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Erstes Aufbegehren der Studenten im Oktober.

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Besonders die Geistewissenschaften sind von den Kürzungen betroffen.

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Am 9. November soll eine Großdemonstration stattfinden, für 30. November ist ein Streik in ganz Großbritannien geplant.

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London (APA) - "Was wir bisher gesehen haben, ist nichts im Gegensatz dazu, was noch kommt", sagt Mark Bergfeld. Der Wahl-Londoner gehört der National Union of Students (NUS) an und war als Sprecher des Education Activist Network eines der medialen Gesichter jener Studenten-Demo im November 2010, die eine Welle an Protesten in ganz Großbritannien nach sich gezogen hat. Ein Jahr später ruft er die Studenten erneut auf die Straßen - und er denkt "in noch größeren Dimensionen", denn die Situation für britische Studenten hat sich weiter verschärft.

Verdreifachung der Studiengebühren

Zusätzlich zur drastischen Kürzung des Hochschulbudgets, der Streichung der "Education Maintenance Allowance" (ähnlich der Familienbeihilfe) und der Verdreifachung der Studiengebühren von rund 3.000 auf 9.000 Pfund drohen 2012 mit dem von der Regierung geplanten "Higher Education White Paper" zahlreiche Kürzungen "nicht rentabler" Kurse.

Studenten fühlen sich verhöhnt

"Die Studenten in das Herz des Systems" stellen, heißt es in dem Papier der Koalition aus Konservativen und Liberaldemokraten - für die Protestler und deren Sympathisanten eine Verhöhnung. "Widerstand in das Herz des Universitätssystem stellen" ist Bergfelds Motto für die kommenden Proteste, die am Mittwoch (9. November) mit einer Großdemo in London ihren vorläufigen Höhepunkt finden sollen. Ein erstes Aufbegehren in dem von Studenten angestrebten "Winter of discontent" spielte sich am 2. Oktober in Manchester ab. 30.000 Gewerkschafter und Studenten "begrüßten" lautstark die konservativen Tories zu Beginn ihrer Parteikonferenz.

"Aufstände haben Atmosphäre verschoben"

"We won't pay for their crisis" stand auf den Transparenten der Studenten, "Unite and Fight" war der Kanon ihrer Sprechchöre. "Mit der heutigen Demo zeigen wir, dass die Studenten wieder zurück im Geschehen sind", sagte damals Rick Lighten, Gewerkschaftssprecher an der Manchester Metropolitan University, der APA. Die Stimmung in Manchester wirkte jedoch zeitweise gedrückt, unüblich leise war es für "englische Verhältnisse". Das eine oder andere bengalische Feuer hier, Rufe gegen Polizisten da, einzelne Vermummte, die den Albert Square okkupierten. Die gewaltsamen Aufstände Jugendlicher in Teilen Großbritanniens im August "haben die Atmosphäre ein wenig verschoben", meinte Lighten. "Aber die waren einfach nur eine weitere Folge unserer nicht gleichwertigen Gesellschaft und einer Jugend, die die Hoffnung verliert."

Cristina, eine spanische Erasmus-Studentin, sieht einen "globalen Widerstand" gegen die Auswirkungen auf Studenten und Arbeiter durch den von Spekulanten verursachten Finanz-Crash 2008 - aber auch Unterschiede zwischen Demos in ihrem Heimat- und Gastland, wie sie der APA beim Gewerkschaftsmarsch erzählte. "Die Sprache hier ist sehr aggressiv, die Großdemo in Barcelona war wie eine Familienfeier", und weiter: "Die Art, wie Leute in Spanien auf das Ganze reagieren, ist viel passiver, obwohl ihre Situation drastischer ist."

Bilder der Gewalt

Bis heute sind von Gewalt getragene Bilder der berüchtigten Londoner Demo in den Köpfen der Briten: Von dem vom Dach der Tories-Parteizentrale Millbank auf die Straße geworfenen Feuerlöscher durch einen 23-Jährigen bis zur riesigen Mengen an Aktivisten, die von der Polizei stundenlang in der Kälte eingekesselt wurde. Während sich die britische Bevölkerung aufgrund solcher Bilder teilweise von den Protesten distanziert, halten die Studenten mehr zusammen denn je - und erhalten Unterstützung von ihren Professoren, die durch die Kürzungen auch ihre eigenen Jobs in Gefahr sehen. 

77 Prozent der Vorlesungen gestrichen

Besonders deutlich bekommt die Kürzungen die London Metropolitan University (Met) zu spüren: 77 Prozent der Vorlesungen wurden gestrichen, 160 von 577 Kursen sind übrig, besonders die Geisteswissenschaften sind - so der allgemeine Trend an den britischen Universitäten - betroffen. "Die meisten Kurse gehen fortan Richtung Berufsausbildung", kritisiert Claire Locke, Präsident der Met-Studentenvertretung am Rande der Willkommensmesse für Erstsemestrige, gegenüber der APA. "Statt Theater und Philosophie wird hier - wie überall sonst - dann nur noch Wirtschaft unterrichtet."

