Polaroid is dead, long live Polaroid! So oder ähnlich könnte der Leitgedanke der Wiener Firma "The Impossible Projekt" lauten. Mit einem kleinen Team von zehn ehemaligen Mitarbeitern der Firma Polaroid hat das Gründer-Trio Florian Kaps, André Bosman und Marwan Saba das Unternehmen aus der Taufe gehoben. Mit dem WebStandard sprach Kaps über die Liebe zur Sofortbildfotografie, die Zuflucht in eine virtuelle Welt und die fingierte Polaroid-Einzigartigkeit durch Apps wie Instagram.
derStandard.at: Wie wurde die Idee zu so einem Projekt geboren, wo doch die Digicam die Analogkamera abgelöst hat?
Florian Kaps: The Impossible Project 2008 wurde nicht aufgrund einer Idee gestartet, sondern aufgrund der ganz realen Tatsache, dass die unaufhaltsame Überflutung mit Digicams der analogen Sofortbildfotografie nicht das Licht ausgeblasen hatte. Ganz im Gegenteil - es war der fehlende Startfunke für einen Neustart, nach dem Polaroid jahrelang verzweifelt gesucht hatte.
derStandard.at: Wieso der Name "The Impossible Project"? War es tatsächlich so unmöglich?
Florian Kaps: Ich muss zugeben, dass es sich bei der Namensfindung nicht um eine Idee von uns gehandelt hat, sondern um eine schlichte Reaktion auf die 123 Meetings und Verhandlungen mit dem Polaroid-Management, in denen man uns unaufhörlich davon überzeugen wollte, dass es unmöglich sei, die analoge Sofortbildfotografie wieder aufleben zu lassen. Kombiniert mit der scharfsinnigen Aussage Dr. Lands, dem legendären amerikanischen Erfinder und Gründer von Polaroid (und übrigens auch großes Vorbild von Steve Jobs), "Don't undertake a project unless it's manifestly important and nearly impossble", war es dann eigentlich unausweichlich, unser unmögliches Abenteuer auch als solches zu titulieren.
derStandard.at: Wo lagen die größten Herausforderungen?
Florian Kaps: Die Herausforderungen waren und sind, wie von einem Abenteuer nicht anders zu erwarten ist, zahllos und oft scheinbar übermächtig. Nicht nur, wenn es um die völlige Neuentwicklung eines fast unwirklich komplexen chemisch-physikalischen Prozesses geht, bei dem Momentaufnahmen auf engstem Raum und innerhalb von Minuten in ein einzigartiges Licht Gemälde verwandelt werden, das sich selbstständig in der Hand des Betrachters entwickelt. Auch wenn es darum geht, Geldgeber von den wirtschaftlichen Chancen dieses scheinbar völlig altmodischen Produktes zu überzeugen. Oder auch nur die Herausforderung dieses Interviews dazu zu nützen, mit wenigen Worten möglichst viele Leser dazu zu inspirieren, ihren alten Polaroid-Kameras (oder den ihrer Eltern) noch einmal eine Chance zu geben.
derStandard.at: Wie viel betrug denn das Startkapital?
Florian Kaps: Wir sind 2008 mit rund einer Million Euro von einer Gruppe privater Investoren, die sich wahrlich den Titel "Friends and Family" verdienen, in das unmögliche Projekt gestartet.
derStandard.at: Woher kam die Motivation, die Polaroids zu retten?
Florian Kaps: Ein Punkt ist sehr wesentlich: Wir wollen und können Polaroid nicht retten. Ebenso wenig muss die Sofortbildfotografie gerettet werden. Das hat überraschenderweise die digitale Revolution der Fotografie erledigt, indem sie den Leuten klar gemacht hat, dass die meisten besonderen Momente unseres Lebens einfach analog sind und es auch immer bleiben werden. Es war der Umgang und der tägliche Gebrauch mit digitalen Kameras und Bildern, der den Leuten klar gemacht hat, wie gut es sich anfühlt, ein reales Bild vorsichtig in der Hand zu halten, es jemandem zu schenken, es in seinem Tagebuch zu verstecken.
