Derzeit gibt es 434 Neue Mittelschulen in Österreich, 2015/16 sollen es 1178 sein. Mattersburg (Bild) ist seit 2008 dabei.

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Gmunden/Graz/Wien - Gespannt blicken die Schüler der 2B der Neuen Mittelschule (NMS) Gmunden-Stadt auf die Deutschschularbeiten in der Hand des Lehrers. Jetzt könnte man eine Stecknadel fallen hören. "Jennifer, dein Text war schon sehr gut", sagt er. Jennifers Muttersprache ist Englisch. Erst seit zwei Jahren lernt sie Deutsch. In der Schule sei "alles gut", und auch die Konversation auf Deutsch mache ihr in der Klasse keine Probleme.

Eine bunte Mischung

Im Klassenraum nebenan sitzen die Schüler gespannt vor einer Doku und fiebern mit dem Helden, einem Steinzeitmenschen, mit. Dass hier mehrere Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf sitzen, erkennt man nicht.

In beiden Klassen unterrichten zwei Lehrer. Wenn nötig, kann einer mit einem Schüler in den Nebenraum gehen, um ihn einzeln zu unterrichten. "Jede Stunde ohne Lachen ist eine sinnlose Stunde", meint der Direktor, Roman Herbst. Darum setze man auf offenes und eigenverantwortliches Lernen in Kombination mit Montessori-Methoden. An den Wänden auf dem Gang hängen Fotos einer Modenschau, die die Neue Mittelschule mit einer Partnerschule organisiert hat. "Hier war uns wichtig, nicht nur die Musterschüler auf die Bühne zu stellen", erklärt Direktor Herbst.

Auch im Schulhaus auf der Laßnitzhöhe in Graz-Umgebung spiegeln die überbunten Wände die Philosophie der Neuen Mittelschule wieder. Viele außerschulische Angebote sind ausgehängt sowie unzählige Auszeichnungen und die Fotos der "Mediatoren" der Schule - Schüler aller Klassen sind in diesem Projekt vertreten. Außerdem gibt es "Vorschläge-Ecken", wo sich die Schüler einbringen können. Auffallend auch die Stapel von Kinderlexika, die für das freie Lernen dienen, und die Tische und Sessel - alle höhenverstellbar.

"Die Umstellung auf die Neue Mittelschule war nicht schwer", sagt Direktorin Ingrid Bretterklieber, denn als "Realschule" sei die der Laßnitzhöhe auf dem neuesten Stand gewesen. Die Realschule war ein steiermarkweites Projekt mit 19 Standorten. Es gilt als Vorläufer der NMS. Die Inhalte und Schwerpunkte seien die gleichen: Binnendifferenzierung, das Zwei-Lehrer-System, die zweite lebende Fremdsprache ab der dritten Klasse und auch die Interessendifferenzierung ab der dritten oder vierten Klasse. "Bei uns hat sich nur der Name geändert", sagt Bretterklieber zum neuen Modell. Die einzig große Veränderung, die vollzogen wurde, war die Verbindung mit einer Partnerschule. So wurde Anfang dieses Jahres eine Kollegin des Borg Monsbergergasse angestellt.

Weiters wurden längere Vorbereitungszeiten eingeführt. Es gibt jede Woche verpflichtende Besprechungsstunden, in denen besonders die Freiarbeit für die Schüler vorbereitet wird.

Team-Teaching werde hundertprozentig genutzt. Für die Neue Mittelschule wurden Extrastunden zur Verfügung gestellt. So ist es möglich, dass jede Stunde in den Hauptgegenständen doppelt besetzt wird. "Ich hoffe nur, dass es à la longue bleiben wird, denn so ist es ja meistens - es wird etwas Tolles eingeführt, und mit der Zeit werden Abstriche gemacht", fügt die Schulleiterin hinzu.

Die Befürchtung, begabte Kinder zu unterfordern, kommt immer wieder zur Sprache, wenn es um das Modell NMS geht. Dort, wo viele die Schwäche der neuen Schulform vermuten, liege aber gerade ihre Stärke, ist Claudia Gritsch-Eder überzeugt: Indem alle Kinder gemeinsam am Unterricht teilnehmen, würden sie lernen, mit Menschen mit verschiedenen Stärken und Schwächen zu arbeiten, und hätten so die Möglichkeit, sich wichtige Sozialkompetenzen anzueignen.

Gesamtschule AHS

Die ausgebildete Sonderpädagogin ist Integrationslehrerin an der Anton-Krieger-Gasse in Wien-Liesing. Mit der Gründung der Schule 1974 entstand die erste Gesamtschule Österreichs. "In einer Gesamtschule müssen sich Lehrer noch besser überlegen, wie sie ihren Unterricht gestalten, um allen Kinder gerecht zu werden", argumentiert Gritsch-Eder. Ein Teil des Unterrichts wird in Leistungs- und Trainingskursen abgehalten. Durch diese Leistungsdifferenzierung werde es möglich, Stärkere, sowie Schwächere optimal zu fördern.

Das System der Gesamtschule funktioniere aber erst dann wirklich, wenn sie flächendeckend umgesetzt werde und auch die allgemein bildenden Höheren Schulen mitziehen, sonst fehle es an leistungsstarken Schülern. "Unsere Schule ist ein AHS-Standort und hat somit genug Anmeldungen. Wir nehmen in die erste Klasse immer rund 70 Prozent Schüler mit AHS-Reife auf", erklärt Direktor Herbert Schmidt. Die große Anzahl der Neuanmeldungen zeigt das steigende Interesse an der neuen Schulform.

Aber hat sich dieses Konzept auch in der Praxis bewährt? Die Lehrer der Anton-Krieger-Gasse sind davon überzeugt und, so scheint es, auch die Schüler: "Ich finde die Schule gut", kommt die prompte Antwort von Leo Pöckl aus der dritten Klasse. Die anderen Schüler stimmen ihm zu. "Am besten gefallen mir die Projekte", meint Jasmine Schimek.

Direktor Schmidt arbeitete an der Entwicklung des Wiener Modells der Neuen Mittelschule mit. Die Anton-Krieger-Gasse sei in dieser Hinsicht also Vorzeigeschule gewesen.

Qualifiziertes Helfersystem

Profitiert hat man hier durch den Ausbau von Ressourcen. So wurden etwa verstärkt zweite Lehrer im Unterricht eingesetzt und mehr Stunden für Fördermaßnahmen ermöglicht. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist zudem der Ausbau des sogenannten Supportsystems, in dessen Rahmen Schülern und Lehrern qualifizierte Ansprechpartner - Psychologen oder Lehrer mit Zusatzausbildung - zur Verfügung gestellt werden. Nach Meinung des Direktors ist dies für eine optimale Betreuung der Kinder in jeder Schule notwendig, um sie nicht nur leistungsbezogen, sondern in ihrer ganzheitlichen Entwicklung zu fördern. (Annika Althoff, Barbara Schechtner, Anna Schnabl, Nikolaus Socher, DER STANDARD, Printausgabe, 8.11.2011)