Karl Brenke: "Wenn es Knappheit gibt, müsste man das in Form steigender Preise sehen. Am Arbeitsmarkt sind das die Löhne."

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Der deutsche Ökonom Karl Brenke bezweifelt den seit Jahren beklagten Fachkräftemangel in Deutschland und Österreich. Mit ihm sprach Günther Oswald.

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STANDARD: Die Wirtschaft klagt regelmäßig über den Fachkräftemangel. Sie sind in einer Studie für Deutschland zum gegenteiligen Ergebnis gekommen. Wie kommen Sie darauf?

Brenke: Wenn es Knappheit gibt, müsste man das in Form steigender Preise sehen. Am Arbeitsmarkt sind das die Löhne. Die Löhne in Österreich sind aber, ähnlich wie in Deutschland, deutlich hinter den Einkommen aus Vermögen und Unternehmertätigkeit zurückgeblieben. Offensichtlich sind Arbeitskräfte also reichlich vorhanden. Und was in Österreich noch ausgeprägter ist: Der gesamte Beschäftigungszuwachs der letzten zehn Jahre geht auf Teilzeit zurück. Die Vollzeitbeschäftigung hat null zugelegt. Ein Achtel derjenigen, die Teilzeit arbeiten, machen das nur, weil sie keine Vollzeitstelle finden. Wenn es Knappheit gäbe, müssten die Arbeitgeber aber vermehrt Vollzeitstellen anbieten.

STANDARD: Wie passt das mit den Umfragen zusammen? In Österreich beklagen drei Viertel der Unternehmen, sie fänden nicht genügend geeignetes Personal.

Brenke: Ich habe so eine Umfrage früher auch mal gemacht. Das war nicht zufriedenstellend. Wenn man in den Betrieben nachfragt, sieht die Situation ein bisschen anders aus. Es wird da vieles aufgebauscht. Nach dem Motto: Welcher Personaler würde nicht sagen, dass es schwerfällt, Arbeitskräfte zu finden? Genauso gut könnte man einen Beamten fragen: Ist Ihre Arbeit anspruchsvoll? Das Zweite ist: Wir haben Ende der 90er- Jahre eine Untersuchung in Ostdeutschland durchgeführt. Dort gab es eine riesige Arbeitslosigkeit. Trotzdem haben Unternehmen geklagt, dass sie die Arbeitskräfte nicht finden, andere haben das nicht gemacht. Der Unterschied war: Diejenigen, die geklagt haben, haben niedrige Löhne gezahlt.

STANDARD: Sie meinen also, dass die Betriebe einfach billige Arbeitskräfte wollen.

Brenke: Genau. Österreich hat ja sogar noch einen gewissen Vorteil gegenüber Deutschland. Die Zahl der Erwerbspersonen wächst noch. Dazu kommt das Phänomen, dass die Unis immer voller werden. Auch von der Seite kann es also kein Problem geben. Und dann haben wir noch den Bereich der betrieblichen Ausbildung. Laut Statistik des Arbeitsmarktservices bildet in Österreich nur ein Siebtel der Betriebe überhaupt aus. Da stellt sich natürlich die Frage: Was, um Himmels willen, machen die anderen? Wenn man also nicht für die Ausbildung sorgt und nicht mit entsprechenden Löhnen am Markt ist, muss man nicht über einen Fachkräftemangel klagen.

STANDARD: Stichwort Lehrlinge: Die Betriebe beklagen, dass es Jugendlichen oft an Grundkenntnissen fehle.

Brenke: Das ist immer ein Argument. Das findet man schon bei Aristoteles. Die Älteren müssen immer auf die Jungen schimpfen. Das zieht sich durch die gesamte Menschheitsgeschichte.

STANDARD: Es wird aber auch generell argumentiert, dass diejenigen, die sich bewerben, nicht ausreichend qualifiziert seien, es also ein Mismatch zwischen Angebot und Nachfrage gäbe.

Brenke: Ich habe das Gefühl, dass die Unternehmen in den letzten Jahren ziemlich verwöhnt wurden. Sie wollen jemanden haben, der auf den Arbeitsplatz zu 120 Prozent passt. Was es aber schon gibt - ein Mismatch-Problem, dass die Jugendlichen zu sehr auf bestimmte Modeberufe fixiert sind: Friseurin, Mechaniker usw. Aber solche Probleme kann man ja lösen. Was mich stört: Mit Mangel assoziiere ich Wirtschaftssysteme, die vor 20 Jahren zugrunde gegangen sind. Ein kapitalistisches Wirtschaftssystem zeichnet sich durch enorme Flexibilität aus, es kann auf Knappheit reagieren. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 8.11.2011)