Sogar die Tatsache, dass jedes Bild über einen Euro kostet, wird plötzlich als angenehm empfunden, weil es dazu führt, dass man genau überlegt, wann man den Auslöser drückt. Das führt wiederum dazu, dass die Qualität und Wertigkeit jedes Bildes zurückkehrt. Unsere einzige, und immer noch mehr als gewichtige und herausfordernde Aufgabe ist es einzig, all diesen potenziellen Kunden ein neues und modernes Sofortbildmaterial zu Verfügung zu stellen. Optimiert auf das Hier und Jetzt sowie die Gewohnheiten der Menschen, die heute leben. Aber auch auf jene Menschen, die in den nächsten Jahren und Jahrzehnten diesen essentiellen Aspekt der wirklichen Fotografie für sich entdecken werden wollen.
derStandard.at: Inwiefern unterscheiden sich denn Ihre Polaroid-Filme, zum Beispiel im Hinblick auf die Entwicklung, von den Originalen aus den 70ern?
Florian Kaps: Unser Impossible-Filmmaterial kann und soll nicht mit dem standardisierten kugelsicheren Polaroid-Film des Jahres 2008 verglichen werden, sondern als die nächste Generation von analogem Sofortbildfilmaterial verstanden werden. Gemeinsam mit und für unsere Kunden wird es ständig am Puls der Zeit weiterentwickelt.
derStandard.at: Polaroid ist sicherlich etwas für "Liebhaber", wer sind die NutzerInnen?
Florian Kaps: Liebhaber trifft es eigentlich genau. Unsere NutzerInnen sind all jene Menschen, die bereit sind, sich zu verlieben oder bereits verliebt sind in eine der vielleicht attraktivsten Formen der Fotografie. Jene, die bereit sind, sich auf ein Abenteuer einzulassen, das über die normale Norm des täglichen Lebens hinausgeht. Jene, die bereit sind, das Risiko einzugehen, enttäuscht zu werden, himmelhoch zu jauchzen, Sachen zu machen, die sie vorher noch nie gemacht haben oder gespannt auf jedes einzelne Bild zu blicken, das sich langsam vor ihren Augen entwickelt...
Es sind jene Menschen, die bereit sind, alle ihre Sinne einzusetzen und sich der Realität zu stellen anstatt Zuflucht in einer immer virtuelleren Welt zu suchen. All jene, die langsam müde werden, ihr Leben lang auf Herausforderungen und Überraschungen zu verzichten. Impossible wendet sich ganz klar an alle Liebhaber der Entschleunigung und der analogen Wertigkeiten. An all jene, die sich auf eine handgeschnittene Karotte auf ihrem Sushi Set freuen, die sich für ihren handgerösteten Lieblingskaffee am Morgen 15 Minuten anstellen, die verstohlen an ihren Lieblingsbüchern riechen und ihre wertvollsten Gedanken in kleinen italienischen Notizbüchern aufbewahren. Ehrlich gesagt, es ist die schönste und aufregendste Zielgruppe der Welt.
derStandard.at: Welche Rolle spielt das Internet bei Ihrem Projekt?
Florian Kaps: Das Internet spielt eine entscheidende Rolle. Einerseits, um weltweit direkt mit unseren Kunden und potentiellen Neukunden in Kontakt zu treten und unsere Materialien weltweit verfügbar zu machen. Andererseits um unseren Kunden die Möglichkeit zu bieten, ihre Impossible-Bilder mit der Welt zu teilen und allen zu zeigen, welche Magie und welche Stärke von diesem totgeglaubtem Material ausgeht.
Denn erst unsere Kunden sind es, die aus unserem Material wirklich ein Produkt machen, indem sie mit unseren Filmen fotografieren und ihre wahre Seele und Charakteristik zum Leben erwecken. Ein faszinierendes und sehr wichtiges Detail dabei ist, dass analoge Sofortbilder nicht nur die einzigen fotografischen Originale sind, sondern auch die einzigen Bilder, die durch ihre digitale Präsentation auf dem Bildschirm ihre Identität nicht verlieren und sich auf den ersten Blick von allen anderen Bildern abheben. Selbst wenn diese durch immer ausgeklügeltere digitale Filtersysteme (von Apps wie Instagram, Hipstamatic) fingiert werden.
derStandard.at: Wie unterschiedet sich Polaroid von Digital? Was macht für Sie den besonderen Rest am Polaroid aus?