Dabei verbuchten die geisteswissenschaftlichen Fächer laut Umfragen die höchste Studentenzufriedenheit, so Locke. "Es ist absurd und spricht gegen das Konzept von höherer Bildung, genau diese Kurse zu streichen." Etwa 1.500 Studenten seien betroffen - viele von ihnen können aufgrund gestrichener Module ihr Wunschstudium nicht beenden. Spricht man mit den Entscheidungsträgern, klingt das wahrlich anders. Vizerektor Malcolm Gillies nennt die Kürzungen gegenüber der APA eine "Neubelebung des Kurs-Portfolios", eine Notwendigkeit "in Zeiten der Rezession". Man müsse sich eben neu orientieren.

Als Universität mit dem höchsten Anteil an Studenten aus der Arbeiterklasse in England sowie der höchsten ethnischen Diversität steht die Met als Symbol für all das, was derzeit schief läuft. "Wir sind eine stolze Arbeiterklasse-Universität", sagt Mark Campbell von der Organisation "Save London Met". "Die Regierung sagt uns damit: Die Geisteswissenschaften sind nichts für euch." Die Lücke soll etwa der Philosoph A.C. Grayling mit seinem New College of Humanities füllen - mit 18.000 Pfund Studiengebühren jährlich und damit doppelt so viel wie an staatlichen Unis in England.

Schulden durch Studiengebühren

Genau dieser finanzielle Aspekt ist es, der Studenten die größten Sorgen bereitet, wie eine Studie von "Eurodoc" kürzlich zeigte. Sorgen, die ab kommendem Jahr vor allem in England größer werden dürften: Während Unis in Schottland, Nordirland und Wales nur für Studenten von außerhalb des Landes Studiengebühren von bis zu 9.000 Pfund verlangen, wird die Erhöhung für alle englischen Studenten im eigenen Land wirksam. Die Gebühren müssen entweder vorab bezahlt oder bei Krediten ab einem Gehalt von 21.000 Pfund zurückgezahlt werden - laut Wissenschaftsmagazin "Science" führt ein Studium inklusive Lebenserhaltungskosten dadurch zu durchschnittlich 43.000 Pfund Schulden.

Zweiklassensystem an der Universität

Der britische Soziologe John Holmwood befürchtet mit dem Inkrafttreten des "Higher Education White Paper" eine noch dramatischere Entwicklung in diese Richtung und ein zunehmendes Zweiklassensystem im staatlichen Universitätssektor. Während in Österreich über die Wiedereinführung von Studiengebühren diskutiert wird, soll in Großbritannien künftig ein Teil des staatlichen Uni-Budgets durch Studiengebühren ersetzt werden - "der Student als Konsument", so der Ansatz. Während einzelne Institute durch Investitionen von Unternehmen privatisiert werden, sterben andere aus, meint Holmwood zur APA.

Der Soziologe ist Gründer der "Campaign for the Public University" und Co-Autor des von zahlreichen Professoren und Wissenschaftern unterzeichneten, alternativen "White Paper", das der Regierung einen anderen Weg aufzeigen soll. "Die Regierung will es ermöglichen, Profit aus dem tertiären Sektor schlagen zu können", kritisiert Holmwood die "Privatisierung" des öffentlichen Bildungssektors. "Dann wird es weniger Auswahl, Vielfalt und Effizienz geben." Das Prinzip von höherer, staatlicher Bildung werde zerstört, "Bildung ist dann für Märkte und private Unternehmen, nicht für die Gesellschaft".

"Spirit" für den 9. November

Bildung als Recht, nicht als Privileg wollen Protestbewegungen nun erneut auf den Straßen einfordern. Wenige Tage nach dem Marsch in Manchester lud das Education Activist Network in einen kleinen, unterirdisch gelegenen Raum im riesigen Komplex der London School of Economics - zum ersten von vielen "Mobilisierungstreffen". "Wir werden danach beurteilt werden, wie viele Leute am 9. November auftauchen", sagte Bergfeld vor knapp 70 Zuhörern. Dass die Gewerkschafter in Manchester die Parolen der Studenten übernahmen, ist für ihn "der Spirit, den wir brauchen".

Mit der Großdemo ist es deshalb nicht getan. Am 30. November schließen sich Studenten Gewerkschaftern an, wenn "ganz Großbritannien stillsteht", - laut Unison, der größten britischen Gewerkschaft öffentlich Bediensteter, werden Streiks von drei bis vier Millionen Arbeitern erwartet. Sie lassen im Protest gegen Pensionskürzungen, niedrige Bezahlung und schlechte Arbeitsbedingungen ihre Arbeit ruhen. Werden die Erwartungen erfüllt, wird es die größte Streikmobilisierung in Großbritannien seit 1926. (Angelika Prawda, APA, 7.11.2011)