Nikos Fotopoulos führt gerne Protestzüge an.

Foto: Youtube

Bild nicht mehr verfügbar.

Fotopoulos' medienträchtige Besteigung des Schlots in Keratsini.

Foto: Foto: Petros Giannakouris/AP/dapd

Bild nicht mehr verfügbar.

"Wir verkaufen nicht und wir sind nicht käuflich", steht in großen Lettern auf dem Gebäude der DEI an der Dionysiou Solomou-Straße in Athen.

Foto: EPA/ORESTIS PANAGIOTOU

Bild nicht mehr verfügbar.

Insgesamt 97 Kraftwerke betreibt die DEI in ganz Griechenland, hier jenes in der Hafenstadt Lavrio nahe Athen.

Foto: Reuters

Bild nicht mehr verfügbar.

Am 6. März 2008 ließ ein Streik bei DEI in halb Athen die Lichter ausgehen.

Foto: EPA/ORESTIS PANAGIOTOU

Bild nicht mehr verfügbar.

Die GENOP verfügt über viel streikwilliges Personal.

Foto: EPA/PANTELIS SAITAS

Bild nicht mehr verfügbar.

Die DEI gehört zu den wenigen profitablen Großbetrieben Griechenlands.

Foto: REUTERS/Yiorgos Karahalis

Bild nicht mehr verfügbar.

Nun soll weiter privatisiert werden.

Foto: REUTERS/Yiorgos Karahalis

Marx, Lenin, Guevara: Nikos Fotopoulos hat sich seine eigene Troika an die Wand geheftet. Während das Volk gebannt die Signale von EU, IWF und Weltbank hört, zimmert sich der 49-jährige Athener Stromgewerkschaftler in seinem Büro aus Versatzstücken linker Heldengeschichten sein eigenes Weltbild. Und wirkt mit seiner Kampfrhetorik in dem grauen 60-Jahre-Bau nahe des Omonia-Platzes wie einer längst vergangenen Zeit entsprungen: "Wir sind darauf vorbereitet zu bluten. Wir haben keine Angst vor dem Gefängnis", rief er bei einer Demonstration in August in Athen. An dem 49-Jährigen, den viele seiner Landsleute einen Privilegienritter schimpfen, spiegelt sich die ganze Dimension der Tragödie, in die sich Griechenland über Jahrzehnte hinweg sehenden Auges manöviert hat.

Genauer: am Beispiel Nikos Fotopoulos und seinem Arbeitgeber, dem 1950 gegründeten Stromriesen DEI, lässt sich die Apathie der Griechen beschreiben, die längst über die Wut auf die Regierenden hinausgeht und auch die übrigen Stützen des Systems trifft. Regelmäßig wird Fotopoulos in Meinungsumfragen zum unbeliebtesten Mann Griechenlands gewählt. Das hat nicht nur mit den häufigen Streiks zu tun, an deren Spitze er steht und die für Dunkelheit in weiten Teilen Griechenlands sorgen. Sondern auch damit, dass sich immer weniger Griechen von der Frontalopposition des Gewerkschafters vertreten fühlen.

Auch, weil er dafür sorgt, die Kluft zwischen öffentlich und privat Beschäftigten im ohnehin von Klientelpolitik geprägten Griechenland noch zu vergrößern. In vielen staatlichen Betrieben sind an die 90 Prozent der Arbeitnehmer in einem der insgesamt 128 Verbände, die das Land zählt, organisiert. In den meist kleinen privaten Betrieben sind es weit weniger. Insgesamt gehen Schätzungen von etwa 500.000 Gewerkschaftsmitgliedern in Griechenland aus. Die GENOP, ein Verbund der insgesamt 24 Teilgewerkschaften bei DEI, gehört zu den schlagkräftigsten Arbeitnehmervertretungen. "Sie ist zwar von ihren Mitgliederzahlen her klein, kontrolliert de facto aber die Stromversorgung des ganzen Landes und spielt diesen Trumpf auch gegen die Regierung aus, wenn es ihr passt", sagt der angesehene Politikwissenschaftler Spyros Economides vom Hellenic Observatory der London School of Economics im Gespräch mit derStandard.at.

Auch dann, wenn deren Premier so wie Giorgos Papandreou der Panhellenischen Sozialistischen Bewegung (PASOK) entstammt, zu deren Mitgliedern auch Gewerkschaftsboss Fotopoulos zählt. Oppositionschef Antonis Samaras von der Partei Nea Dimokratia (ND) hingegen drohte jüngst mit harten Maßnahmen, sollten die Gewerkschaften staatlicher Betriebe weiter auf Streiks setzen: "Keine Gewerkschaft ist Eigentümerin öffentlicher Infrastruktur."