Florian Kaps: An dieser Stelle darf ich einen Experten zitieren: "Fotos, die nirgends ihren analog materialisierten Ausdruck finden, verschwinden aus der gesellschaftlichen Gegenwart genauso, wie das gesprochene, aber nicht dokumentierte Wort früherer Generationen. In dieser Erinnerungslosigkeit ist das Digitalfoto der gesprochenen Sprache unvergleichbar ähnlich - es verflüchtigt sich in der Aktualität der Kommunikation zwischen Menschen - weiter nichts." (Schelske, Andreas 2005)
Das wirklich sensationelle an der analogen Sofortbildfotografie ist die Tatsache, dass dieses Medium diesen "analog materialisierten Ausdruck" innerhalb weniger Minuten ohne die Notwendigkeit von Entwicklungslabors, Dunkelkammer, Chemie Bädern und langen Wartezeiten erreicht.
derStandard.at: Was waren die größten Herausforderungen bei der Entwicklung von Polaroid-Filmen?
Florian Kaps: Eigentlich war es die größte Herausforderung, die Polaroid-Manager davon zu überzeugen, die letzte Filmfabrik nicht wie geplant zu zerstören, sondern uns eine Chance zu geben, eine neue Generation von Sofortbildfilmen zu entwickeln und zu produzieren. Im alten Werk von Polaroid im niederländischen Enschede beschäftigen wir derzeit 25 MitarbeiterInnen. Alle weiteren unmöglichen Herausforderungen schienen und scheinen im Vergleich dazu klein, da wir ein Team zusammengestellt hatten, das viel Erfahrung und einen noch größeren Willen für die Realisierung hatte.
derStandard.at: Das Sortiment im Online-Shop ist ja unglaublich, was sind die Renner? Gibt es regionale Unterschiede?
Florian Kaps: Der Renner ist sicherlich die neueste Version unseres Impossible-Farbfilms, dem PX 680 Colorshade, den man in allen traditionellen Polaroid 600 Kameras verwenden kann und der wirklich atemberaubende Ergebnisse liefert, wenn man ihn mit richtig verwendet. Auch unser Schwarz-Weiss-Film, der PX 600 Silver Shade, derzeit unser beliebtester Einsteigerfilm, verkauft sich sehr gut. Besonders die Sonderedition mit schwarzem Rahmen, die ursprünglich speziell für den asiatischen Raum entwickelt wurde. Eine extrem schnell steigende Nachfrage haben wir auch betreffend Sofortbildkameras. Leider ist es uns im Moment nicht möglich, genug Kameras zu sammeln und zu reparieren. Dies ist auch der Grund, warum wir derzeit mit Einsatz aller Kräfte an einer Impossible-Kamera arbeiten, die wir hoffentlich Ende nächsten Jahres präsentieren zu können.
derStandard.at: Können Sie sich vorstellen, auch andere "aussterbende" Technologien zu retten?
Florian Kaps: Ehrlich gesagt kann ich mir gar nicht vorstellen, eine aussterbende Technologie zu retten. Meiner Meinung nach war die analoge Sofortbildfotografie niemals tatsächlich dem Tod geweiht und stellt, mit der richtigen Hardware und der richtigen Kommunikation verbunden, eines der innovativsten und spannendsten Materialien der Jetztzeit dar. Polaroid selbst verkaufte im letzten Jahr fast 30 Millionen Filme weltweit.
Was wir gemacht haben, ist die Beerdigung eines Scheintoten zu verhindern und mit einem Experten-Team behutsam wieder aufzuwecken und so zu positionieren, dass die Sofortbildfotografie so schnell es geht wieder stolz zur alten Stärke findet, mehr als bereit für den nächsten Lebensabschnitt. (Eva Zelechowski, derStandard.at, 06.12.2011)