Über den Wunsch, nicht vor der nächsten Fußball-Weltmeisterschaft zu sterben. Der Clown Pic und der Autor Dante Andrea Franzetti tauschen in ihrem Buch E-Mails aus.

Pic und Dante Andrea Franzetti, "Das Bein ohne Mann". € 20,50 / 178 Seiten. Leonos, Basel 2011

Foto: Leonos / Franziska Messner-Rast

Einem seit Jahren in Spanien lebenden Deutschen musste das Bein amputiert werden. Nach der Operation erfährt er, dass das Krankenhaus nur die Weichteile entsorgt und das Bein zu einem Bestattungsunternehmen muss. Die Kosten sind selbst zu begleichen. Dieses schwarzhumorige Gschichterl um die Beerdigung eines Beines begegnet uns an anderer Stelle weniger zwielichtig, doch wehmütiger: "Ein Kindersarg hat etwas unheimlich Trauriges, aber die richtige Größe für das Bein."

Skurrile Begebenheiten, komische Anekdoten und tiefsinnige Gedanken, nicht nur über Gliedmaßen, haben sich zwei Männer in virtuellen Hin-und-her-Geschichten über mehrere Jahre hinweg als E-Mails zugesandt und in dem gewitzten Buch Das Bein ohne Mann versammelt.

Der eine ist der Schriftsteller und Journalist Dante Andrea Franzetti, 1959 geboren, wohnhaft in Zürich und Rom und ein Pendler zwischen Sprachen, Städten und Fußballstadien. Der andere hat als Clown Pic mit feinem Humor und legendärer Seifenblasenkunst viele Menschen zum Lachen und Staunen gebracht. Als ein Nachfolger und im Sinne der Bühnenfigur Pierrot tourt der "Unterhaltungsreisende" seit 1969 mit eigenen Theaterprogrammen durch die halbe Welt und verhalf dem Circus Roncalli zu großen Erfolgen.

Pics Ausdrucksform ist die des Körpers. Dass der in St. Gallen Aufgewachsene ein Meister der Pantomime werden und nun die schriftliche Sprache beherrschen sollte, war zunächst nicht vorgesehen. Er sollte Fußballer werden. Doch kurz vor der Profikarriere machte eine Knieverletzung alle Bubenträume zunichte. Das runde Leder blieb seine große Passion, und es kann angenommen werden, dass es an jenem Tag, an dem Franzetti zwecks eines Illustrierten-Porträts den Universalkünstler in seinem Atelier aufsuchte, für nachhaltigen Gesprächsstoff sorgte und erkennen ließ: Fußball ist Beinarbeit.

Seit damals, Anfang 2006, flanken sie sich Persönliches, Weltmännisches, Melancholisches oder Närrisches zu und nähern sich im eleganten Doppelpassspiel einander an. Aus der Erzählbegegnung entwickelte sich rasch eine Erzählfreundschaft. Erlebnisse und Erinnerungen stehen am Beginn fantasievoller und schräger Assoziationen, die wahre und erfundene Lebensgeschichten zutage fördern, vom anderen aufgenommen, kommentiert und vielfach weitergesponnen werden.

Warum soll der E-Mail-Verkehr zweier älterer Herren das Publikum von den Sitzen reißen? Pic und Franzetti sind außergewöhnliche Menschen, die in der Weltgeschichte weit herumgekommen sind. Was sie berichten, hebt sich von oberflächlichem Alltagsgeplänkel ab und bleibt doch nah am Leben haften. Die Schreibzuspiele erwecken an keiner Stelle den Eindruck, hier handle es sich um die Selbstbeweihräucherung lebenserfahrener Herren. Oder sie seien ins (Selbst-)Ironische getrieben.

Die sensible Beobachtungsgabe zeigt sich besonders in Franzettis Liebeserklärungen an Städte. Der Schriftsteller, der sich als Abkömmling der Franken wähnt, sitzt in Rom im Kaffeehaus und schreibt seine Notizen mit der Hand, die er später in seinen Uralt-Apple eintippt. Allem gegenteiligen Bemühen zum Trotz muss er erkennen, dass neue Zeiten angebrochen sind. Er resümiert: "Ich werde alt, und wie alle Alten halte ich die Jugend für besonders blöde."

Pic ist beim Schreiben der Stichwortgeber, der andeutende Erzähler. Als Clown scheint er ewige Jugendlichkeit zu besitzen und die Fähigkeit, mit bedrückenden Themen wie Tod und Trauer leicht, aber nie leichtfertig umzugehen. Der Fußball hat Schicksalsschläge in seiner Familie gemildert, und so bleibt es sein Wunsch, nicht vor der nächsten WM zu sterben. (Sebastian Gilli  / DER STANDARD, Printausgabe, 12./13.11.2011)