Dreamers Of The Ghetto um das stimmliche Talent Luke Jones befinden sich gerade in einer intensiven Mad-Max-III-Phase.

Foto: Trost

In der für US-Verhältnisse zwutschikleinen Stadt Bloomington im Bundesstaat Indiana wurden nicht nur der mit Heart and Soul oder Stardust und Georgia On My Mind bekannt gewordene Jahrhundertkomponist Hoagy Carmichael und vor allem David Lee Roth geboren. Letzteren kennen die reiferen Leute unter uns als König der Löwen und Shouter der kalifornischen Pudelmetall-Kaiser Van Halen: "You better jump!" Die Jungen werden David spätestens nächstes Jahr wieder toll finden.

Immerhin ist man beim Versuch, die Eltern mit käsiger Schulterpolster- und Neonwurstmusik aus den 1980er-Jahren zu ärgern, noch nicht ganz durch, obwohl der Albtraum schon einige Jahre anhält und man im Radio nie genau weiß, ob gerade der Sender Giebelkreuz, Ö3 oder FM4 läuft. Jedenfalls beherbergt die sympathische Universitätsstadt vor den Toren von Indianapolis obendrein auch noch die einstige Wirkungsstätte des Sexualforschers Alfred Charles Kinsey, das sogenannte Kinsey Institute for Sex Research.

Befruchtungswalzerkomponist, Pudel-Sexgott, Sexguru mit Diplom. Dementsprechend aufgeladen und knisternd dürfte insgesamt die Atmosphäre in Bloomington heute noch sein. Wegen ihrer Aufgeladenheit und ihres Voll-im-Saft-Stehens dringlich klingt jedenfalls das erste Album der hier beheimateten Band Dreamers Of The Ghetto. Dabei bleibt mit Ausnahme einer Planstelle bei diesem Quartett alles züchtig in der Familie. Neben Sänger Luke Jones und dessen Bruder Jonathan ist auch Lukes Ehefrau Lauren dabei. Dem Klan unterzuordnen hat sich der geduldete Gast Marty Sprowles.

Musikalisch und auch rein äußerlich bewegt man sich zurück in die frühen 1980er-Jahre und hier in ein nicht nur damals verklärtes mystisches "Irland". In diesem hieß Bono auch noch Vox. Er spielte mit U2 lange vor der Entdeckung der Globalisierung eine bäuerlich feiste Vokuhila-Form simpler wie pathetisch hochgradig aufgeladener Rockmusik. Sie führte bei mit Bono befreundeten Dubliner Musikern wie Gavin Friday und dessen sich als keltische Urzeitmenschen mit Fell und Lumpen und Vokuhilas und Kajal verkleidenden Performance-Wastln Virgin Prunes dazu, dass man die dräuende Weltumarmung U2s etwas dunkler deutete und auch den Fortpflanzungstrieb und gesellschaftlich nicht im Sinne eines Konsens akzeptierte Sexualpraktiken sowie angesichts einer drohenden atomaren Apokalypse dem dagegenhaltende schamanistische Rituale in die Lieder einfließen ließ.

Dazu produzierte man im Stil der Zeit sowohl tribalistisch forderndes, martialisch donnerndes Perkussionsgeklöppel, auf das später Mel Gibson in Mad Max III - Jenseits der Donnerkupppel und in Braveheart vertraute. Man zollte aber gleichzeitig auch dem Gebot der Einfachheit mit von karger New Wave in den Rock gedeuteter harmonischer Grundehrlichkeit Tribut, um dieser eventuell emotionalen Überlastung einen geraden Weg Richtung Liedende zu weisen.

Abgesehen davon, dass Luke Jones mit einer voluminösen wie aufgerauten Stimme in mittlerer Lage gesegnet ist, die im Format des Stadionrock bald für Furore sorgen wird, gilt es angesichts des Debüts der Dreamers Of The Ghetto eines festzustellen: Unter Einbeziehung von hymnischen Call-and-Response-Refrains wie im Song Phone Call oder der wohlige Sehnsucht nach in Zeitlupe über die Weiten der Prärie verbreitenden Ballade Dark Falcons ist dem US-Quartett so das beste U2-Album seit The Joshua Tree von 1987 gelungen. (Christian Schachinger  / DER STANDARD, Printausgabe, 11.11.2011)