie und führt dieses Phänomen auf die verwurzelte feudale Obrigkeitshörigkeit zurück: Der Österreicher "matschgere" zwar gerne über die Zustände, scheue aber die Verantwortung, daran etwas zu ändern - "Androsch wurde ja regelrecht bestaunt, weil er was tut" . Für typisch hielt Spiel auch die Reaktion auf die schlechten Ergebnisse der heimischen Schüler beim Pisa-Test: Statt gemeinsam anzupacken sei erst einmal die ganze Energie für die Suche nach den angeblichen Schuldigen - von den Lehrern bis zu den Migranten - verschwendet worden.

Die Ideen des Volksbegehrens sind Spiel wohlvertraut: Unter Schwarz-Blau hat sie in einer Reformkomission gewerkt, "die Themen waren die gleichen wie heute" . Warum diesmal Zählbares herauskommen soll? Weil es endlich eine Diskussion gebe, bei der einst tabuisierte Missstände, etwa der Proporz bei Direktorenbestellungen, offen angesprochen würden, sagt Spiel - und weil sich eine breite Bewegung "über die Parteigrenzen hinweg" formiert habe. Ex-Direktorin Schrodt, Leiterin der "Initiative Bildung grenzenlos" , schließt sich dem Optimismus an: Bis auf die gemeinsame Schule sieht sie die eigenen Forderungen in Reichweite.

Doch gibt es dafür Geld? Das Budget nährt Zweifel. Die von der Koalition gerühmten "Schwerpunkte" für Bildung und Forschung entpuppten sich als reale Kürzungen, wenn man die Inflation einrechne, analysiert die Wirtschaftsforscherin Margit Schratzenstaller (Wifo): Bei allen löblichen Fortschritten sei der Ausbau von Kinderbetreuung und Ganztagesschulen - beides wichtige Anliegen des Volksbegehrens - nach wie vor "unterdotiert" .

Der Hauptschullehrer Bulant rechnet nicht mit der großen Wende. "Wenn du von außen ständig eine drüberbekommst, glaubst du irgendwann nicht mehr an die große Weltverbesserung" , sagt er und setzt auch in die eigenen Parteifreunde nur begrenzte Hoffnung. Die von der roten Regierungshälfte abgefeierte "Neue Mittelschule" entspreche nicht annähernd der notwendigen Gesamtschule, kritisiert er: "In Wahrheit hat die SPÖ in dieser Frage kapituliert."(Gerald John, DER STANDARD; Printausgabe, 12./13.11.2011)