"Billiger Strom - die DEI im Volkseigentum"

Fotopoulos' Arbeitgeber DEI war bis 2001 ein staatlicher Monopolbetrieb, seither wird es als Aktiengesellschaft geführt. Und das durchaus profitabel, mehr als eine halbe Milliarde Ertrag wurden 2010 erwirtschaftet. Bis dato hält der griechische Staat 51 Prozent der DEI-Aktien. Die scheidende Regierung Papandreou will 17 Prozent davon zu Gunsten des Staatssäckels abstoßen, was die Athener Regierung zwar die Kontrolle über die 97 Kraftwerke, die Minen und die Umspannwerke kosten, ihr aber zumindest die Sperrminorität sichern würde.

In den Augen von Nikos Fotopoulos, der seit vier Jahren im Amt ist, sind derlei Privatisierungspläne ein Werk des Teufels. Um es zu bekämpfen, ringt er sich auch zu einem gerüttelt Maß Aktionismus durch. Anfang Mai kletterte der bullige 49-Jährige auf die Spitze des Schornstein des historisch bedeutsamen E-Werks im Athener Vorort Keratsini, 174 Meter über dem Boden befestigte er als Zeichen des Protests ein Spruchband am Schlot: "Billiger Strom - die DEI im Volkseigentum". Im Juni rief die GENOP zu einem Generalstreik und forderte alle ihre Teilverbände dazu auf, "mit größtmöglicher Heftigkeit zurückschlagen, weil wir nur so den Ausverkauf des Vermögens des griechischen Volkes stoppen können". 50 Milliarden Euro will die Athener Regierung bis 2015 so aber einnehmen. Dass es zur Bewältigung der enormen Budgetkrise der Hellenen solcherart drastischer Schritte brauchen könnte, ficht Fotopoulos nicht an.

Steuereintreibung per Stromrechnung

Auch dass die Regierung Steuerschulden, konkret ausständige Grunderwerbssteuer, fortan per Stromrechnung eintreiben will, geht für den Gewerkschafter zu weit. Per Dekret rief er die Belegschaft auf, die Rechnungen einfach nicht auszudrucken, sie nicht zu bearbeiten und schließlich nicht zu versenden. Im Oktober besetzte die GENOP tagelang die Rechnungsabteilung der DEI um zu verhindern, dass "tausende Griechen plötzlich im Dunklen sitzen", wenn sie die Steuer nicht bezahlen. Vergeblich: aller Agitation zum Trotz wurden in den vergangenen Wochen 97.000 griechischen Haushalten die Stromzufuhr gekappt.

Der 49-Jährige versteht sich gut darin, den Medien Futter in Form schneidiger Slogans hinzuwerfen. Verwackelte Videos, die auf der Videoplattform YouTube im Internet kursieren, zeigen ihn bei Wutausbrüchen und Brandreden. 2009 stürmte er etwa vor laufender Kamera das Büro des damaligen DEI-Vorsitzenden Takis Athanasopoulos. Derlei Aktionismus kommt bei den krisengeplagten Griechen derzeit nicht mehr gut an. Auch deshalb nicht, weil Gewerkschafter wie der deklarierte Linke Fotopoulos ein System der Pfründe und Privilegien errichtet haben, das mitteleuropäischen Kollegen kalte Schauer über den Rücken laufen ließe.

Millionen an Gewerkschaftsführer

Dieses System aufzubrechen ist unter anderem die Aufgabe von Leandros Rakintzis. Der 73-Jährige war früher Verfassungsrichter und arbeitet sich seit 2004 als Generalinspekteur der öffentlichen Verwaltung an der grassierenden Korruption und Vetternwirtschaft in Hellas ab. Dazu gehört auch das System GENOP. Mehr als 31 Millionen Euro hat der Gewerkschaftsverband seit 1999 vom staatlichen Unternehmen DEI erhalten, teure Privilegien wie Reisen, Kuren und Besuche in Gourmetrestaurants für Fotopoulos und seinesgleichen inklusive. Laut griechischem Recht darf eine Gewerkschaft keine Gelder von Staatsunternehmen beziehen, nun ermittelt die Justiz.

Jahrzehntelang schanzten Griechenlands Regierende, gleich ob sie sozialistisch oder konservativ geprägt waren, ihrer jeweiligen Klientel Jobs bei Betrieben wie DEI zu: gut bezahlt, kaum kontrolliert, praktisch unkündbar. Und die Gehälter und Löhne bezahlte der Steuerzahler. Dass Gewerkschafter wie Nikos Fotopoulos nun, wo das System unabwendbar gescheitert ist, vom Ausverkauf sprechen und zum Klassenkampf mobilisieren, wundert LSE-Experten Economides nicht. "Das zeigt, wie wenig Verständnis für die Dimension der Krise bei vielen Griechen vorhanden ist." (flon/derStandard.at, 10.11.2011)